zum Hauptinhalt

Politik: Hinter den Linden: Märchenhaft

Dass keiner mehr an Märchen glaubt, ist ein Märchen. Sie haben nur, die Märchen, ihr Gewand verändert.

Von Robert Birnbaum

Dass keiner mehr an Märchen glaubt, ist ein Märchen. Sie haben nur, die Märchen, ihr Gewand verändert. Als die Gebrüder Grimm vor 200 Jahren ihre Sammlung zusammentrugen, stammte das Material von alten Tanten, die in der dunkelsten Ecke der Stube hockten und Geschichten von bösen Zwergen und guten Königen, schönen Prinzessinnen und tapferen Prinzen, von Goldesel, Tischlein-deck-dich und Knüppel-aus-dem-Sack erzählten. Heutzutage wird der Stoff zu den Mythen des Alltags von jungen Tanten geliefert, die in der dunkelsten Ecke der Stube im Fernsehapparat hocken und Geschichten von bösen Demonstranten und guten Kanzlern, schönen Boxenludern und tapferen Formel-1-Fahrern ablesen. Man sieht, die Struktur der Erzählung ist gleich geblieben. Nur dass heute das Versprechen auf Festessen ohne Mühe von Dr. Oetkers Fertigsuppen ausgeht und die Knüppel-aus-dem-Sack die Firmenbezeichnung "Schill GmbH & Co KG" tragen. Um so größer die Verblüffung, wenn einer die Dinge auf ihren märchenhaften Kern zurückführt. Im Paul-Löbe-Haus, zweite Etage links, tagt der Haushaltsausschuss des Bundestages. Vor dessen Tür steht eine Statue aus Eisen, die der Karikaturist Bernhard Mohr zusammengeschweißt hat. Sie zeigt einen Kerl in gebückter Haltung, aus dessen Hinterteil plumpsen lauter Geldstücke in einen Sack. Auf dem Rücken des - pardon - Dukatenscheißerles, das stark an den deutschen Michel gemahnt, hockt ein kleinerer Kerl und betrachtet interessiert den Output. Auf dessen Hinterteil aber prangt der Bundesadler. Und es soll immer wieder mal Politiker geben, die hartnäckig an dieses Märchen glauben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false