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Politik: Hinter den Linden

Wenn man in alten Zeitungen blättert, das ist immer wieder ein ganz eigenes Erlebnis. Wir meinen die sehr alten Zeitungen, hundert Jahre und mehr.

Von Robert Birnbaum

Wenn man in alten Zeitungen blättert, das ist immer wieder ein ganz eigenes Erlebnis. Wir meinen die sehr alten Zeitungen, hundert Jahre und mehr. Absonderliches lesen wir da. Nehmen wir etwa diese Depesche aus Karlsbad: "Mit dem gestrigen Montage ist der russische Großfürst ... im hiesigen Heilbade eingetroffen und hat im Grand Hotel Logis genommen." Folgen Namen und Titel sämtlicher Begleiter des Nabobs sowie die wenig verblüffende Mitteilung, derselbe gedenke sich der heilkräftigen Quellen zu bedienen.

Die Depesche steht nicht unter den "Nachrichten aus der Gesellschaft", sondern im politischen Teil. Komisch, was die Leute damals für Politik gehalten haben! Heute dagegen - heute gibt es die Pressebegegnung. Das ist ein Wort aus dem Hinterlindendeutsch. Pressekonferenz kennt jeder: Journalisten stellen Fragen, Politiker antworten. Pressebegegnung geht anders. Teilnehmer sind ein deutscher und ein ausländischer Politiker - sagen wir, der Kanzler und der Premierminister von Kakanien. Die haben sich gerade 27 Minuten lang unterhalten, Dolmetschzeit inklusive.

Nun treten sie vor Kameras und Mikrofone. Und teilen mit, dass erstens das Gespräch in angenehmer Atmosphäre verlaufen sei und zweitens man sowohl bilaterale als auch internationale Themen angesprochen habe. Aber bitte, jetzt keine Fragen mehr, der Gast hat es eilig.

Abends sehen wir dann im Fernsehen zwei Herren, die einander mit gemessenem Lächeln die Hand schütteln. Man erkennt daraus, welche Fortschritte die Presse in den letzten hundert Jahren gemacht hat. Damals mussten die Leute die Depesche aus Karlsbad nämlich einfach glauben. Heute hingegen können sie mit eigenen Augen sehen, dass der Premierminister von Kakanien da war.

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