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Eine etwas unwillig aussehende Angela Merkel (CDU) und ein Peer Steinbrück (SPD), der ihr etwas kraftlos die Leviten liest: Die Debatte im Bundestag.

© dpa

Haushaltsdebatte im Bundestag: Na dann, hurra!

Frechheit siegt. „Diese Regierung ist die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung“, sagt Angela Merkel im Bundestag. Ein Satz, der selbst Union und FDP verblüfft. Kontrahent Steinbrück ist da zwar etwas anderer Ansicht, aber besonders fulminant ist seine Gegenattacke dann doch nicht.

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Einen halben Bundestag zu verblüffen ist so ganz einfach ja nicht. Aber der tosende Applaus, in den die rechte Hälfte des hohen Hauses am Mittwoch kurz vor Mittag ausbricht – man kann ihn kaum anders nennen als eben: verblüfft. Begeistert hauen sie bei Union und FDP die Hände aufeinander, gucken ihren Nachbarn an mit Blicken, in denen das blanke Erstaunen steht. Sie staunen über sich selbst. Die Kanzlerin hat sie gelobt. Allerdings auf eine Art und Weise, wie sie das bisher nicht kannten. Gewiss, die Tradition gebietet es, dass bei der Generaldebatte in der Haushaltswoche die Opposition der Regierung Versagen vorzuwerfen und die Regierung sich zu verteidigen hat. Aber muss die Verteidigung gleich in so einem Satz gipfeln? Niedrigste Arbeitslosigkeit, die meisten Ausgaben für Bildung und Forschung seit Jahrzehnten, die größte Entlastung der Kommunen: „Ein nüchterner Blick auf die Fakten zeigt“, sagt Angela Merkel, „diese Regierung ist die erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung!“

Eine Schrecksekunde nur, dann bricht auf der rechten Seite ein Beifall los, der deutlich mehr ist das Pflichtgemäße. So toll sind wir? Ja... äh... wenn die Kanzlerin das sagt. Na dann, hurra!

Auf der linken Seite des Hauses sind sie mindestens so verblüfft. Es dauert eine ganze Weile, bis der erste Zwischenrufer sich regt. Was er ruft, geht in der schwarz-gelben Selbstbejubelung unter. Dass diese Bundesregierung eher Anwärter auf die schlechteste Darbietung seit Menschengedenken ist, gilt ja nun eigentlich als ausgemacht. Regelmäßig bescheinigen Umfragen, dass die große Mehrheit aller Deutschen das genau so sieht. Und da kommt die Chefin des Desasters her und behauptet einfach mal das Gegenteil: „Erfolgreichste Regierung seit der Wiedervereinigung.“

Frechheit, hat sich Merkel wahrscheinlich gedacht, Frechheit siegt. Das kommt um so verblüffender, als die Abgeordneten gerade eine frühmorgendliche Krisensitzung hinter sich haben wegen der sehr, sehr unangenehmen Lage in Sachen Griechenland. Außerdem hat das Plenum danach eine halbe Stunde lang eine Kanzlerin in der Regierungsbank hocken sehen, deren Miene so senfig war wie das Gelb ihres Jacketts. Kein einziges Mal hat sie zum Rednerpult geschaut, hat den Kopf sogar, als er einmal gewohnheitsmäßig nach links driftet, mit kurzem Ruck zurechtgewiesen. Dem Mann da vorn am Pult – kein Blick sei dem gegönnt.

Der Mann da vorn ist der Angreifer, und eigentlich ist ja eher er der Typus Rampensau. Aber Peer Steinbrück hat sich für sein zweites Duell ersichtlich vorgenommen, einfach nur Peer Steinbrück zu sein. Das ist vermutlich klug. Der SPD-Kanzlerkandidat hat in den letzten Wochen oft das Wort „Fehlstart“ lesen müssen; gerade ist ihm sein Online-Berater abhanden gekommen, weil keiner gemerkt hatte, dass dieser Roman Maria Koidl seine multiplen Talente zum Geldmachen gelegentlich auch in den Dienst von Hedgefonds, auf gut sozialdemokratisch also „Heuschrecken“ gestellt hat. Ein Steinbrück, der in dieser Lage voll auf den Putz hauen würde, sähe leicht aus wie ein Steinbrück, der es nötig hat.

