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Politik: Hartes Sparen, weiche Rhetorik: abschreckende und erfolgreiche Beispiele für den Kanzler in Paris (Meinung)

So ändern sich die Zeiten: Noch vor kurzem galt der französische Premierminister Lionel Jospin als Inbegriff des politischen Stillstands. Der Pariser Sozialist gefährde den Euro und werde Frankreich endgültig in den Abgrund führen, fürchteten Kritiker im In- und Ausland.

So ändern sich die Zeiten: Noch vor kurzem galt der französische Premierminister Lionel Jospin als Inbegriff des politischen Stillstands. Der Pariser Sozialist gefährde den Euro und werde Frankreich endgültig in den Abgrund führen, fürchteten Kritiker im In- und Ausland. Davon ist heute keine Rede mehr. Die anhaltend gute französische Konjunktur und der Aufschwung am Arbeitsmarkt haben Jospin nicht nur zum beliebtesten Premier der Fünften Republik gemacht. Manch einem gilt der erfolgreiche Franzose neuerdings sogar als Vorbild für den glücklosen Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Lionel Jospin ist sich seines neuen Images durchaus bewusst. Selbstsicherer denn je vertritt er seine Wirtschaftspolitik, die in zwei Jahren eine halbe Million neue Jobs geschaffen hat. Offensiv warb er in dieser Woche in der UN-Vollversammlung in New York für den "French way of life". Ohne Komplexe wird er am Samstag in Genshagen bei Berlin über "Erinnerung und Identität" sprechen. Zum ersten Mal seit seiner Wahl 1997 kann sich Jospin im Glanze seines Erfolges sonnen - während Schröder krampfhaft versucht, aus dem Schatten seiner Wahlniederlagen zu treten.

Aus dieser ungewöhnlichen Situation der französischen Stärke und der deutschen Schwäche sollte man indes keine voreiligen Schlüsse ziehen. Zum einen liegt die Arbeitslosenquote in Frankreich immer noch höher als in Deutschland, viele Strukturprobleme sind ungelöst. Zum anderen steht auch den französischen Sozialisten eine Grundsatzdebatte ins Haus. Sie wird in Paris zwar nicht unter dem Etikett "dritter Weg" geführt - das Schröder-Blair-Papier hat an der Seine nur Kopfschütteln ausgelöst. Aber auch Lionel Jospin muss sich die Frage stellen, wo der Sozialstaat an seine Grenzen stößt und wie er den französischen Mittelstand in seine Reformpolitik einbinden kann. Im Kern geht es in Paris um dieselben Probleme wie in Berlin, nur wird dies stärker mit einer sozial orientierten Rhetorik verbrämt.

Dahinter verstecken sich indes zwei wichtige politische Einsichten. Zum einen möchte der Wähler, der sozialdemokratisch gewählt hat, auch sozial bedient werden. Zum anderen besteht eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu mindestens 50 Prozent aus angewandter Psychologie. Beide Einsichten hat Jospins Vorgänger, der ehemalige Premierminister Alain Juppé, sträflich missachtet. Alain Juppé trat 1995 mit einem sozialdemokratischen Programm an, das ihm Präsident Jacques Chirac im Wahlkampf vorgegeben hatte. Kurz darauf schwenkte er auf einen harten Sparkurs um. Als die Franzosen protestierten - im Herbst 1995 kam es zu wochenlangen Streiks - beharrte Juppé auf einer kompromisslosen Haltung. Dies haben ihm die Franzosen nie verziehen, 1997 wurde der verhasste Ministerpräsident abgewählt.

In gewisser Weise ist Gerhard Schröder heute in einer ähnlichen Lage wie Alain Juppé 1995. Auch er tritt das schwierige Erbe einer durch allzu lange Machtausübung gelähmten Politik an. Juppé musste den Stillstand der letzten Mitterrand-Jahre überwinden, Schröder die bleierne Zeit der Kohl-Ära. Ähnlich wie Juppé verlor Schröder nach wenigen Monaten eine wichtige Trumpfkarte - in Paris war das Wirtschaftsminister Madelin, in Bonn Finanzminister Lafontaine. Und auch die abrupte Wende zu einer als unsozial empfundenen Sparpolitik erinnert an Paris 1995.

Jospin hingegen hat sich als Meister der politischen Psychologie erwiesen. Bei seinem Amtsantritt verlangte er den Franzosen keine neuen Opfer ab, sondern versprach neue Wohltaten à la 35-Stunden-Woche. Den Aufschwung förderte er durch eine leicht expansive Politik. Und nun, da die Steuereinnahmen kräftig sprudeln, wagt sich der Sozialist sogar an Steuersenkungen. Diese Politik lässt sich kaum auf Deutschland übertragen. Doch das Schicksal von Jospins Vorgänger Juppé sollte Schröder zumindest zu denken geben.

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