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Politik: Hauptstadt, nicht Zentrale

Von Gerd Nowakowski

Von ganz oben, von der gläsernen Kuppel des Reichstags aus, können die Besucher ganz Berlin überblicken – jedes Jahr tun das hunderttausende Deutsche und erzählen hinterher begeistert daheim, was sich in ihrer Hauptstadt getan hat. Aus Misstrauen, die ewigen Kostgänger von der Spree würden das Geld des Bundes verschwenden, wächst Stolz. Die Stadt entfacht eine Begeisterung, die Bonn nie erfuhr – ein Rutschbahneffekt der besonderen Art.

Wirkliche Hauptstadt zu werden, dazu brauchte es mehr als den papiernen Umzugsbeschluss von 1992. Geschichte geworden sind die leidenschaftliche Ablehnung und die stillen Verzögerungen des Umzugs. Die Berlinklausel, auf die sich jetzt die Föderalismuskommission für eine Grundgesetzänderung einvernehmlich verständigt hat, kann der zweite Schritt der Hauptstadtwerdung sein. Sie ist zugleich das Bekenntnis der Bundesländer zu ihrer Hauptstadt.

Berlin findet immer mehr in seine Rolle, und das Land sagt nun, was ihm die Hauptstadt wert ist. Um diesen Platz zu finden, brauchte es Zeit und die persönliche Erfahrung der Menschen mindestens ebenso dringend wie die zahlreichen öffentlichen Debatten über die Funktion der Hauptstadt. So wächst Akzeptanz. Nur auf dem Umweg über die Bundesländer konnte die neue, alte Hauptstadt ins Zentrum rücken. Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau hat damit Recht behalten. Den Wunsch von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit nach einer vom Staatsoberhaupt geführten Hauptstadtkommission hatte Rau abgelehnt. In Sachen Hauptstadt kann Zentralismus nur schädlich sein.

Hauptstadt kostet Geld, die gibt es nicht umsonst. Die Hauptstadtklausel bleibt hinter dem zurück, was Klaus Wowereit ins Grundgesetz geschrieben haben wollte – eine konkrete finanzielle Absicherung der kulturellen und hauptstädtischen Aufgaben. Doch in eine Zeit, in der Bundespräsident Horst Köhler sinniert, ob das Gleichheitsgebot im Grundgesetz noch angemessen ist, passt das nicht. Weit wichtiger für Berlin, als dass die Hauptstadt nun im Grundgesetz verankert wird, sind die festgeschriebenen Aufgaben des Bundes bei der „Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt“. Was bescheiden daherkommt als Nachsatz, „das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt“, wird mittelfristig Wirkung entfalten. Es verpflichtet die Bundesregierung, jene finanzielle Ausgestaltung auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage zu stellen, die bisher in vielerlei Vereinbarungen und Verträgen festgelegt ist.

Das kann die finanziellen Probleme des Landes Berlins nicht lösen, aber dazu beitragen wird es allemal. Seine Hausaufgaben muss der Senat schon selbst machen: die Verwaltung modernisieren, die Ausgaben kürzen, die Wirtschaftsförderung effektiver machen. Das gilt auch für die Klage Berlins vor dem Verfassungsgericht in Karlsruhe auf Hilfe des Bundes bei der Bewältigung der Haushaltsnotlage. Obsiegt Berlin, wird das die Bereitschaft des Bundes zudem nicht befördern, dann ein zweites Mal in die Kasse zu greifen. Dann wird die Frage einer Fusion von Berlin und Brandenburg, die von der künftigen Potsdamer Regierungskoalition von der Tagesordnung genommen wurde, wieder aktuell.

Eine zuversichtliche Nation braucht eine kraftvolle Hauptstadt, hat Bundespräsident Köhler kürzlich gesagt. Davon ist Berlin noch weit entfernt. Aber die Aufgabe der Stadt, der Bundesrepublik ein Gesicht zu geben, ist damit skizziert.

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