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Hintergrund: Meuterei - Auf schwankendem Grund

Laut Gesetz sind Meuterer Soldaten, die sich zu einem Angriff zusammenrotten. Schon der Versuch ist strafbar – es drohen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Beim Wort Meuterei entstehen Bilder von Piratenschiffen vor dem inneren Auge. Wer den Kapitän verraten hat, wird gefesselt – und muss auf hoher See über die Planke in den Tod laufen. Doch Meuterei ist keineswegs nur eine Filmanekdote oder eine Erinnerung an vergangene Seeschlachten. Sie ist auch deutsche Gesetzesgegenwart: in Paragraf 27 des deutschen Wehrstrafgesetzes. Demnach sind Meuterer Soldaten, die sich „zusammenrotten und mit vereinten Kräften eine Gehorsamsverweigerung, eine Bedrohung, eine Nötigung oder einen tätlichen Angriff begehen“. Schon der Versuch ist strafbar – es drohen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

Im aktuellen Fall wurde vier Auszubildenden auf der Gorch Fock angeblich Meuterei vorgeworfen, als sie sich weigerten, nach dem Unfalltod einer Kadettin in den Mast zu klettern. Hier sind sich fast alle Rechtsexperten einig, dass es sich dabei nicht um Meuterei handelt. Allerdings gibt es nach Angaben von Einar von Harten, Anwalt für Wehrdienstrecht in Hamburg, nicht eine einzige gerichtliche Entscheidung dazu. Das sei für ein Gesetz sehr ungewöhnlich. „Dabei gibt es den Meuterei-Paragrafen im Wehrstrafgesetz seit 1974“, sagt Harten. „Faktisch hat das Gesetz in der Praxis keine Bedeutung.“ Fälle von einfachen Gehorsamsverweigerungen landen hingegen regelmäßig auf den Tischen der Rechtsanwälte.

Nicht nur Soldaten müssen gehorsam sein. Jeder Arbeitnehmer in Deutschland muss die Weisungen seines Arbeitgebers befolgen. Bei Beamten gehen die Pflichten noch weiter: Sie haben eine Dienst- und Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn. Der Beamte ist verpflichtet, seinen Vorgesetzten zu beraten, zu unterstützen – und ihm zu gehorchen.

Soldaten müssen Befehlen nicht nur gehorchen, sie können bei Nichtbefolgung auch strafrechtlich belangt werden. „Soldaten dürfen zwar keinen Befehl verweigern – aber sie haben als Staatsbürger das Recht, sich zu äußern“, sagt Anwalt Harten. „Und sie haben das Recht, laut Paragraf 6 des Soldatengesetzes, auch Kritik an ihren Vorgesetzten zu äußern.“ Wenn ein Soldat meine, nicht richtig behandelt worden zu sein, könne er sich zudem bei der Bundeswehr beschweren. Dies regelt die Wehrbeschwerdeordnung.

Befehle der Vorgesetzten dürfen dabei nie gegen geltendes Recht verstoßen – die Anweisungen müssen sich immer im Rahmen des Grundgesetzes bewegen. „Gewissenhaft“ sollen die Soldaten die Befehle ausführen. Paragraf 11 des Soldatengesetzes appelliert dabei an eine Art mitdenkenden Gehorsam. Wenn durch einen Befehl eine Straftat begangen würde, ist sogar ausdrücklich festgeschrieben, dass er nicht befolgt werden darf. Auch wenn ein Befehl nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt worden ist oder seine Konsequenzen gegen die Menschenwürde verstoßen, muss der Soldat ihm nicht Folge leisten.

Gerade die Menschenwürde ist bei der Truppe ein heikles Thema. „Bei der Bundeswehr kommt es immer wieder zu Gratwanderungen“, sagt Harten. „Genau wie beim Sport werden hier Grenzen überschritten, um gewisse Leistungen zu erbringen.“ 2004 wurde bekannt, dass in der Kaserne im nordrhein-westfälischen Coesfeld Rekruten gefesselt, getreten, geschlagen und mit Stromstößen gequält wurden. So sollte das „Verhalten bei Geiselnahmen“ trainiert werden. Mehrere Bundeswehrausbilder wurden später zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Auch im Fall der Gorch Fock könnte es Konsequenzen für die Vorgesetzten geben. Vorausgesetzt, es war ein direkter Befehl an die Offiziersanwärterin, in die Takelage zu klettern. „Sollte es tatsächlich ein direkter Befehl gewesen sein, kann es sich hier um fahrlässige Tötung handeln“, sagt Harten. Die Vorgesetzten könnten dann nicht nur nach dem Wehrgesetz verurteilt, sondern auch strafrechtlich belangt werden. Der mögliche Tatbestand der Meuterei würde in den Hintergrund rücken.

Die berühmteste Meuterei der Geschichte ist unbestritten die der Bounty. Sie wurde verfilmt, in Büchern beschrieben, als Theaterstück verarbeitet. Der Dreimaster fuhr Ende des 18. Jahrhunderts unter britischer Flagge durch die Südsee, als ein Teil der Crew aufbegehrte. Der Kapitän wurde mit 17 Getreuen auf einem Boot ausgesetzt. Nach 41 Tagen, 5800 Kilometern und dem Verlust eines Mannes kamen sie auf Timor an. Die Insel bei Indonesien war damals Stützpunkt der Niederländer. Die Meuterer konnten indes als Verräter nie in die britische Heimat zurückkehren: Sie steuerten die Pitcairn-Inseln an, ein Eiland etwa 5000 Kilometer östlich von Neuseeland.

Auch andere Meutereien boten Stoff für Romane und Filme. Der Aufstand auf der russischen Fregatte Storoschewoi 1975 ist in Teilen die Vorlage für Tom Clancys Bestseller „Jagd auf Roter Oktober“, 1990 im Kino mit Sean Connery zu sehen. Der zweithöchste Offizier an Bord meuterte damals gegen den Kapitän, später wurde er deswegen verhaftet, verurteilt und 1976 hingerichtet. 1905 begehrten Matrosen auf dem russischen Kriegsschiff Potemkin gegen die kaiserlichen Offiziere an Bord auf. Die Meuterer ergaben sich eineinhalb Wochen später. 20 Jahre danach kam der Stummfilm „Panzerkreuzer Potemkin“ auf die Leinwand.

Die prominenteste Meuterei in Deutschland datiert auf den Herbst 1918. Gegen Ende des Ersten Weltkriegs weigerten sich Kieler Matrosen, in eine letzte Schlacht gegen die britische Royal Navy auszulaufen. Der Aufstand entwickelte sich innerhalb weniger Tage zur Massenbewegung im ganzen Deutschen Reich, stürzte die Monarchie und ist heute als Novemberrevolution bekannt.

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