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Politik: Heiner Geißler und Lothar Bisky beim Schlagabtausch in der Katholischen Akademie

Der Parteivorsitzende der PDS trägt ein schwarzes Hemd mit weißem Schlips. Bisky, der Leihpfarrer?

Der Parteivorsitzende der PDS trägt ein schwarzes Hemd mit weißem Schlips. Bisky, der Leihpfarrer? Immerhin ist das hier die Katholische Akademie von Berlin. Vielleicht, denkt Bisky, fällt er dann nicht so auf. Heiner Geißler spürt solche Beschwernis nicht. Er hält das andere Ende des Tisches in einer Pose des flegelnden Sitzens oder sitzenden Flegelns. Heiner Geißler, der ideelle Gesamtproletarier der CDU.

Über die "soziale Gerechtigkeit" wollen sie reden. Und darüber, wer mehr davon versteht. Wenn man dieses Wort heute überhaupt noch versteht. Papst Leo XIII., sagt Heiner Geißler, schrieb 1891 die Enzyklika "Rerum novarum". Lothar Bisky sieht Geißler interessiert an, auch wenn politische Debatten heute nur noch ausnahmsweise mit Neunzehntem-Jahrhundert-Päpsten beginnen. Aber das, fährt Geißler fort, war genau 43 Jahre zu spät. Denn längst war eine andere Enzyklika unterwegs, mit durchschlagendem Erfolg. "Ein Gespenst geht um in Europa", zitiert Geißler. Bisky lächelt. Und bis 1989 habe es gedauert, die letzten Reste des Gespenstes zu verscheuchen. Bisky lächelt nicht mehr. Demnach, fasst Geißler zusammen, handele es sich beim "Kommunistischen Manifest" um die falsche Antwort auf eine richtig gestellte Frage. Geißlers Miene lässt keinen Zweifel daran, wer schließlich die richtige Antwort wusste. Der Kreativverbund Leo XIII.-Geißler (katholische Soziallehre)-CDU.

Bisky kündigt an, weder zum Gespenst noch zu seinen Resten hier und jetzt eine eindeutige Auffassung äußern zu wollen, ernennt jedoch rückwirkend Karl Marx und Friedrich Engels zu den eigentlichen Erfindern der Globalisierung (Voraussage des universellen Marktes bei gleichzeitigem Fall aller ständischen und sonstigen Schranken!), was Marx und Engels augenblicklich einen deutlichen Vorteil gegenüber Leo XIII. verschafft. Geißler wahrt eine Miene unerschrockener jesuitischer Undurchdringlichkeit und sagt, dass die erste Frage noch immer lauten müsse: Was ist der Mensch? Der Mensch wie er geht und steht, ist nicht der eigentliche Mensch, hätten Marx und Engels in ihrer Frühschrift "Zur Judenfrage" geschrieben. Er und die CDU seien jedoch der Ansicht, dass es sich bei dem Menschen, wie er gehe und stehe, sehr wohl um den eigentlichen Menschen handele, erklärt Geissler und ernennt im nächsten Halbsatz die französische Revolution zum originären geistigen Eigentum des Christentums.

Freiheit! Gleichheit! Brüderlichkeit! Ein urchristlicher Gedanke. Eine Trias, die erhalten bleiben müsse. Er, Geißler, sehe dabei im Augenblick den Gedanken der Brüderlichkeit, die Solidarität, akut gefährdet. Starker Beifall für Geißler. Bisky sagt, noch bevor Geißler den Begriff der Solidarität zum christlichen Urwort erklären kann, dass "Solidarität" ursprünglich aus der Arbeiterbewegung stamme. Und dass, wer "Solidarität" sage, auch übers Umverteilen reden müsse. Was wollen Sie umverteilen?, fragt vorsichtig das moderierende Info-Radio. Wer eine Million verdient, warum der nicht ein Prozent abgeben könne, überlegt Bisky, das seien dann genau 20 000 Mark. - Nein, sagt Geißler, 20 000 Mark wären schon zwei Prozent! - Kontrahent Bisky entschuldigt sich und versichert, niemanden an den Bettelstab bringen zu wollen, auch keine Millionäre. - Er habe überhaupt nichts gegen den Gedanken des Teilens, lenkt Geißler ein und erinnert an den heiligen Martin, der einmal die Hälfte seines Mantels weggab. (Bringt das eigentlich was? Halbe Mäntel? Das ist die ewige Crux des Teilens, würden die Neoliberalen sagen.)

Aber Geißler ist das egal. 225 Personen auf der Welt haben eine Billion Dollar, das jährliche Einkommen der Hälfte der Erdbevölkerung! Sowas nenne er nicht mehr "arm" und "reich", das nenne er Exzess! Und die Aktienkurse avancieren zu absoluten Werten. Die Börse, ein neuer Gott? Nein, das fragt Geißler hier nicht. Bisky hört fasziniert zu und überlegt sicher, ob er Geißler nicht als Redenschreiber für die PDS engagieren sollte. Diese Sachen mit dem Markt, der blind sei und der Aufgabe von Politik, die in der Zähmung der Stärkeren bestehe (Geißler: "Das hat es noch nie gegeben, dass der Stärkere von sich aus Rücksicht nimmt.") - er, Bisky, hätte es nicht schöner sagen können. Und dass heute der Kapitalismus den Arbeiter am Arbeitsplatz liquidiere. Nun gut, Geißler sagt auch, dass zuerst die Sozialisten die Eigentümer liquidierten. Aber das macht Bisky gar nichts aus.

Geißler rechnet inzwischen alles schon mal durch. Unsere Einkommenssteuer habe die höchste Progression in der Welt, da müssen wir natürlich runter. Und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer? Zu aufwendig, zu ineffektiv. Bisky sieht ein bisschen enttäuscht aus. Nein, findet Geißler, die Lösung liegt eindeutig in der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, übrigens eine alte Forderung der christlichen Soziallehre und der CDU. Bisky möchte trotzdem lieber eine Wertschöpfungsabgabe (für kapitalintensive Betriebe mit wenig Arbeitern), schon weil das mit der Arbeiter-Vermögensbildung zumindest im Osten Deutschlands sehr schwierig werden könnte. Und dann hat er noch eine Hoffnung. Entsteht in unserem digitalen Zeitalter nicht ein neues Proletariat, sozusagen ein Informationsproletariat? Geißler ist verunsichert. Hält der Bisky etwa nach einer neuen revolutionären Klasse Ausschau? Geißler hat noch kein Informationsproletariat getroffen und findet eine "internationale soziale Marktwirtschaft" entschieden besser. Das wäre unsere einzige Rettung. Bisky ist einverstanden. Vielleicht gibt es ja auch eine internationale soziale Marktwirtschaft mit Informationsproletariat.

Für Heiner Geißler ist die Welt noch immer eine geistige Tatsache. Er nennt unser Ökonomie-Zeitalter den "Kampfplatz zweier Philosophien", nämlich der sozialen Marktwirtschaft und des Neoliberalismus. Neoliberalismus sei, wenn arme Engländer, die älter als 80 Jahre sind, vom Dialyseapparat abgeschaltet würden. Wer das hier wolle? Niemand im Auditorium möchte vom Dialyseapparat abgeschaltet werden. Warum fängt dann keiner an mit der internationalen sozialen Marktwirtschaft, fragt ein junger Mann. Ob man die "G 7" nicht umerziehen könne? Geißler und Bisky wissen das auch nicht. Zwei letzte Idealisten im neoliberalen Zeitalter.

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