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Politik: Helfe, wer kann

Von Christoph von Marschall

Eine Million Menschen sind auf der Flucht, 50 000 tot, unzählige Dörfer niedergebrannt, Hunderttausende von Hunger, Durst und Seuchen bedroht. Die Verbrechen arabischer Reitermilizen in Sudan, die von der Regierung gedeckt, wenn nicht gar ermuntert werden, haben längst die Ausmaße der Vertreibungskriege auf dem Balkan erreicht. Beide Häuser des USKongresses sprechen von Völkermord. In Bosnien und Kosovo intervenierte die Nato, nach Sudan will keine westliche Regierung Truppen schicken. Nicht einmal Sanktionen hat der UN-Sicherheitsrat bisher verhängt. Sind afrikanische Leben weniger wert?

Dieser Vorwurf wird heute nicht mehr so schnell erhoben. Seit Somalia hat sich das Denken über Interventionen stark verändert. Damals, 1993/94, war der moralische Impetus stark – und die Gleichung einfach: Wer Kuwait befreit und bosnische Muslime vor serbischer Soldateska schützt, aber afrikanischen Bürgerkriegsopfern die Rettung vor marodierenden Clans und Hungertod verweigert, ist der nicht ein Rassist oder Neokolonialist? Die Hoffnung auf eine neue Weltordnung, in der kein Ost-West-Konflikt die Vereinten Nationen lähmt und internationale Massenmörder bestraft werden, war jung. Abschreckende Misserfolge gab es noch nicht, wohl aber die Kritik, wenn der Westen zu spät eingreife, mache er sich mitschuldig am Tod Tausender.

Heute herrscht skeptischer Realismus. Er speist sich aus drei Quellen: der Angst vor Überforderung der begrenzten Truppen, dem gestiegenen Bewusstsein für die Risiken und einer neuen Bescheidenheit bei den Interventionszielen. Nach dem Eingreifen der Nato in Bosnien und im Kosovo, der Befreiung Afghanistans vom Taliban-Regime und dem Sturz Saddam Husseins im Irak haben die westlichen Staaten keine größeren Militärkontingente frei. Australien bietet zwar Soldaten an, auch der britische Oberbefehlshaber sagt, er könne 5000 Mann stellen – aber was ist das gemessen an Sudan, dessen Krisenprovinz Darfur allein so groß ist wie Frankreich? Würden die arabischen Reitermilizen und andere Nutznießer des Mordens dort sich nicht rasch gegen westliche Helfer verbünden? So ging es in Somalia, der gute Wille wurde tödlich bestraft. Dabei hatten die USA dort keine großspurigen Ziele. Sie wollten nur Lebensmittel zu den Notleidenden bringen und die Willkür der Clans begrenzen. Doch die lokalen Milizen machten bald gemeinsam Front gegen die Invasoren. Als Leichen amerikanischer Soldaten vom johlenden Mob durch die Straßen geschleift wurden, zogen die USA ab, im Gefühl einer Niederlage.

In Sudan sind die Gefahren größer, der Konflikt ist noch vielschichtiger. In Darfur tobt der Rassenhass zwischen Arabern und Schwarzafrikanern, ein Ressourcenkonflikt zwischen sesshaften Bauern und nomadisierenden Hirten, dazu Stammesrivalitäten und der Machtkampf zwischen Provinz und Zentrum. Ja, Elend und Verbrechen schreien zum Himmel. Aber soll man eingreifen, wenn die Kräfte nicht reichen und die Verhältnisse so unübersichtlich sind?

Der Westen kann nicht überall den Weltpolizisten spielen, nicht einmal überall dort, wo Völkermord droht. Dazu fehlen ihm die Mittel, aber oft auch das Wissen. Diese neue Bescheidenheit ist keine Herzlosigkeit, sondern Ergebnis eines Lernprozesses. Dazu gehört es auch, sich realistische Ziele zu setzen. Aus Afghanistan oder Irak binnen kurzem rechtsstaatliche Demokratien zu machen, ist illusorisch. Wäre es nicht schon ein Gewinn, Mord und Vertreibung in Sudan zu stoppen und langfristig etwas mehr soziale Sicherheit und politische Stabilität zu erreichen? Den nötigen Druck können auch spürbare Sanktionen erzeugen. Reiseverbote für Regierungsmitglieder sind zu wenig, ein konsequentes Embargo müsste her, auch wenn es westliche Wirtschaftsinteressen in Sudans Ölindustrie mit trifft. Sanktionen wirken freilich nicht schnell, Tausende in Darfur müssten die militärische Zurückhaltung wohl mit dem Leben bezahlen. Aber wenn Sanktionen viele andere retten, ist das allemal besser als eine Intervention, die scheitert. Die hilft nicht nur nicht, sie schadet der künftigen Hilfsbereitschaft.

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