Altmaier ist verschnupft - aber nur medizinisch

Das Plenum hat jedenfalls schon fulminantere Auftritte erlebt. Als er kurz nach elf Uhr sein dunkelblaues Jackett zuknöpft und ans Podium tritt, liefert er erst mal eine Expertenanalyse. Begriffe wie „Wertschöpfungskette“ oder „dreisäuliges Kreditwesen“ ziehen Zuhörer ohne volkswirtschaftlichen Diplomabschluss nicht direkt in ihren Bann. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Steinbrück immer wieder Klartext-Sätze knallen lässt und böse Bilder aufmalt – von der Koalition als „Neuauflage der Panzerknackerbande“, die sich am Tafelsilber der Republik vergreife, oder vom Elend in Schwarz-Gelb: „Diese Koalition kämpft nur mit und um sich selbst, aber sie kümmert sich nicht um die konkreten Probleme dieses Landes.“

Von der Diskriminierung von Frauen im Arbeitsleben bis zum angeblich missglückten Ausbau der Stromversorgung nach dem Atomausstieg reicht Steinbrücks Liste der Versäumnisse; da wird er sogar heftig: „Jede Frittenbude in Deutschland wird besser gemanagt als diese Energiewende!“ Auf der Regierungsbank ist Umweltminister Peter Altmaier voll mit seinem Handy beschäftigt. Altmaier sieht verschnupft aus, was auch zutrifft, aber bloß medizinisch.

In der Attacke auf Merkels Politik hat der SPD-Kandidat seine Stärke. Auf einen Punkt gebracht lautet der Vorwurf: Viele tolle Worte, wenig Substanz. „Frau Bundeskanzler, Sie sind mit Ihrer Semantikabteilung Weltmeisterin in der Erfindung von Etiketten“, hält er Merkel vor – Etiketten wie „Lebensleistungsrente“seien „blanker Zynismus“. Wobei, etwas von der Abteilung könnte er selber vielleicht gebrauchen, da, wo es um sozialdemokratische Kernthemen geht wie zum Beispiel die Gleichberechtigung für Frauen. Die Koalition habe kein „Entgeltgleichheitsgesetz“ auf den Weg gebracht, moniert Steinbrück. Das klingt nach Finanztechnik, nicht nach Gerechtigkeit.

Eine Botschaft aber ist ihm erkennbar wichtig, sie ist der Aktualität geschuldet, und sie trifft genau den wunden Punkt des Tages. Die Kanzlerin verschweige systematisch, dass die Rettung Griechenlands den deutschen Steuerzahler viel Geld kosten werde. „Machen Sie sich selbst ehrlich und endlich eine klare Ansage“, ruft er Merkel zu. „Die Finanzlücke Griechenlands ist ohne eine Inanspruchnahme des deutschen Steuerzahlers nicht zu schließen.“

Merkel guckt bei diesen Sätzen besonders missmutig vor sich hin. Ein paar Plätze weiter wischt Finanzminister Wolfgang Schäuble auf seinem iPad vor sich hin. Merkel wird Schäuble nachher loben, weil er die ganze Nacht in Brüssel mit den Finanzministerkollegen der Eurozone durchverhandelt hat und jetzt „immer noch gut hier auf der Regierungsbank sitzt“. Da applaudiert auch die Opposition gerne mit, anders als zum Beispiel bei Merkels nächster Frechheit: „Wir haben die Praxisgebühr abgeschafft“, sagt die Kanzlerin, „da sagen Sie einfach mal: Danke an die FDP, die das möglich gemacht hat!“ Für diese Abschaffung der Praxisgebühr hat zwar vor zwei Wochen praktisch das gesamte Haus die Hand gehoben, aber der FDP dafür danken, die das in der Koalitionsrunde durchgesetzt hat – nee, das ginge zu weit.

