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Demonstration der Geschlossenheit. Premierminister Erdogan (rechts), hier mit Generälen am Mausoleum von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk, will eine Front gegen Syriens Machthaber Baschar al Assad schmieden.

© AFP

Update

Heikle Mission am Bosporus: Premier Erdogan will Putins Haltung im Syrienkonflikt bereden

Die Türkei will Russland dazu bewegen, auf Distanz zur Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al Assad zu gehen. Nur wenige Stunden vor den Gesprächen kommt es wie zum Beleg für die Gefahr zu heftigen Gefechten im türkisch-syrischen Grenzgebiet.

Bomben und Verhandlungen: Wenige Stunden vor Beginn von Gesprächen zwischen der türkischen Regierung und dem russischen Präsidenten Putin über die Lage in Syrien hat die syrische Luftwaffe heute morgen erneut Stellungen der Rebellen in unmittelbarer Nähe der türkischen Grenze bombardiert. Die Luftangriffe mit schweren Explosionen nur wenige Meter von der türkischen Grenzstadt Ceylanpinar entfernt dürften von Erdogan in seinem Treffen mit Putin in Istanbul angesprochen werden: als Beleg für die Gefahr, die der Syrien-Konflikt für die Türkei bedeutet. Ob sich der russische Präsident davon beeindrucken lässt, wird sich bei einer Pressekonferenz von Erdogan und Putin heute um 14.30 Uhr MEZ herausstellen.

Die Türkei will Russland dazu bewegen, auf Distanz zur Regierung des syrischen Präsidenten Baschar al Assad zu gehen. „Russland hat den Schlüssel“, sagte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan vor einem eintägigen Istanbul-Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin an diesem Montag. Sollte Russland seine Haltung im Syrien-Konflikt „positiv“ verändern, werde sich auch der Iran als weiterer wichtiger Verbündeter Assads der internationalen Absetzbewegung anschließen, sagte Erdogan. Allzu fordernd dürfte er bei Putin allerdings nicht auftreten, denn Spannungen mit ihrem wichtigsten Energielieferanten möchte die Türkei vermeiden.

Erdogans Syrien-Mission beim russischen Präsidenten ist Teil einer breit angelegten Initiative Ankaras, die das Ziel hat, den Druck auf Assad zu erhöhen. In wenigen Tagen wird UN-Generalsekretär Ban Ki Moon in der Türkei erwartet, wo er unter anderem ein Lager für syrische Flüchtlinge besuchen will. Auch die Bitte um Stationierung von Patriot-Raketenabwehrsystemen der Nato im türkisch-syrischen Grenzgebiet gehört dazu. Das Bündnis will in den kommenden Tagen formell grünes Licht zur Stationierung geben.

Hinter den Bemühungen steht die Sorge, dass bei einer weiteren Eskalation in Syrien neue Belastungen für die Türkei entstehen könnten, etwa in der Flüchtlingsfrage. Nach türkischen Angaben muss sich Ankara auf die Versorgung von bald 200 000 Menschen vorbereiten. Demnach befinden sich 130 000 Syrer in Auffanglagern, weitere 40 000 sind außerhalb der Lager in der Türkei untergekommen. Darüber hinaus warten rund 25 000 Syrer an der langen Grenze zur Türkei, werden wegen Platzmangels in den Lagern derzeit aber nicht ins Land gelassen.

Bei Putin will Erdogan deshalb darauf dringen, dass Russland zumindest etwas von Assad abrückt, um den syrischen Präsidenten international weiter in die Isolation zu treiben. Ankara beobachtet seit einiger Zeit diskrete Positionsveränderungen bei den Russen. Die Türken fragen sich nun, wie weit Moskau dabei gehen will und welche konkreten Folgen dies haben könnte.

Außenminister Ahmet Davutoglu erklärte kürzlich, auch Russland sei von der Notwendigkeit eines politischen Wandels in Damaskus überzeugt. Der Unterschied zwischen der türkischen und der russischen Haltung bestehe in der Antwort auf die Frage, ob dieser Wandel mit oder ohne Assad bewerkstelligt werden solle. Ähnlich äußerte sich vor dem Putin-Besuch der russische Botschafter in der Türkei, Wladimir Iwanowski.

Ursprünglich hatte Putin die Türkei bereits im Oktober besuchen wollen, die Reise dann aber verschoben. Erdogan betonte damals, die Verschiebung habe nichts mit dem Streit um das syrische Flugzeug zu tun, das von den türkischen Behörden auf dem Weg von Moskau nach Damaskus in Ankara zur Landung gezwungen worden war, weil es angeblich Rüstungsgüter für Assads Armee an Bord hatte.

Botschafter Iwanowski gab nun erstmals bekannt, was die Maschine transportierte: eine vertraglich vereinbarte Lieferung von reparierten Ersatzteilen für die Radaranlage einer syrischen Luftwabwehr-Batterie. Die beschlagnahmte Ladung befindet sich nach wie vor in Ankara, doch Türken und Russen wollen den Streit begraben. Iwanowski sagte, das Thema sei erledigt und werde beim Putin-Besuch nicht mehr angesprochen werden.

Erdogan dürfte das recht sein. Die Türkei bezieht 60 Prozent ihrer Erdgas-Importe und 35 Prozent ihrer Öleinfuhren aus Russland und hat kein Interesse an einem ernsten Zerwürfnis mit Moskau. Auch sind die jährlich rund 3,5 Millionen russischen Urlauber wichtig für den türkischen Tourismussektor – so wichtig, dass es in Antalya ein Hotel gibt, das als Kreml-Kopie errichtet wurde.

Die in den vergangenen Jahren erzielte Verbesserung der türkisch-russischen Beziehungen könnten beim Besuch Putins mit einer ganz besonderen Abmachung gekrönt werden, wie die türkische Presse meldete: Der russische Gaskonzern Gazprom, der schon den Bundesligisten Schalke 04 unterstützt, will demnach Hauptsponsor des türkischen Fußballclubs Antalyaspor werden.

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