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Nur rasch durchwuseln. Auch der Gesetzgeber, die Abgeordneten also, blickt ab und zu nicht mehr durch, was er da an Gesetzen macht – hier am vergangenen Donnerstag bei der Abstimmung zur Atompolitik. Foto: Wolfgang Kumm/dpa

© dpa

"Herbst der Entscheidungen": Ein schwarz-gelber Gesetzes-Tsunami

Erst schien sie stillzuhalten, jetzt peitscht die schwarz-gelbe Koalition die Gesetze nur so durch den Bundestag. Selbst eigene Abgeordnete sind irritiert.

Von Antje Sirleschtov

Berlin - Als Angela Merkel Anfang September den „Herbst der Entscheidungen“ ankündigte, galt das den Abgeordneten von Union und FDP noch als ersehntes Zeichen koalitionärer Handlungsfähigkeit. Mittlerweile sieht das mancher in den Fraktionen nicht mehr ganz so positiv. Denn die Entscheidungswilligkeit der Regierung führt in diesen Tagen dazu, dass das Parlament von einem wahren Gesetzes-Tsunami überschwemmt wird. Und das, sagen nun Koalitionäre wie der Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag, Volker Wissing (FDP), sei mittlerweile „eine Zumutung für das Parlament“.

Jedes Gesetz, das im Januar im Gesetzblatt stehen soll, muss wegen der Bundesratsbefassung bis Ende kommender Woche vom Bundestag verabschiedet sein. Weshalb vergangene und kommende Woche nicht weniger als sechs zum Teil sehr umfangreiche Gesetze und der Bundeshaushalt im Parlament verabschiedet werden mussten und müssen. Allein der Haushaltsausschuss hatte über 49 kurzfristige Änderungswünsche – zumeist aus der Koalition – zu befinden. Manche Abgeordnete der Regierungsfraktionen geben mittlerweile unumwunden zu, dass sie – die eigentlich Verantwortlichen für ordentliche Gesetze – zum Teil so überfordert seien, dass sie zweifeln, ob sie wissen, welche Folgen manches Gesetzt hat, dem sie zustimmen.

Zum Beispiel beim Haushaltsbegleitgesetz, besser bekannt auch als Sparpaket der Koalition: Vergangenen Donnerstag wurde darin mit den Stimmen der Koalition eine Steuererhöhung beschlossen. Und zwar nicht nur weitestgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit. Sondern, wie es jetzt innerhalb der Koalition hinter vorgehaltener Hand heißt, wohl ebenso unbemerkt auch von vielen Abgeordneten in Union und FDP. Es handelt sich dabei um die Ökosteuer für Fernwärme und damit bekanntlich um die Förderung einer ökologisch sehr sinnvollen Energieform, die vor allem von Stadtwerken angeboten und von Privatkunden, Krankenhäusern, Schulen und Schwimmhallen genutzt wird. Irgendwann zwischen Montagabend 18.56 Uhr und Dienstagmittag, 12.57 Uhr hat die Koalition die Ökosteuermäßigung für die Fernwärme in Deutschland urplötzlich gestrichen.

Und das kam so: Vorvergangenen Sonntag hatten die Spitzen der Koalition Detailregelungen zur Gestaltung der Ökosteuer beschlossen, die tags darauf gegen Abend in vier Änderungsanträge gefasst den Haushaltsausschuss des Bundestages erreichten. Zu diesem Zeitpunkt war den Kunden von Fernwärme in Deutschland noch eine jährliche Förderung von 40 Millionen Euro sicher. Man weiß das, weil das Streichen der Förderung nicht in den Änderungsanträgen stand. Am Dienstagmittag allerdings gab es die Förderung plötzlich nicht mehr. Mitten in der Debatte, erinnert sich der SPD-Haushälter Carsten Schneider, sei ein weiterer Ändederungsantrag verteilt worden. Darin enthalten und nur für Spezialisten der Energiebesteuerung erkennbar: das Aus für die Fernwärmeförderung. Zeit, den heiklen Punkt zu debattieren oder gar sich über die Folgen zu erkundigen, blieb weder der Opposition noch der Koalition. Weil die Mitglieder des Haushaltsausschusses an diesem Dienstagabend parallel noch drei weitere Gesetze federführend oder beratend zu entscheiden hatten, damit das Parlament am Donnerstag darüber abschließend abstimmen konnte. Die Fernwärme geriet ganz einfach zur Nebensache.

Beschlossen hat der Bundestag letzte Woche neben dem Sparpaket das Bankenrettungs- und Restrukturierungsgesetz, das Jahressteuergesetz, die Brennstoffsteuerregelungen und nicht zuletzt die Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke. Und erst jetzt, knapp eine Woche später, wird manchem Abgeordneten klar, welche Folgen das Streichen der Fernwärmeförderung hat. Wenn die Erzeugung der Fernwärme teurer wird, dann, prophezeit der Verband kommunaler Unternehmen, wird auch die Fernwärme teurer. Allein in Berlin würde das mehr als 620000 Kunden treffen. Einer aus der FDP-Spitze sagt nun etwas kleinlaut: „Hoffentlich stimmt der Bundesrat nicht zu.“

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