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Politik: Hat die Kirche Mut, Kardinal Lehmann?

Nein, ganz so lange wie der Papst ist Kardinal Lehmann noch nicht im Amt. 1987 wurde der brillante deutsche Theologe erstmals zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt - als Nachfolger von Kardinal Höffner.

Nein, ganz so lange wie der Papst ist Kardinal Lehmann noch nicht im Amt. 1987 wurde der brillante deutsche Theologe erstmals zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt - als Nachfolger von Kardinal Höffner.

Erst seit kurzem - und das hat wiederum mit dem Papst zu tun - darf Karl Lehmann Kardinal genannt werden. Lange sträubte sich Rom, dem zuweilen widersetzlichen Deutschen diese Ehrung zuteil werden zu lassen. Zur Freude vieler Reformer in der Kirche war es im vergangenen Jahr, am 21. Februar, dann doch so weit: Johannes Paul II. setzte Lehmann bei sonnigem, dabei fast stürmischem Wetter den Kardinalshut auf.

Bei der Auseinandersetzung über die gesetzliche Schwangerenberatung allerdings unterlag die liberaler eingestellte deutsche Kirche, mit Lehmann an der Spitze, gegen die Kurie in Rom - und gegen einen anderen deutschen Kardinal, den Vorsitzenden der Glaubenskongregation Josef Ratzinger.

Wir trafen den jungen, erst 65 Jahre alten Kardinal Lehmann in seinem Heimatbistum in Mainz.

Stirbt die katholische Kirche in Deutschland langsam ab oder befindet sie sich nur in einem Zwischentief?

Keine Kirche hat in ihrer Region eine Garantie für ihre Existenz. Aber ich bin kein Pessimist. Wir sind wohl in einer gewissen Talsohle, doch gerade nach dem 11. September spüren wir ein wachsendes Bedürfnis, sich über Sinnfragen zu unterhalten. Die Terroranschläge haben viele Menschen verunsichert und nachdenklich gemacht. Hier bietet die Kirche einen Raum, existenzielle Erschütterung zur Sprache zu bringen.

Die Zahl der Kirchenbesucher geht zurück. Warum gelingt es Ihnen nicht, die beträchtliche religiöse Nachfrage zu befriedigen?

17 Prozent gehen im Bistum Mainz in die Heilige Messe, das wissen wir. Aber es ist natürlich nicht so, als ob 17 Prozent sonntags in den Gottesdienst kommen, und alle anderen nicht. Das wäre eine Täuschung. Unter den Gottesdienstbesuchern sind welche, die jeden Sonntag kommen, andere alle vier Wochen, wieder andere dreimal im Jahr. Hier sollten wir viel stärker ansetzen und neue Angebote machen. Wir müssen wieder mehr in die Offensive gehen.

Jürgen Habermas hat Ihnen mit seiner Frankfurter Rede zum Friedenspreis eine Traumvorlage gegeben. Der Papst der Linken, der Religion für ein absterbendes Phänomen von Irrationalität hielt, brachte plötzlich das Christentum ins Spiel. Er hat eine Brücke gebaut, aber eine Antwort fehlt. Warum?

Es ist ja sehr schön, wenn nun auch Jürgen Habermas merkt, dass die Kirche wichtiger ist, als er lange Zeit dachte.

Das klingt jetzt ein bisschen überheblich.

Das sollte es aber nicht. Über die Rede habe ich mich sehr gefreut, auch wenn ich ihre Breitenwirkung nicht überschätzen möchte.

Immerhin ist Habermas der geistige Kopf der Linken. Unterschätzen Sie seine Wirkung?

Nein, ich schätze ihn schon seit langem hoch. Ich habe ihn 1968 mal im Zug getroffen. Damals war ich ein junger, unbekannter Professor. Er konnte seinerzeit nicht wissen, wer ich bin, aber ich kannte ihn. Wir kamen ins Gespräch, und er hat mir erzählt, dass er in seiner Familie nie mit Religion in Berührung gekommen ist. Er sei mit dem Glauben nicht von innen her vertraut. Er erzählte mir auch von einem hochbegabten jungen Mitarbeiter, der innerhalb kürzester Zeit an Krebs gestorben ist. Er sagte: Auf ein solches Leid hat die Philosophie keine Antwort. Sie kann keinen Trost geben. Das war ihm schon damals sehr bewusst. Später hat er dies auch öffentlich gesagt. Diese persönliche Frage hat er nun nach dem 11. September allgemeiner reflektiert und sie in Verbindung gebracht mit seinen theoretischen Ansätzen.

Haben Sie sich mit seinem Werk beschäftigt?

Ich lese alles von ihm, die Bücher, aber auch die Zeitungsartikel, wenn er politisch interventiert. Das erste Buch, das ich mir von meinem kargen Taschengeld gekauft habe - in den frühen Sechzigerjahren in Rom - das war "Strukturwandel der Öffentlichkeit" von Habermas. Ich habe es heute noch, es steht da hinten, der Lira-Preis ist drin.

