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Politik: Helft, jetzt

Von Tissy Bruns

Auch in katholischen Heimen für Kinder und Jugendliche hat es das gegeben: Demütigung, Misshandlung, drakonische Strafen. Der Satz ist kein Schuldbekenntnis aus Irland, er steht im aktuellen Caritas-Jahrbuch. Wie irische Kinder gelitten haben in kirchlichen Heimen, hat ein bewegender Film der deutschen Öffentlichkeit bekannt gemacht. Aber auch die Bundesrepublik trägt an einer Geschichte verborgenen Unrechts, an dem kirchliche und staatliche Einrichtungen beteiligt waren.

Das Schicksal der deutschen Heimkinder der 50er und 60er Jahre ist zweimal verdrängt worden. Das erste Mal, als sie, oft aus nichtigen Anlässen, einer erniedrigenden, prügelnden Fürsorge anvertraut wurden. Und noch einmal, nachdem unter dem Einfluss der 68er-Bewegung in den 70er Jahren die Heimerziehung umgekrempelt worden ist. Bessere Verhältnisse kehrten ein. Doch die oft lebenslangen Folgen der Jahre in Freistatt im Teufelsmoor, im Dortmunder Vincenz-Heim oder im hessischen Kalmenhof mussten die Betroffenen allein ertragen. Keine Bitte um Entschuldigung, keine materielle Wiedergutmachung, keine Ächtung dieser Praxis. Stattdessen Scham, Verdrängen, Vergessen.

Zweieinhalb lange, manchmal beklemmende Stunden hat sich der Petitionsausschuss des Bundestags vor einer Woche nun Lebensgeschichten der Frauen und Männer angehört, die sich hinter dem Satz aus dem Caritas-Jahrbuch verbergen: Kinderarbeit, Prügel, Isolation und willkürlicher Essensentzug, sexueller Missbrauch, sedierende Medikamentengabe, Hospitalisierung von Kleinkindern. Und erniedrigende Botschaften, die Kinder und Jugendliche zu einem wertlosen Nichts herabgewürdigt haben.

Es sind Geschichten, die man nicht glauben möchte, die Abwehrreflexe hervorrufen. Sind es Einzelfälle, Ausnahmen? Es stimmt, dass nicht in allen Heimen dieser Zeit solche Zustände geherrscht haben. Aber die Recherchen, die Peter Wensierski in seinem Buch „Schläge im Namen des Herrn“ Anfang dieses Jahres zusammengetragen hat, die Arbeit des Vereins der ehemaligen Heimkinder, schließlich die offiziellen Akten der beteiligten Institutionen sprechen eine klare Sprache. Es handelt sich nicht um Einzelfälle. Es geht nicht nur um die Folgen eines autoritären Zeitgeistes, der Prügel ganz normal fand.

Der Befund lautet: In kirchlichen und staatlichen Heimen ist es damals zu fortgesetzten Menschenrechtsverletzungen an Kindern gekommen. Es gab Akten und Schriftverkehr über prügelnde Erzieher, das Versagen der Aufsicht, eine unentrinnbare Rechtlosigkeit von wehrlosen Schutzbefohlenen. Es finden sich Ursachen im Geist dieser Zeit: ein autoritäres Erziehungsverständnis, Kontinuitäten zur Nazi-Diktatur, die materielle, persönliche, moralische Überforderung von Eltern, Erziehern oder Heimleitern, die auf der Schattenseite des aufstrebenden Wirtschaftswunderlandes lebten.

Rechtfertigen lässt sich damit aber nichts. Denn mit den besonderen Umständen jener Zeit ist die eigentliche Versuchung nicht untergegangen. Sie ist, im Gegenteil, zeitlos, die öffentliche Doppelmoral, die, wenn es die Umstände fordern oder nur ermöglichen, ihre Unzulänglichkeiten auf dem Rücken der Schwächsten austrägt. In DDR-Heimen sind Kinder misshandelt und gebrochen worden – in einem diktatorischen Regime. Dass aber nach einer Diktatur die latente Machtanmaßung über Schwächere nicht automatisch verschwindet, davon zeugen die ehemaligen Heimkinder der frühen Bundesrepublik.

Es ist eine Frage des Anstands, wenn Bundestag und Bundesregierung Wiedergutmachung in Form von Rentenanerkennung und Therapiehilfen leisten. Es ist eine Frage der Selbstachtung der demokratischen Gesellschaft, die alte Erziehungspraxis als Menschenrechtsverletzung zu ächten. Sie, die selbst keinen Anwalt hatten, sind mit dieser Forderung die Anwälte der Kinder, Jugendlichen und Alten von heute. Die Lebensgeschichten der Heimkinder erschüttern; ihr Plädoyer, dass sie sich nicht wiederholen dürfen, hat große Kraft.

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