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Politik: Hinter den Linden: Und mehr

Manchmal, nach des Tages Arbeit, spielen wir hier hinter den Linden ein kleines Sprachspiel. Das geht so: Einer sagt einen Satz oder auch nur ein Wort, und die anderen raten, aus welcher archäologischen Schicht es stammt.

Von Robert Birnbaum

Manchmal, nach des Tages Arbeit, spielen wir hier hinter den Linden ein kleines Sprachspiel. Das geht so: Einer sagt einen Satz oder auch nur ein Wort, und die anderen raten, aus welcher archäologischen Schicht es stammt. Man muss dazu wissen, dass unsere Sprache ungefähr so aufgebaut ist wie die Altstadt von Köln (mit Berlin funktioniert das Beispiel nicht so gut, wegen Mangels an historischem Tiefgang).

Da stützen in einer Garage Reste alter Stadtmauern den Stahlbeton; da stößt einer, der ein neues Haus bauen will, auf mittelalterliche Abwasserkanäle, darunter auf römisches Straßenpflaster, darunter ruhen Germanenknochen ... und über der Erde, in manchem alten Haus, finden sich Römerquader als Türschwelle verbaut. So ist das auch mit den Wörtern und Wendungen der Sprache. Sie haben ihre Zeit, versinken dann im Staub und werden zum Gegenstand der Archäologie. Ein Beispiel? " ... und mehr". Herkunft: 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Kein von fortschrittlich (damals: "alternativ") denkenden Menschen betriebenes Ladengeschäft, das nicht mit diesem Nachsatz geworben hätte: "Fahrrad und mehr", "Reisen und mehr", "Klobürsten und mehr". Das versprach nicht nur Latzhosen- und Kratzpulloverträger hinter der Theke, sondern auch Zugewinn fürs Gewissen: Wer bei "... und mehr" kaufte, tat etwas für Umwelt, Dritte Welt, Innenwelt.

Zusammen mit den Latzhosen und Kratzpullis liegt das "mehr" heute in Museumsvitrinen. Nur in der Leuchtreklame einer Kartoffelbraterei am Potsdamer Platz ist es noch zu lesen. Wie jene römische Türschwelle ragt es in die Postmoderne: Ein Klang aus fernen Zeiten.

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