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Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein.

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Harald Martenstein über politische Auseinandersetzungen: Auch AfD-Anhänger sind kein Freiwild

Es ist immer falsch, Menschen nur auf eine einzige Eigenschaft zu reduzieren. Das gilt auch für die Anhänger der AfD. Man darf sie nicht nach Belieben herabsetzen und beschimpfen. Ein Kommentar.

Einerseits finde ich, dass in politischen Auseinandersetzungen Polemik und eine gewisse Schärfe erlaubt sein müssen. Man darf nicht zu empfindlich sein. Aber zur Zeit gibt es so viel Hass und Unflat, dass sogar ein hartgesottener Altkolumnist wie ich allmählich Angst bekommt. Deshalb stelle ich mir die Frage, was im politischen Streit erlaubt sein muss, und wo die Grenzen liegen, die man nicht überschreiten sollte.

Es muss immer erlaubt sein, konkrete Verfehlungen beim Namen zu nennen, egal, ob es um Einzelpersonen geht oder um Personengruppen. Wenn zum Beispiel Nordafrikaner bestimmte Straftaten häufiger begehen als andere, dann muss diese Tatsache selbstverständlich ein Thema sein. Die Grenze wird dort überschritten, wo der Einzelne, zum Beispiel der einzelne Nordafrikaner, in Sippenhaft genommen wird. Jeder Mensch ist ein Einzelfall, und über diesen Menschen weiß man keineswegs Bescheid, wenn man ihn einer bestimmten Gruppe zuordnen kann, etwa einer Nationalität, einer politischen Richtung oder einem Geschlecht. Man weiß erst dann halbwegs Bescheid, wenn man diesen Menschen ein wenig kennt.

Das Gleiche gilt auch für die Partei AfD. Diese Leute sind kein Freiwild, das jeder nach Belieben herabsetzen und beschimpfen darf. An den Rändern gibt es Rechtsradikale, so, wie es an den Rändern der Linken Linksradikale gibt und an den Rändern der Grünen früher einmal Fans der Pädophilie gab. Aber selbst Radikale sind Menschen, und wenn ich im Umgang mit ihnen die gleiche Hasssprache verwende wie sie, dann bin ich selbst auch nicht besser. Dann gebe ich ihnen in gewisser Weise Recht – Hass ist okay, Hauptsache, es trifft die Richtigen.

Anhänger der Partei Alternative für Deutschland (AfD) halten in Hamburg während einer Kundgebung Fahnen und Plakate hoch.
Anhänger der Partei Alternative für Deutschland (AfD) halten in Hamburg während einer Kundgebung Fahnen und Plakate hoch.

© dpa

Wenn ein Linker wie der Kolumnist Jakob Augstein die AfD-Frau Frauke Petry als Person „widerlich“ nennt und rechte Demonstranten mit dem nur eine Silbe von einem deutschen Traditionswort entfernten Begriff „Unmenschen“ belegt, dann ist das von Argumenten so weit entfernt wie die Erde vom Mars. Das ist einfach nur Hetze.

Es ist immer falsch, Leute auf eine einzige Eigenschaft zu reduzieren, zum Beispiel die Straftäter von Köln auf ihre Eigenschaft „Nordafrikaner“. Sie waren auch junge Männer ohne Bildung und Perspektive. Wenn sich in Köln an Silvester 1000 algerische Hochschulabsolventen mit guten Jobs und Lebenspartnern versammelt hätten, wäre es vermutlich etwas anders gelaufen. Das gleiche Argument, jede Person besteht aus mehr als einer Eigenschaft, gilt für die AfD. Man muss mit den Leuten reden, am besten über etwas anderes als Politik, man muss ihnen in die Augen schauen. Und wenn ich dann immer noch keinen Menschen erkenne, sondern ein widerliches Ungeziefer, dann ist mir nicht zu helfen, dann muss man Angst vor mir haben.

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