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Politik: "Hinter dem 38. Breitengrad": Öffnen, aber nicht mehr als nötig

Nordkorea ist so anders, dass mancher Besucher das Land sehr faszinierend fand. Allen voran die Schriftstellerin Luise Rinser, die Anfang der 80er Jahre dort war und "so viele positive Züge" wie nirgendwo sonst erkannte, mindestens nicht in der Dritten Welt: Sie fand keine Arbeitslosen und keine Korruption, keine nennenswerte Kriminalität und kein Einsamkeitssyndrom und kein Chaos, keine Zerstörung ethischer und humaner Werte.

Von Matthias Meisner

Nordkorea ist so anders, dass mancher Besucher das Land sehr faszinierend fand. Allen voran die Schriftstellerin Luise Rinser, die Anfang der 80er Jahre dort war und "so viele positive Züge" wie nirgendwo sonst erkannte, mindestens nicht in der Dritten Welt: Sie fand keine Arbeitslosen und keine Korruption, keine nennenswerte Kriminalität und kein Einsamkeitssyndrom und kein Chaos, keine Zerstörung ethischer und humaner Werte. "Sehr viel" sei das, schrieb sie. "Wir wären froh, wenn es im Westen so wäre. Könnte man eine Einbuße an individueller Freiheit dafür nicht in Kauf nehmen?"

Oliver Mohr ist ein junger Arzt aus Sindelfingen bei Stuttgart. Er hat das Reisebuch von Luise Rinser gelesen - und sich von der Hilfsorganisation Cap Anamur für einen mehrwöchigen Einsatz in Nordkorea verpflichten lassen. Jetzt gibt es sein eigenes Buch "Hinter dem 38. Breitengrad" mit Einblicken in das Nordkorea von heute. Die Lektüre macht klar: Abenteuerlust gehört auch heute zu einem Besuch in Nordkorea.

Fast wie ein Protokoll lesen sich seine Berichte über die Besuche in Krankenhäusern und die Gespräche mit Funktionären, über klaffende Lücken in der Versorgung mit Lebensmitteln und Energie. Manchmal etwas krampfhaft wirkt der Versuch, anders als Luise Rinser der nordkoreanischen Propaganda nicht aufzusitzen. Zu viel ist bekannt: Der Zusammenbruch des Sozialismus hat das Regime in Pjöngjang total in die Enge getrieben, niemand zweifelt mehr an Hungerkatastrophen gewaltigen Ausmaßes, an der heruntergekommenen Wirtschaft, an drangsalierten Menschen.

Beim Versuch, dem Alltag der Nordkoreaner auf die Spur zu kommen, ist Mohr an die Grenzen gestoßen, an die wohl jeder Nordkorea-Besucher stößt. Nicht nur, dass die Regierung in Pjöngjang Ausländer immer noch nur äußerst ungern ins Land lässt: Die Botschaft, dass Nordkorea am Rande des Kollaps steht, soll nach ihrem Willen tunlichst nicht verbreitet werden.

Gibt es so etwas wie Opposition in Nordkorea? Auch Oliver Mohr hat das nicht herausgefunden. Brüche zum verbreiteten Propaganda-Bild verzeichnet er, wenn einer seiner Betreuer vom staatlichen Komitee zur Bekämpfung der Folgen der Flutkatastrophe dem Alkohol zuspricht, eine Vorliebe für westliche Zigaretten zugibt oder versucht, von einer Hilfslieferung Reis eine Charge für sich und seine Familie abzuzweigen. Korruption - oder Überlebenswille?

Offen bleibt die Frage, warum das sozialistische Land allen Widrigkeiten zum Trotz immer noch irgendwie existiert, warum das Volk nicht rebelliert hat. Eine Ahnung vermittelt Mohr von Propaganda und Gesichtswahrung, vom zuweilen verkrampften Bemühen, sich Fremden keinesfalls mehr als nötig zu öffnen.

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