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Politik: „Hilfe für China ist gut fürs Weltklima“

Heidemarie Wieczorek-Zeul über die Gewalt in Nahost und mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit

Frau Ministerin, unter welchem Regierungschef war oder ist es leichter, Entwicklungspolitik voranzutreiben – unter Gerhard Schröder oder unter Angela Merkel?

Von solchen Vergleichen halte ich gar nichts. Beide Politiker, der frühere Kanzler und die heutige Kanzlerin, standen und stehen zur internationalen Verantwortung Deutschlands. Der Unterschied ist, dass wir in der großen Koalition auf eine viel größere parlamentarische Mehrheit für den Aktionsplan zur Steigerung der Mittel für Entwicklungshilfe bauen können und neben der SPD auch die CDU engagiert dieses Ziel vertritt. Im kommenden Jahr wird die Welt auf Deutschland sehen, wenn wir die G-8-Präsidentschaft und im ersten Halbjahr auch die EU-Präsidentschaft innehaben. Die Erwartungen an uns sind zu Recht groß. Wir werden unsere internationalen Verpflichtungen einlösen.

Heißt das, die große Koalition bedeutet für die Entwicklungspolitik und ihre Ministerin vom linken Flügel der SPD ein Plus an Stabilität?

In der Debatte seit dem Gesundheitskompromiss sind einige Töne zu hören gewesen, die mir nicht gefallen. Hier mäkeln manche ohne Not an den Leistungen der großen Koalition herum. Wir haben einen Auftrag der Wählerinnen und Wähler, dem sollten wir uns stellen. Wir machen in vielen Bereichen gute Arbeit. Zu den großen Herausforderungen dieser Koalition gehört das Ziel, die Vorgabe von 0,7 Prozent Entwicklungshilfe bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt bis zum Jahr 2015 durchzusetzen. Es ist eine historisch bedeutsame Aufgabe unserer Regierung, alles dafür zu tun, dass wir bis zum Jahr 2010 eine Quote von 0,51 Prozent als Zwischenstufe erreichen und damit einen entscheidenden Schritt zu einer gerechteren Welt machen.

Was hilft es, wenn nur der deutsche Beitrag steigt?

Es geht auch um die deutsche Vorbildfunktion. Wir würden ein Beispiel setzen für große Industrieländer wie die USA oder Japan, die sich im Gegensatz zu uns nicht solche Schritte vorgenommen haben. Auch dort würden dann die Menschen fragen: Warum schaffen wir das nicht, was die Deutschen machen?

Um es noch einmal auf den Punkt zu bringen: Sie gehören also nicht zu dem Viertel der deutschen Bevölkerung, das sich Gerhard Schröder als Kanzler zurückwünscht?

Auch wenn Sie es noch einmal versuchen, werden Sie mich nicht dazu bringen, den Spaltpilz in die große Koalition zu tragen. Was Gerhard Schröder anlangt, kann ich Ihnen sagen: Ich suche oft das Gespräch mit ihm, weil seine internationale Erfahrung hilft und weil er etwa für den Nahen und Mittleren Osten ein kenntnisreicher Gesprächspartner ist.

In der Kongo-Debatte des Bundestages begründeten Franz Josef Jung als CDU-Verteidigungsminister und Sie als SPD-Ministerin, warum deutsche Soldaten nach Afrika geschickt werden. Gibt es überhaupt noch gravierende Unterschiede zwischen SPD und Union in der Sicherheits-, Außen- und Entwicklungspolitik?

Durchaus. Die SPD, nicht die Union, hat kürzlich die Frage der atomaren Abrüstung thematisiert und darauf hingewiesen, dass der Nichtverbreitungsvertrag auch die „offiziellen“ Atommächte zur atomaren Abrüstung verpflichtet.

Prompt kritisierte das Verteidigungsministerium, es sei nicht Aufgabe von SPD-Parteichef Kurt Beck, die Agenda der Bundesregierung festzulegen…

Beide Partner haben sich im Koalitionsvertrag versprochen, die Beseitigung von Massenvernichtungswaffen voranzubringen. Abrüstung und Prävention sowie der Grundsatz der „Veränderung durch Zusammenarbeit“ sind Kernthemen sozialdemokratischer Friedenspolitik.

Die Ermahnung des Verteidigungsministeriums hat Sie nicht gestört?

