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Politik: Hessen spricht „Koran-Richterin“ frei

Kein Disziplinarverfahren – Juristin hatte bei Scheidungsstreit auf Züchtigungsrecht des Mannes verwiesen

Berlin/Frankfurt am Main - Die umstrittene „Koran-Richterin“ des Frankfurter Amtsgerichts muss nicht mit disziplinarischen Folgen rechnen. Wie der Tagesspiegel erfuhr, hat das hessische Justizministerium die Ende März angekündigte dienstrechtliche Überprüfung des Falles abgeschlossen und ein förmliches Verfahren gegen die Juristin abgelehnt. Eine Sprecherin von Hessens Justizminister Jürgen Banzer (CDU) sagte, die Familienrichterin habe „im Kernbereich richterlicher Unabhängigkeit gehandelt“. Davor habe der Minister „großen Respekt“. Der Deutsche Richterbund, begrüßte Banzers Entscheidung. „Das ist völlig richtig“, sagte Geschäftsführer Lothar Jünemann.

Bei der Richterin hatte eine aus Marokko stammenden Deutsche Prozesskostenhilfe für eine vorzeitige Scheidung von ihrem ebenfalls aus Marokko stammenden Mann beantragt. Gegen den Mann lag ein Strafbefehl vor, da er seine Frau misshandelt hatte. Die Richterin erhob in einem Schreiben Bedenken gegen den Antrag und begründete dies mit den Worten, die Ausübung des Züchtigungsrechts sei im marokkanischen Kulturkreis nicht ungewöhnlich. Es sei der Frau deshalb zuzumuten, das nach deutschem Recht obligatorische Trennungsjahr abzuwarten. Es liege kein Härtefall vor, der zu einer früheren Scheidung berechtige.

In der Öffentlichkeit war daraufhin der Eindruck entstanden, die Frau müsse die Gewalttaten ihres Mannes weiter erdulden, weil sich ein deutsches Gericht in einem förmlichen Beschluss ausdrücklich auf den Koran berufe. Politiker aller Parteien empörten sich über entsprechende Medienberichte. Der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, selbst ehemaliger Richter, forderte ein Disziplinarverfahren. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber, ebenfalls Jurist, sah in dem Vorgang die Unterwerfung unter den Islam. Justizminister Banzer forderte die Akten des Falles an und äußerte Verständnis für die öffentliche Aufregung.

Tatsächlich hatte die Richterin zuvor Maßnahmen getroffen, die Frau vor ihrem Ehemann zu schützen. Es gibt in dem Fall auch keinen Beschluss oder ein Urteil, das auf den Koran verweist. Wie ein Sprecher des Amtsgerichts dem Tagesspiegel erklärte, hatte die Richterin der Frau die ehemals gemeinsame Wohnung allein zugewiesen und dem Mann entsprechend dem Gewaltschutzgesetz verboten, sich seiner Frau zu nähern. Erst als die Anwältin der Frau nach dem Hinweisschreiben der Richterin einen Befangenheitsantrag stellte, habe diese in einer dienstlichen Erklärung auf eine Sure im Koran verwiesen, die ihrer Ansicht nach Männern ein Züchtigungsrecht gegen Frauen einräume. Der Gerichtsssprecher bezeichnete die Haltung der Richterin in dem Verfahren als „im Ergebnis vertretbar“, allerdings sei die Begründung „Quatsch“ gewesen.

Die Richterin selbst hatte ihre schriftlichen Einlassungen bedauert, will sich aber nicht mehr zu dem Fall äußern. Sie arbeitet unverändert am Amtsgericht. Dem Befangenheitsantrag gegen sie ist stattgegeben worden. Eine andere Richterin hat die Prozesskostenhilfe für die vorzeitige Scheidung bewilligt. Weshalb die Richterin ihre Bedenken gegen die Prozesskostenhilfe seinerzeit mit Verweis auf ein „Züchtigungsrecht“ begründet habe, ist der Anwältin der Frau „schleierhaft“. In Frankfurter Justizkreisen vermutet man eher eine Provokation oder Flapsigkeit als politische Absichten. Die Grüne Frauenpolitikerin Irmingard Schewe-Gerigk erklärte zu dem Fall, die richterliche Unabhängigkeit sei „ein hohes Gut“. Es müsse aber „ein für alle Mal gelten, dass die Interpretation von Glaubensinahlten in der Rechtssprechung staatlicher Gerichte nichts verloren hat“.

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