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Politik: Heimspiel

Ihr Landesverband Mecklenburg-Vorpommern wählt Unions-Kanzlerkandidatin Merkel auf Platz eins

Der Saal in der Verwaltungsfachhochschule Güstrow hat sich gut gehalten seit den 50er-Jahren. Solides Parkett, Vorhänge irgendwo zwischen Weinrot und Rostbraun, die Leuchter sind Geschmackssache. Der Saal ist übersichtlich, im Rheinland würde er reichen für einen Kreisparteitag. In Mecklenburg- Vorpommern genügt er für die Landes- CDU. 138 Delegierte sind am Samstag versammelt, um die Liste für die Bundestagswahl aufzustellen, und klatschen Angela Merkel Beifall. 136 von 137 abgegebenen Stimmen bekommt sie, das sind 99,3 Prozent, und damit ist die Kanzlerkandidatin die Nummer eins. Sie freue sich, „zu Hause, in meinem Landesverband“, zu sprechen, sagt sie. Es ist fast die einzige Referenz an ihre Herkunft. Zwar begrüßt Ex-Ministerpräsident Alfred Gomolka die Kandidatin als „eine von uns“, aber der Beifall wird stärker, als er hinterherschiebt, sie sei auch „eine für alle, für ganz Deutschland“. Sonderwahlkampf Ost? „Irritierende Untertöne“ sagt Gomolka.

Merkel scheint sich aber wohl zu fühlen in dem altmodischen Saal, der im Westen längst sein Gesicht verloren hätte. Vielleicht ist es auch die Tatsache, dass der Vorsprung von Schwarz-Gelb in den Umfragen zu schrumpfen beginnt. Wie auch immer: Der CDU-Chefin gelingt der erste Wahlkampfauftritt nach der Auflösung des Bundestags besser als die fahrige Vorstellung bei der Debatte zur Vertrauensfrage des Kanzlers vor drei Wochen. Es ist eine Rede ohne Watte und Schmus. Sie klingt wie Kurt Biedenkopf ohne den Professorenton. Das Wörtchen sozial kommt wenig vor, vom Nationalen und von der Geschichte, Helmut Kohls Lieblingsmetier, ist fast nicht die Rede. Merkel predigt den Wettbewerb.

Dieser Wettbewerb ist die Globalisierung. Merkel geht es nicht darum, wie man deren Auswirkungen sozial abfedert. Sie fragt: Wie können wir Gewinner des Prozesses sein? „Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass immer die anderen vorne sind“, ruft sie. „Was Arbeit schafft, muss wieder eine Heimat in Deutschland haben.“ Und damit meint sie Gentechnik, Biotechnologie, „die Dinge, die rund um den Computer passieren“. Und deshalb müssten Hürden abgebaut werden. „Wir haben nur eine Chance im europäischen Wettbewerb mit den anderen, wenn wir europäische Vorgaben nur noch eins zu eins umsetzen.“ Rot-Grün aber habe draufgesattelt. Wettbewerb ist auch das Schlüsselwort in der Bildungspolitik, der Wettbewerb der Länder, dessen Ergebnis im Pisa-Test abzulesen sei.

Merkel sagt nicht, die Renten seien sicher. Im Gegenteil: Ihr Vorhaben, Lohnnebenkosten durch eine höhere Mehrwertsteuer zu senken, rechtfertigt sie mit dem Hinweis, andernfalls gingen noch mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze verloren – „und dann können wir in fünf bis sechs Jahren Renten wie heute nicht mehr bezahlen“. Ihr Vorbild ist Schweden, auch ein Seitenhieb auf Rot-Grün, wo Skandinavien hoch im Kurs steht. In Schweden habe man es geschafft, die Arbeits- von den Sozialkosten zu entkoppeln, schwärmt Merkel. Sie erwähnt auch den schwedischen Mehrwertsteuersatz: 24 Prozent.

Apropos Steuer. „Alle wollen den Bierdeckel, aber wenn man sagt, das geht nicht ohne Abschaffung der Ausnahmen, dann wird es schwieriger“, sagt die CDU-Chefin. Sie verteidigt die Kürzung der Pendlerpauschale, die bei CDU-Politikern im Osten unbeliebt ist – mit dem Hinweis, sie bringe Geringverdienern, die ohnehin wenig Steuern zahlten, gar nichts, sondern nütze „gut verdienenden, alleinstehenden Männern mit weitem Weg zur Arbeit“. Bei der schrittweisen Abschaffung der Steuerfreiheit auf Nacht- und Sonntagszuschläge erwartet Merkel, dass die Reduzierung dieser staatlichen Lohnsubvention in den Tarifverträgen ausgeglichen wird, also von den Arbeitgebern.

Nach ihrer Wahl bekommt die Kanzlerkandidatin von Eckhardt Rehberg, der im Herbst in den Bundestag will und als CDU-Landeschef am Samstag von Jürgen Seidel abgelöst wurde, ein Leuchtturmmodell als Geschenk. Rehberg wünscht ihr „Mut und Zuversicht“. Merkel winkt in die Kameras, und für einen Moment gelingt ihr die joviale Schröder’sche Siegesgeste: Hände ineinander, seitlich auf Kopfhöhe schwingen. Aber dann winkt sie doch lieber nur mit einer Hand.

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