Ich habe nichts dagegen, wenn Unterschiede erkennbar werden und deutlich wird, dass die SPD das Thema Abrüstung energisch vorantreibt. Ich bin dafür, dass wir grundlegende Fragen offen und fair diskutieren. Mit dem Eintritt in die große Koalition haben die beiden Partner ihren Zielen doch nicht abgeschworen.

Beim G-8-Gipfel an diesem Wochenende in St. Petersburg steht Afrika nicht auf der Tagesordnung. Ein Jahr zuvor in Gleneagles war es noch ein großes Thema. Warum dieser Verzicht?

Es wird dazu zwar einen Bericht von Tony Blair geben. Ich finde es aber schade, dass die afrikanischen Reformstaaten nicht eingeladen worden sind, die sich im Rahmen der „New Partnership for Africa’s Development“ (NEPAD) zu Armutsbekämpfung und einer guten Regierungspraxis verpflichtet haben. Es ist das erste Mal, dass diese Afrikaner nicht dabei sein werden. Ich bin sehr sicher, dass das bei der deutschen G-8-Präsidentschaft im kommenden Jahr anders sein wird. Wir werden die Einlösung unserer Zusagen für die Entwicklungsfinanzierung in Afrika und den Kampf gegen Aids, den Zugang zu sauberem Trinkwasser, die Energieeffizienz und erneuerbare Energien für Afrika sowie Transparenz bei der Rohstoffgewinnung zu zentralen Themen unserer Präsidentschaft machen.

Die rot-grüne Regierung hatte mit Uschi Eid (Grüne) noch eine Afrika-Beauftragte. Warum gibt es heute keine mehr?

Es gibt eine G-8-Afrikabeauftragte. Sie sitzt vor Ihnen. Ich koordiniere diese Aufgabe als Ministerin.

Hilfsorganisationen kritisieren, dass die Entwicklungshilfe auch in Deutschland deshalb statistisch gestiegen ist, weil die Entschuldung des Irak und Nigerias miteinbezogen wird. Würde man diese abziehen, dann sei die deutsche Entwicklungshilfe sogar zurückgegangen.

Wir haben im Haushalt 2006 und 2007 reale Mittelsteigerungen von jeweils rund 300 Mio. Euro erreicht. Die Behauptung ist absurd. Es gibt international eine maßgebliche Berechnung. Und das ist die der OECD in Paris. Die gilt verbindlich für alle Länder. Im Übrigen: Wir haben immer öffentlich dargelegt, dass wir dieses Ziel durch mehr Finanzmittel aus dem Haushalt, durch innovative Finanzierungsinstrumente und durch fortgesetzte Entschuldung für Entwicklungsländer erreichen. Der G-8-Gipfel in Gleneagles hat das vergangenes Jahr bekräftigt. Und so haben wir es auch im Koalitionsvertrag verankert. Der Schuldenerlass ist sehr wichtig, wie das Beispiel Tansania zeigt. Dort gehen nun statt 800 000 Kindern 1,6 Millionen Kinder zur Schule. Größerer finanzieller Spielraum der Partnerländer hilft auch, die Millenniumsentwicklungsziele zu erreichen. Der britische Premier Tony Blair hat vorgerechnet, dass der Schuldenerlass für Nigeria es dem Land ermöglicht, 120 000 neue Lehrer einzustellen. So können 3,5 Millionen Schülerinnen und Schüler zusätzlich unterrichtet werden.

Analytiker sehen mit Sorge, dass die boomende Wirtschaftsmacht China ohne Rücksicht auf internationale Standards und Entwicklungsziele Afrika als Rohstoffmarkt entdeckt. Ist das eine Gefahr für Entwicklungspolitik?

Das ist durchaus eine Gefahr. Aber wir können diese Herausforderung nur im ständigen und drängenden Dialog mit China lösen, und zwar auf bilateraler Ebene genau so wie in Institutionen wie der Weltbank. Wer im Umgang mit afrikanischen Ländern ohne jedes politische Kriterium nur darauf schaut, wie viel Öl er von dort importieren kann, der stärkt Regierungen, die völlig ohne Rücksicht auf ihre eigene Bevölkerung handeln. Das ist das Gegenteil dessen, was sich die internationale Gemeinschaft vorgenommen hat. Damit müssen wir China immer wieder konfrontieren.

Gerade in Sudan hat sich China aber bisher von der internationalen Gemeinschaft nicht von einer anderen Politik überzeugen lassen.

