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Hessens Ministerpräsident Bouffier (links) muss sich in einem Jahr zur Wiederwahl stellen.

© dapd

Hessens Ministerpräsident: Bouffier ächzt unter Kochs Erbe

Privatisierungen, Schulpolitik oder Flughäfen: Hessens Ministerpräsident hat enorme Schwierigkeiten mit etlichen Großprojekten.

Vor der Sommerpause kam es in Wiesbaden wieder einmal zu einer jener harten Debatten, für die der hessische Landtag bekannt ist. „Chaotisches Regierungshandeln“ bescheinigte der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Mathias Wagner, CDU und FDP. Regieren müsse man nicht nur wollen, sondern auch können, rief er Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) zu. Und dann fiel ein bemerkenswerter Satz: Bouffiers Vorgänger Roland Koch, „konnte wenigstens das Geschäft“, sagte der Grüne. Kochs Politik sei zwar „falsch, aber wenigstens konsequent falsch“ gewesen, ergänzte SPD-Kollege Günter Rudolph.

Ziemlich genau vor zwei Jahren quittierte der damals dienstälteste CDU-Ministerpräsident Koch seinen Job und wechselte als Vorstandsvorsitzender zum Bau- und Dienstleistungskonzern Bilfinger Berger. Die Opposition vermisst ihn offenbar. Koch polarisierte. Er erleichterte die Mobilisierung des Oppositionslagers. „Kumpeltyp“ Bouffier (60) bietet da deutlich weniger Angriffsfläche. Dagegen bleibt bei CDU und den Liberalen die Nostalgie überschaubar. Kochs mit der ihm eigenen Entschlossenheit aufgestellte „Leuchttürme“ in der hessischen Landespolitik sind nämlich kein leichtes Erbe.

Da ist das erste privatisierte Uniklinikum der Republik. 2006 verkaufte das Land 95 Prozent der zuvor staatlichen Universitätskliniken Gießen und Marburg UKGM an die private Rhönklinikum AG. Hessen übernehme dabei eine „Vorreiterrolle“ und setze neue Maßstäbe, sagte Koch damals. Mehr als 370 Millionen Euro habe der neue Eigentümer seitdem investiert, jubeln die Befürworter. Doch CDU und FDP haben zur Zeit wenig Freude an dem Projekt. Seit Jahren gibt es Querelen zwischen dem Personal und den ständig wechselnden Geschäftsführungen der UKGM. Zuletzt setzte der Vorstand die unpopuläre Streichung von 236 Stellen durch, wieder begleitet von Protesten der Personalräte. Das Vertrauensverhältnis zwischen Rhönklinikum AG und Landesregierung gilt als erschüttert.

Jeder andere Betreiber sei besser, sagte etwa Wissenschaftsministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU), als der Fresenius-Konzern die Übernahme der Rhönklinikum AG samt UKGM ankündigte. Nachdem diese Übernahme gescheitert ist, muss Kühne-Hörmann nun doch weiter mit den ungeliebten Eigentümern zurechtkommen. Die tatsächlichen Informations- und Kontrollrechte der Landesregierung sind bescheiden, ein Webfehler der Privatisierung, wie inzwischen auch Befürworter zugeben. Selbst einen Rückkauf der UKGM schließen CDU und FDP nicht mehr kategorisch aus. Die Dauerbaustelle wird, gut ein Jahr vor der nächsten Landtagswahl, zum Risiko für Ministerpräsident Bouffier und seinen Finanzminister Thomas Schäfer (CDU), denn die Kliniken sind in ihren Wahlkreisen in Gießen und Marburg wichtige Arbeitgeber.

Zurück zum G9-Gymnasium

Auch die erste teilprivatisierte Haftanstalt in Hünfeld erzeugt Irritationen. Erhebliche Einsparungen versprach Roland Koch damals. Doch der Landesrechnungshof bilanziert in einem nichtöffentlichen Gutachten vom 8. Juni, in der vorliegenden Form sei es nicht möglich, „die Wirtschaftlichkeit einer Teilprivatisierung nachvollziehbar zu belegen“. Zudem moniert er, dass auch noch nach Eingang privater Angebote für die Haftanstalt die Pläne verändert wurden. „Wurde das Projekt mit frisierten Zahlen gepuscht?“, fragt deshalb die Opposition. Auch der neutrale Landesrechnungshof stellt fest, dieses Vorgehen „gefährde die Glaubwürdigkeit des Verfahrens“.

In der Schulpolitik setzte Koch neben der Einstellung zusätzlicher Lehrer und zentraler Abschlussprüfungen die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre durch. Im Landtagswahlkampf 2008 wurde die unpopuläre Reform zur Hypothek, weil Schulen, Eltern und Schüler mit der Verdichtung des Unterrichts in der Mittelstufe nicht klarkamen. Nach der Landtagswahl 2008 setzte die rot-rot-grüne Landtagsmehrheit durch, dass neben den integrierten auch kooperative Gesamtschulen zum G 9 zurückkehren durften. Vor der Sommerpause verkündete schließlich Ministerpräsident Bouffier, auch Gymnasien dürften zum G 9 zurückkehren. Kultusministerin Nicola Beer (FDP) wird jetzt letzte Kapitel eines Rückzugs von einer forsch durchgepaukten Reform abwickeln.

Das Investitionsprogramm „Flughafen Kassel Calden“, von Koch auf den Weg gebracht, steht zwar unmittelbar vor der Fertigstellung. Das strukturschwache Nordhessen sollte am Boom der Luftverkehrswirtschaft teilhaben. Doch bislang fand sich kein privater Betreiber. Nicht einmal ein Dutzend Flüge sind für den ersten Flugplan des Regionalflughafens vorgesehen. Und auch bei der zweifellos erfolgreichsten Investition, die in der Regierungszeit von Roland Koch auf den Weg gebracht wurde, der neuen Landebahn auf dem Frankfurter Flughafen, mussten seine Nachfolger nachbessern.

Das den Anwohnern versprochene Nachtflugverbot war Ende 2007 mit dem Planfeststellungsbeschluss gekippt worden. Koch und sein damaliger Wirtschaftsminister Alois Rhiel (CDU) genehmigten 17 nächtliche Ausnahmegenehmigungen. Sie argumentierten mit den Eigentumsrechten der Fluggesellschaften und beriefen sich auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Doch genau dieses Gericht kassierte jetzt die Ausnahmeregelung. Den Ärger über den Fluglärm, den die Region wegen der neuen Landesbahn ertragen muss, bekommt wegen des Hin und Her um das Nachtflugverbot vor allem die CDU ab. Dass bei der Frankfurter Oberbürgermeisterwahl der weithin unbekannte Sozialdemokrat Peter Feldmann den amtierenden hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) schlagen konnte, hatte auch damit zu tun.

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