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Politik: Hauptsache harmonisch

In Prag ehren NS-Opfer Kanzler Schröder. Und Premier Spidla rühmt die Beziehungen zu Berlin

Ein Mittagessen mit dem Amtskollegen, dem „lieben Wladimir“, im Restaurant „Goldenes Prag“, ein gemeinsamer Spaziergang über die Karlsbrücke, zum Ausklang ein Gläschen Bier in einer urigen Vorstadtbrauerei – Gerhard Schröder hatte am Freitag einen entspannten Staatsbesuch in Tschechien. Dazu kam eine „sehr spontane Entscheidung“, wie Ministerpräsident Wladimir Spidla sagte, „ohne dass die Politik das in irgendeiner Weise bestellt hätte“. Drei tschechische Verbände, zusammengeschlossen im Rat der Opfer des Nationalsozialismus, ehrten den Kanzler „als ersten Menschen auf dieser Welt“ mit ihrer neu geschaffenen Verdienstmedaille. Schließlich, so Oldrich Stransky, Auschwitz-Überlebender und Vorsitzender der Opferverbände, „sind wir tschechischen Zwangsarbeiter auch die ersten gewesen, die von Deutschland entschädigt worden sind“.

Dass tschechische Nazi-Opfer einen deutschen Bundeskanzler ehren, wäre im 20. Jahrhundert undenkbar gewesen. Schröder reagierte darauf mit diesem „so richtigen Satz, den ich irgendwo gelesen habe“. Der Kanzler sagte: „Man darf die Vergangenheit nicht verdrängen. Man muss sich erinnern, man muss über sie reden. Aber die Vergangenheit darf die Zukunft nicht beherrschen und dem Wohlergehen der Völker nicht im Wege stehen.“ Spidla rühmte den Entschluss der Regierung Schröder von 2000, zur Entschädigung der tschechischen Zwangsarbeiter einen Fonds – „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ – zu errichten, als „Zeichen, dass Politiker wagemutig und entscheidungsfreudig sein sollen“. Schröder gab das Lob nicht zurück, sondern erklärte sich schlicht „sehr berührt von der Ehrung“. Er erwähnte nicht, dass Spidla es als erster tschechischer Politiker gewagt hat, im Parlament eine Entschädigung für die nach 1945 unterdrückte deutsche Minderheit im Land anzukündigen.

Die beiden Regierungschefs hatten die programmgemäß vorgesehenen 40 Minuten miteinander verbracht. Ohne jene Verlängerung, die Politiker bei Staatsbesuchen gerne einbauen, um zu zeigen, wie gut sie sich verstehen. Auf Stippvisiten reduziert waren Schröders Treffen mit dem Staatspräsidenten und den Chefs der beiden Parlamentskammern. Die Zeitung „Lidove noviny“ beschwerte sich über den „Blitzbesuch“: Mehr als das Abarbeiten des diplomatischen Protokolls passiere da nicht. Tschechiens Regierungschef störte das bei der gemeinsamen Pressekonferenz nicht. Die Beziehungen zwischen Tschechien und Deutschland, sagte er, stünden „auf dem höchsten Niveau in der Geschichte beider Länder.“ Immerhin bescheinigte Schröder ihm dann, durch die Beseitigung von „Irritationen“ sehr dazu beigetragen zu haben. Vermutlich in Anspielung auf Spidlas Vorgänger Milos Zeman. Der hatte Anfang 2002 die Sudetendeutschen „Hitlers Fünfte Kolonne“ genannt. Schröder verzichtete daraufhin auf einen geplanten Tschechien-Besuch.

Noch vor ein paar Tagen hatten sich in Prag die Abgesandten kleinerer und mittlerer EU-Länder getroffen, um ihre Bedenken gegenüber der künftigen europäischen Verfassung zu sammeln. Jetzt wiederholte Schröder die Haltung der „Großen“, er sei gegen ein Aufschnüren des Verfassungskompromisses. Änderungswünsche einzelner könnten „das Ganze“ gefährden. Spidla sagte dazu, er sei „ähnlicher Ansicht“; man müsse „Rücksicht auf das Gesamtinteresse“ nehmen und zu einem Ergebnis kommen. Dass Tschechien andere Ansichten hat – irgendwie sei alles eine Frage des Verhandelns, sagte Spidla. Es klang nicht so, als dränge ihn etwas.

So herrscht nach dem Prager Treffen wieder europäische Einigkeit? Nun, bis man in Rom einen bestimmten Zusammenhang herstellt: Tschechiens Präsident Vaclav Klaus hat extra eine Italienreise abgesagt, um Schröder zu treffen. Der wiederum ist lieber nach Hannover als nach Italien in den Urlaub gefahren. Wenn da Berlusconi nicht auf den Gedanken kommt, es braue sich etwas zusammen…

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