Das ist leider richtig. In der Provinz Darfur in Sudan besteht nach wie vor die Gefahr eines Völkermords in Zeitlupe. Hier hilft nur Hartnäckigkeit, und deshalb müssen wir auch immer wieder versuchen, doch ein UN-Mandat für einen größeren Friedenseinsatz zu bekommen. Die Situation in Darfur verschlechtert sich immer weiter, aber wir dürfen uns nicht daran gewöhnen. Allerdings gehe ich nicht davon aus, dass für ein UN-Mandat Bundeswehrsoldaten angefordert werden. Gerade wenn man für Darfur ein robustes Mandat will, sollten dort afrikanische Soldaten zum Einsatz kommen und keine europäischen.

Die Grünen werfen der Bundesregierung vor, sie engagiere sich nicht mehr für Darfur, weil sie sich nicht an einem möglichen Militäreinsatz beteiligen will.

Das ist falsch. Im Gegenteil, ich habe mich erst vor kurzem ausführlich mit dem Präsidenten der Kommission der Afrikanischen Union, Alpha Konare, unterhalten. Er hat mir gesagt, dass die Afrikaner das Darfur-Problem selbst lösen wollen. Europa steht aber trotzdem in der Verantwortung, zum Beispiel was die Finanzierung eines solchen UN-Einsatzes angeht.

In der Union gibt es Zweifel, ob Deutschland noch Entwicklungsmittel für Schwellenländer wie Indien und China ausgeben muss. Müssen wir unsere Konkurrenten auf dem Weltmarkt unterstützen?

Nein, so ist es ja nicht. Die CDU/CSU unterstützt unseren Ansatz der Kooperation mit China und Indien. Wer wie die FDP einen Stopp der Zusammenarbeit verlangt, weiß entweder nicht, worum es geht, oder er redet wider besseres Wissen. Die Einwände, die gegen die Zusammenarbeit mit China ins Feld geführt werden, gehen an der Sache vorbei. Es sind zum großen Teil Kredite, die dann auch zurückgezahlt werden. China und Indien bekommen keine „Entwicklungshilfe“. Es geht hier um wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – so heißt übrigens auch unser Ministerium. Indien und China machen gut ein Drittel der Weltbevölkerung aus. Die Frage, wie die Entwicklung dort vorangeht, kann niemandem gleichgültig sein. China ist der größte Emitteur von CO2-Emissionen, Indien der fünftgrößte. Es nutzt also auch uns, wenn sich diese Länder auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien konzentrieren. Zum einen, weil es gut für das Weltklima ist und uns so auch nicht die Luft ausgeht, und außerdem, weil deutsche Unternehmen Marktführer in diesem Bereich sind.

Die Lage im Nahen Osten hat sich seit der Entführung der israelischen Soldaten und den Aktionen der israelischen Armee in Gaza und im Libanon dramatisch verschärft. Was ist nun das Wichtigste?

Was mittlerweile im Nahen Osten an Gewaltakten passiert, ist nicht nur für die Region, sondern für die ganze Welt bedrohlich. Wir brauchen dringend internationale Vermittlung und eine Entscheidung im UN-Sicherheitsrat. Wie wollen wir glaubwürdig bei anderen Problemen den Sicherheitsrat befassen, wenn er in der Frage der explosiven Gefahr im Nahen Osten an einer Entscheidung gehindert wird? Meines Erachtens ist es höchste Zeit für eine internationale Konferenz, die eine Perspektive für den Frieden in der Region entwickelt und alle Beteiligten einbezieht. Dass mittlerweile zivile Einrichtungen und Zivilisten in einem anderen Staat bombardiert werden, ist völkerrechtlich völlig inakzeptabel. Besonders schlimm ist die Situation für die palästinensische Zivilbevölkerung im Gazastreifen. Sie befindet sich in einer wirklich verzweifelten humanitären Situation. Die Zerstörung eines großen Teils der Energie- und Wasserversorgung durch Israel hat für die Bevölkerung schlimmste Folgen. Das bedeutet auch eine Eskalation des Konflikts und provoziert eine Radikalisierung bei den Palästinensern. Deshalb ist die israelische Seite aufgefordert, alles zu tun, die Zivilbevölkerung zu schützen, wozu sie auch völkerrechtlich verpflichtet ist. Umgekehrt appelliere ich auch an die Palästinenser, die Hamas-Regierung und die Hisbollah, alles zu tun, damit die entführten Soldaten freikommen und israelisches Gebiet nicht mehr mit Raketen angegriffen wird.

Die Fragen stellten Ruth Ciesinger und Hans Monath. Das Foto machte Mike Wolff.

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