Schäuble Respekt zollen, das ist etwas anderes

Schäuble Respekt zu zollen ist etwas anderes. Der Minister hat morgens, kaum wieder aus Brüssel in Berlin gelandet, eine Tour durch die Fraktionen gemacht. Die Müdigkeit angesehen haben sie ihm nicht, als er erst der Union und dann FDP, SPD und Grünen erläutert hat, warum sich die Euro-Minister untereinander und mit dem Internationalen Währungsfonds bis in die Frühe gestritten haben, wie man den Griechen aus der jüngsten Finanzklemme helfen könnte. Es gäbe dafür ja durchaus Wege. Nur gilt für sie, lässt man alle komplizierten Details mal beiseite, eine schlichte Faustregel: Je gerader so ein Weg verläuft, desto eher muss der deutsche Steuerzahler ihn bezahlen.

„Die Stunde der Wahrheit ist da“, wird Steinbrück später im Bundestag in Richtung Regierungsbank rufen. Das ist seine Hoffnung. Wenn es plötzlich um hartes Geld gehen würde, kann die nächste Abstimmung im Bundestag für die Koalition sehr schwierig werden. Dann könnte auch im Volk der Panzer der Beliebtheit, der diese Angela Merkel undurchdringlich zu schützen scheint, Risse bekommen, und ihr Ruf als Hüterin des deutschen Schatzes in der Krise gleich mit.

Schäuble hat also eine schwere Aufgabe, nicht nur auf internationalem Parkett. Und so wandert er durch die Fraktionen; zeigt sich optimistisch, dass beim nächsten Treffen der Minister am Montag eine Lösung kommt, zeigt sich sicher, dass diese Lösung den Bundeshaushalt nicht belasten werde. Dass Steinbrück – nein, nicht fordert, sondern listig-sanftmütig nur „bittet“, im Lichte der griechischen Unsicherheiten die Verabschiedung des Bundeshaushalts um eine Woche zu verschieben – die Koalition lässt sich darauf nicht ein.

Aber sicher sind sie sich selber nicht, ob sie ihrem Minister glauben dürfen. Als Schäuble in der FDP-Fraktion vorträgt, eine gute halbe Stunde lang, wird es Minute um Minute stiller im Saal. Keine Mehrbelastung für den Bundeshaushalt? Auch keine Mehrbelastung für die bundeseigene KfW-Bank? Und trotzdem sollen irgendwoher mindestens zehn Milliarden kommen, die die Griechen brauchen, wenn sie mehr Zeit bekommen sollen für ihre Reformprogramme? Nur ein Liberaler wagt sich mit der Frage aus der Deckung, womit man das denn bezahlen wolle. Schäubles Antwort blieb, sagen Ohrenzeugen, mehr im Ungefähren.

Eine sehr nachdenkliche Fraktion strebt hinterher dem Aufzug Richtung Plenarsaal zu. „Panta rhei“, zitiert eine Abgeordnete, was Griechisch ist und „alles fließt“ heißt. Der antike Philosoph Heraklit hat dabei nicht an deutsche Euro gedacht. Die FDP schon. Auch bei der Union wirken sie unfroh. „Zwei Jahre kosten Geld, das ist keine Frage“, stellt ein Wirtschaftspolitiker resigniert fest. Vielleicht jubeln sie deshalb ihrer Kanzlerin so zu, als die auf einmal den Gerhard Schröder gibt. Das haben sich ja viele immer gewünscht, dass Angela Merkel wenigstens etwas vom Wahlkampf-Furor ihres Vorgängers hätte. Nur haben sie dabei vielleicht eins nicht mitbedacht: Dass der immer besonders laut röhrte, wenn er mit dem Rücken zur Wand stand.

(Mitarbeit: Antje Sirleschtov)

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