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Politik: Heroin als letztes Mittel

Bundestag streitet über die Behandlung von Süchtigen – Abgeordnete wollen Freigabe der Abstimmung

„Eigentlich ist ein Abgeordneter frei“, meint Detlef Parr, Bundestagsabgeordneter der FDP. So steht es auch im Grundgesetz: Abgeordnete sind nur ihrem Gewissen unterworfen, von Fraktionszwang ist da nichts zu lesen. Doch so einfach ist das nicht: Regelmäßig wird geschlossen abgestimmt. Nur gelegentlich gestatten Fraktionen ihren Abgeordneten, frei zu entscheiden. Und auf diese Ausnahme von der Regel – die bei ethischen Fragen nicht so selten ist – hofft jetzt Parr. Zusammen mit seinen Kollegen Monika Knoche (Linksfraktion) und Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) hat sich der Freidemokrat vorgenommen, eine fraktionsübergreifende Gesetzesinitiative auf den Weg zu bringen. Das Ziel: Schwer kranke Süchtige sollen weiterhin von Ärzten mit Heroin behandelt werden. Parr hofft darauf, dass Abgeordnete aller Fraktionen den Antrag unterstützen werden.

Die Initiative scheint die einzige Chance, im Bundestag noch eine Mehrheit für die kontrollierte Heroinabgabe zu bekommen, nachdem sich die Koalition aus Union und SPD im November darauf geeinigt hatte, in der Frage nicht tätig zu werden. Diese Entscheidung kam für viele überraschend. Denn die Ergebnisse eines Modellprojekts – viereinhalb Jahre lang wurden schwer kranke Süchtige mit Heroin versorgt – hatten alle Erwartungen übertroffen. „Diese Therapie ist der mit Methadon weit überlegen“, war das Ergebnis der Studie. Doch um die Behandlung der Patienten fortzusetzen, braucht es eine Gesetzesänderung: Diamorphin muss als verschreibungsfähiges Medikament zugelassen werden. Das verhinderte die Union. Zu teuer, argumentierten deren Vertreter. Das Geld investiere man besser in die Prävention.

Kritik kam nicht nur von Sabine Bätzing (SPD), der Drogenbeauftragten der Bundesregierung. Auch innerhalb der CDU waren viele enttäuscht. Die Kölner Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen zum Beispiel, auch die Oberbürgermeisterin von Frankfurt am Main, Petra Roth, und die Hamburger Gesundheitssenatorin Birgit Schnieber-Jastram. Sie alle hätten die Heroinbehandlung gerne fortgesetzt. Die Mehrheit der Bundesländer sieht das nicht anders. Das Papier einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe ist zwar unter Verschluss, aber es ist kein Geheimnis, dass sich auch CDU-geführte Länder für die Fortsetzung der Behandlung ausgesprochen haben. Eine Initiative über den Bundesrat scheint dennoch nicht geplant zu sein: Der Bund sei am Zug, „neue Bundesratsinitiativen helfen nicht weiter“, heißt es in Niedersachsen. Auch Hessen und Hamburg, hier hatte so mancher auf einen Vorstoß gehofft, halten sich bedeckt.

Für die Patienten in den sieben deutschen Heroinambulanzen ist die Situation indes unerträglich. „Sie erleben das, was hier im Moment passiert, als existenzielle Bedrohung“, schildert der Psychiater Hamid Zokai die Situation in Frankfurt am Main. Von Angst und Verzweiflung, sogar suizidalen Tendenzen berichten Mitarbeiter aus anderen Städten. Ein Bericht des Amtes für Soziales in Bonn ist geradezu dramatisch: Nur für zwei der insgesamt 36 Heroinpatienten kommt eine Alternativbehandlung derzeit infrage, weitere sieben könnten vielleicht im nächsten Jahr anderweitig behandelt werden. Für 27 Patienten aber bestehen bei einer anderen Behandlung erhebliche Risiken, sogar Lebensgefahr.

Nur noch bis Ende Juni dürfen die Süchtigen mit Heroin behandelt werden, dann ist Schluss, sie werden das Medikament, das ihnen lange geholfen hat, nicht mehr erhalten. Die betroffenen Städte wollen das nicht hinnehmen. Am 7. Februar werden sie sich zu einem Krisengipfel treffen und das weitere Vorgehen beraten. Frankfurt am Main hat schon angekündigt, notfalls zu klagen, die Stadt will eine Ausnahmegenehmigung. Die, erklärt Wulfila Walter vom städtischen Drogenreferat, sei grundsätzlich möglich.

Eine Mehrheit für die Heroinabgabe scheint es im Bundestag zu geben. „Die SPD ist klar dafür“, erklärt dazu Gregor Ammann, Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt am Main. Auch er will Drogenkranken weiterhin mit Heroin helfen. Einen Verstoß gegen die Koalitionsdisziplin kann sich der Sozialdemokrat bei dieser Frage trotzdem nicht vorstellen: „So etwas macht man grundsätzlich nicht.“ FDP-Mann Parr hofft dennoch weiter. Es sei eine ethische Frage, argumentiert der Abgeordnete. Schließlich gehe es um Menschenleben. Er ist sich sicher: „Wenn die Abstimmung freigegeben wird, gibt es eine klare Mehrheit.“

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