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Politik: Herzensangelegenheit für alle

Über das heikle Thema Organspende führt der Bundestag eine zutiefst bewegende Debatte.

Berlin - Über das persönlich Erlebte verliert der Abgeordnete mit den schlohweißen Haaren kein Wort. Stattdessen berichtet Frank-Walter Steinmeier an diesem Morgen von einer jungen Frau, die wegen einer Autoimmunkrankheit eine Spenderlunge benötigte. Sechs Tage vor ihrem Tod habe Claudia Kotter bei einer Bundestagsanhörung noch eindringlich für Verbesserungen bei der Organspende geworben, erinnert der SPD-Fraktionschef. Es sei auch ihr Verdienst, dass die Politik die nötige Reform nun gemeinschaftlich und über Parteigrenzen hinweg auf den Weg bringe.

Dass es auch Steinmeiers Verdienst ist, müssen andere sagen, bei dieser zutiefst bewegenden Bundestagsdebatte. Gregor Gysi etwa von der Linkspartei oder Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Mit einer Nierenspende an seine kranke Frau hat der SPD-Politiker das Thema vor eineinhalb Jahren in den öffentlichen Fokus gerückt. Und den Gruppenantrag, über den der Bundestag am Donnerstag in erster Lesung beriet, haben er und sein Kollege Volker Kauder (CDU) initiiert.

Der Entwurf sieht vor, dass künftig jeder Bürger ab 16 alle zwei Jahre von seiner Krankenkasse schriftlich befragt wird, ob er nicht seine Organe spenden möchte. Infomaterial und Spenderausweis liegen bei, und es gibt vier Antwortoptionen: „Ja“, „Nein“, „Ich entscheide später“ oder „Ich erkläre mich gar nicht“. Wer will, kann die Antwort später auch auf seiner elektronischen Gesundheitskarte vermerken lassen. Das Ganze sei ergebnisoffen, betonen Redner aller Fraktionen, einen „Entscheidungszwang“ gebe es nicht. Es sei „ legitim“, auch keine Entscheidung zu treffen. Angesichts der Tatsache, dass täglich drei Menschen wegen fehlender Organe sterben, könne die Gesellschaft aber verlangen, dass sich jeder mindestens einmal im Leben mit der Frage beschäftige.

Gleichwohl hüten sich die Redner vor forschen Appellen. Natürlich könne er verstehen, dass sich 25-Jährige nicht mit dem Tod beschäftigen wollten, sagt Linksfraktionschef Gregor Gysi. Man sei sich bewusst, dass die Regelung „eine Zumutung“ sei, betont Jürgen Trittin (Grüne). Und FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle konzediert, dass man mit dem Vorstoß an die „Urangst des Menschen vor dem Tode“ rühre. Doch ersparen, so der große Konsens, könne man dies keinem. Schließlich, so Steinmeier, sei die Politik in der „Verantwortung für Menschen, die unserer Hilfe bedürfen“.

Das Ungewöhnliche an alldem ist nicht nur, dass sich sämtliche Fraktionen bei dem sensiblen Thema einig sind. Es ist auch der Ton, in dem es die Abgeordneten behandeln. Brüderle dankt Bahr, Bahr dankt Steinmeier, Steinmeier dankt allen Abgeordneten. Den Fraktionen ist das Thema so wichtig, dass alle Vorsitzenden sprechen. Auch die Kanzlerin verfolgt die Debatte eine knappe Stunde lang. Und es gibt kaum einen Redner, der nicht auch Menschlich-Persönliches beiträgt.

Trittin berichtet vom Tod seiner Lebensgefährtin bei einem Fahrradunfall – um darzulegen, wie entlastend es für Angehörige sein kann, wenn die Haltung des Verstorbenen zur Organspende dokumentiert ist. Brüderle zückt am Rednerpult den eigenen Spendeausweis. Der CDU- Politiker Jens Spahn erzählt, dass er nur sein Herz nicht spenden wolle – warum, könne er rational nicht begründen. Und Gysi warnt zwar davor, Menschen zunehmend als „eine Art Ersatzteillager“ zu begreifen, räumt aber ein, dass er den Todkranken und ihren Angehörigen mit diesem Gegenargument wohl nicht zu kommen brauche. Sein Appell, dem Antrag zuzustimmen, fruchtet nur in den eigenen Reihen nicht. Mit der Unterstellung, über die Neuregelung Menschen nur besser kontrollieren und Druck auf sie ausüben zu wollen, verweigern sich einige Linke dem Konsens. Sie bleiben allein.

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