Haben Sie beide in letzter Zeit geredet?

Nein.

Würden Sie es tun?

Sicher, gern.

Mehr reden müssten die Christen nach dem 11. September mit dem Islam. Wo hakt es?

Am Gewaltproblem. Das ist im Islam letztlich nicht gelöst. Der Islam hat ein irgendwie doch ungebrochenes Verhältnis zur Gewalt: der Gott, der sich immer durchsetzt. Mohammed ist ein Krieger, der siegt. Leid und Schmerz darf es nach Vorstellung des Islam eigentlich nicht geben. Das Kreuz und der dreifaltige Gott trennen uns.

Warum streitet die katholische Kirche nicht mit dem Islam über dessen fundamentalistische, anti-demokratische Tendenz?

Es gibt kontroverse Debatten. Die Schwierigkeit ist, Gesprächspartner zu finden. Die offiziellen Repräsentanten des Islam in Deutschland kennen sich mit theologischen Fragen oft weniger aus und beschönigen die Dinge eher. Viele Muslime leben im Ghetto, viele Moscheen in Deutschland sind fundamentalistisch. Das Bild des Westens vom Islam ist teilweise zu heil und zu schön. Unsere Fachleute sind eher skeptisch, was den Dialog angeht. Aber es gibt keine Alternative zu ihm, wenn er klar und zielstrebig geführt wird.

Wie steht es mit der politischen Offensive? Am Anfang der Legislaturperiode gab es Irritationen auf Seiten der Kirchen, weil die neue Bundesregierung unter Schröder sie nicht in gewohnter Weise beachtet, ja hofiert hat. Wie sieht Ihre Bilanz jetzt aus?

Ich habe einen solchen Bruch nicht gespürt. Ich gehöre auch nicht zu denen, die die Adenauer- und Kohl-Zeit verklären. Das Verhältnis der Bischöfe zur Union war über Jahrzehnte stark auf Helmut Kohl konzentriert. Er hat gesagt, wenn Wichtiges mit der Kirche zu regeln ist, dann mache ich das schon: Ich kenne sie alle, die Bischöfe. Wir haben aber dadurch nie rechten Kontakt zu vielen anderen Mitgliedern der Unionsführung bekommen. Heute ist die Lage anders.

Heute wählen alle Bischöfe grün.

Aber nein, wie kommen Sie denn darauf?

Zuwanderung, Gen-Ethik, Stammzellenforschung, Familienpolitik - in all diesen zentralen Fragen ist die katholische Kirche den Grünen näher als der Union.

Das würde ich nicht so sagen. Die Volksparteien haben heute ein breites Spektrum. Aber das Gespräch mit den Grünen lohnt sich. Das letzte große Treffen in Berlin war sehr ernsthaft, spannend und gut. Wir haben aber auch gefragt, warum die Grünen in ihrem Grundsatzprogramm kaum ein Wort verlieren über Religion und Kirche. Sie sind selbst über den Mangel erschrocken. Wir reden ohne Vorurteile miteinander. Unser Standpunkt ist klar. Dazu gehört Streit, wenn es sein muss. Anders bekommt man in der modernen Gesellschaft keinen Respekt. Es bleibt die Frage der Abtreibung.

Das Verhältnis zur Union ist gereizt. Einzelnen Bischöfen platzt der Kragen, und Sie machen dann unter vier Augen gut Wetter - ist das die katholische Arbeitsteilung?

Nein. Jeder von uns kann reden, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Das muss ich nicht billigen. Aber ich kann manche Enttäuschung auf beiden Seiten gut verstehen. Insofern bin ich froh, dass einige Dinge schon mal etwas härter angemahnt werden, als ich als Vorsitzender der Bischofskonferenz das tun könnte. Ich muss mit allen im Gespräch bleiben. Nur leisetreten werde ich nicht. Ich ärgere mich schon grün und grau, was der Pfarrer Hintze in der Biomedizin herumerzählt. Da würde ich mir ein klares Wort der Parteiführung wünschen.

Sie müssen sich ja gerade mehr mit Defensivthemen beschäftigen. Zum Thema Kindesmissbrauch hat sich die Bischofskonferenz bisher nie geäußert. Jetzt steht das Thema erstmals auf der Tagesordnung. Warum?

Es ist absolut falsch, etwas unter der Decke halten zu wollen, was aufgeklärt werden muss. Offenheit muss sein. Wir haben in den letzten Jahren verschiedene, aber im Ganzen und verglichen mit den USA relativ wenige Fälle gehabt. Jeder Fall ist zu viel. Bislang gibt es keine zentrale Statistik. Jedes Bistum regelt das in eigener Verantwortung. Wir werden dennoch wahrscheinlich künftig Richtlinien für alle Bistümer erarbeiten.

Was galt bislang in Ihrem Bistum?

