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Politik: Hinter den Linden: Kreative Schwindler

Großmütter aus der Zeit, in der Großmütter noch eine Schürze trugen und die Haare als Dutt frisierten, waren Hüter der Volksweisheiten. Volksweisheiten, das sind mahnende Ratschläge an die nachfolgende Generation, die von den Alten gerne ausgesprochen und von den Jungen ungerne gehört werden.

Großmütter aus der Zeit, in der Großmütter noch eine Schürze trugen und die Haare als Dutt frisierten, waren Hüter der Volksweisheiten. Volksweisheiten, das sind mahnende Ratschläge an die nachfolgende Generation, die von den Alten gerne ausgesprochen und von den Jungen ungerne gehört werden. "Spare in der Zeit, dann hast du in der Not", ist solch eine Weisheit, aus der die respektlosen Jungen machen "Spare in der Not, dann hast du Zeit dazu".

Ein anderer Satz, auch oft gehört, lautet: "Hochmut kommt vor den Fall". An den wird man in diesen Tagen vielleicht im Bundesministerium der Finanzen denken. Nein, nicht um Hans Eichel geht es, den Ritter vom schlappen Portemonnaie, sondern um seinen Vorgänger, Theo Waigel, den Hüter des stabilen Marktes und wackeren Kämpfer gegen alle schlappen Haushälter Europas. Als es darum ging, welche Staaten die so genannten Maastricht-Kriterien für die Teilnahme am Euro erfüllen würden, misstraute Waigel vor allem den Südeuropäern. Den Italienern warf er gar eine "kreative Buchführung" vor. Das klingt positiv, war aber ziemlich gemein. Es war nämlich eine bissige Umschreibung des Vorwurfs, in Rom sei, was die Staatsverschuldung betrifft, 1 plus 1 nicht zwei, sondern nur 1,5. Anders als kreativ, so war sich Waigel sicher, hätten die Italiener niemals die Aufnahme in den Euro-Club geschafft.

Ein halbes Jahrzehnt später droht Hans Eichel ein blauer Brief aus Brüssel, weil Deutschland und Portugal Gefahr laufen, die Obergrenze des gesamtstaatlichen Defizits zu überschreiten. Das Dumme daran ist: Eichel würde jetzt nicht einmal die Einführung einer kreativen Buchführung helfen, denn - die haben wir schon. Nichts anderes als eine schöpferische Art, mit roten Zahlen umzugehen, ist doch das Verschieben von Defiziten in die Schattenhaushalte im halb-öffentlichen Bereich. Die Deutschen sind also seit Theo Waigel so trickreich wie die Italiener, sie haben nur geglaubt, es merke niemand. Denkste. Hochmut kommt eben ... genau!

Gerd Appenzeller

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