Im Bistum Mainz gilt seit zwanzig Jahren: Wenn einer wirklich pädophil ist, muss er sofort aus dem pastoralen Dienst und dem Umgang mit Kindern entfernt werden. Täter sind im übrigen nicht nur Zölibatäre, es können auch verheiratete pastorale Mitarbeiter sein. So jemand darf nicht einfach an einen anderen Ort versetzt werden, wie das offenbar in einzelnen Diözesen in Belgien, Frankreich und den USA geschehen ist.

Ein anderes Defensivthema ist die Scheindebatte um Bischof Kamphaus. Das Bistum Limburg muss nun auch auf Weisung Roms aus der gesetzlichen Beratung für Schwangere aussteigen. War dieses Ende in Ordnung?

Es war klar, dass sich eine einzelne Diözese auf Dauer keinen Sonderweg leisten kann. Ich habe mich über viele Jahre für einen Verbleib im staatlichen System eingesetzt. Wir haben verloren, aber ich bleibe nicht an der Klagemauer stehen. Wir müssen die Beratung fortsetzen und neue Felder erschließen.

Wie sehen die aus?

Vor allem in Großstädten kommen jetzt einzelne Frauen, die sagen, den Schein habe ich, aber ich will trotzdem mit Ihnen reden, was ich jetzt tun soll. Es kommen Frauen, die früher einmal abgetrieben haben und jetzt sagen, ich will das Kind behalten, wie können Sie mir helfen? Auch kommen inzwischen einzelne Männer alleine zur Beratung. Wir haben ein neues Programm zur Schwangerenberatung im Internet eingerichtet. Wir arbeiten an einer stärkeren Vernetzung mit Gemeinden und anderen kirchlichen Einrichtungen. Ich habe aber immer auch gesagt, dass ich die Bedenken derer verstehe, die in die Zweideutigkeit des Scheins nicht länger verwickelt sein möchten.

Also hat der Papst doch Recht?

In meinen Augen lässt sich auch heute nicht entscheiden, wer Recht hat. Ich glaube immer noch, dass ich für etwas Gutes gekämpft habe. Dennoch wurde anders entschieden, darunter habe ich gelitten. Im Übrigen war das keine rein römische Entscheidung. Es war auch ein deutscher Stellvertreterkrieg, der nach Rom exportiert worden ist.

Warum dieser Machtkampf zwischen den mächtigsten und klügsten deutschen Katholiken, Karl Lehmann und Joseph Ratzinger?

Es gab keinen solchen Machtkampf. Ich würde ihn vermutlich auch sonst verlieren. Aber wir haben gerungen. Ich halte Ratzinger bis heute für einen genialen Theologen. Er hat nach dem Papst das mit Abstand schwerste Amt. Es ist außerordentlich schwierig, die Gedanken, die Lehre und das Gewissen anderer Menschen zu beurteilen. Ich bin sicher, dass man Ratzingers Lebensleistung im Rückblick noch sehr viel positiver würdigen wird als heute. Ratzinger ist eine überdurchschnittliche Gestalt. Wenn Leute ihn kritisieren, sage ich denen immer, bellen Sie nicht den Mond an. Er hat manche radikale Position von rechts verhindert. Theologisch ist er ein Mann der Mitte.

Beneiden Sie Ratzinger manchmal, wenn Sie selbst als geistlicher Beistand der Deutschland AG bis zum Hals im Konsens stecken?

Sehen Sie mich so? Ich sehe mich anders. Wenn es notwendig ist, rede auch ich klar.

Der Papst ist schwer krank. In Wirklichkeit regieren die Kurienkardinäle. Wird dadurch die päpstliche Autorität nicht beschädigt?

Das sehe ich nicht so. Weder ich noch Freunde und Bekannte haben den Papst jemals geistig verwirrt angetroffen. Er hat in den entscheidenden Dingen das Heft in der Hand. Der Papst trägt sein Leiden auch mit großer Vorbildlichkeit. Das ist für viele Menschen, gerade kranke Menschen, sehr wichtig: Da steht jemand, der stellt sich seiner Aufgabe auch in der Krankheit. Er läuft nicht davon, also laufe ich auch nicht davon.

Welche Eigenschaften muss denn Johannes Paul III. haben?

Werden wir jemanden finden, der diese Lücke füllen kann? Papst Johannes Paul II. hat Unglaubliches geleistet. Er hat Maßstäbe gesetzt, die weit über seine Zeit hinausreichen.

Also nach Möglichkeit weiter so?

Ich möchte keinen Papst, der in Grundsatzfragen eine weiche Haltung einnimmt. Die Kirche braucht für dieses Amt einen starken, entschlossenen Mann, der führen kann. Der Vatikan schaut schon längst weit in das dritte Jahrtausend hinein. Da ist Europa nicht mehr der Nabel der Welt. Kardinal Ratzinger hat die kühne Überlegung vorgetragen, es könnte auch einen afrikanischen Papst geben. Wir sind offen wie nie. Ja, das ist gut so: Der Geist weht, von woher er will.

Stirbt die katholische Kirche in Deutschland langs

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