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Historiker Geppert zu Folgen des Brexit: "Es wird für Berlin auf alle Fälle deutlich schwieriger"

Angela Merkels Flüchtlingspolitik hat die Brexit-Befürworter nicht eben gebremst. Jetzt wird es die Kanzlerin noch schwerer haben, eigene Akzente in Europa durchzusetzen, sagt Historiker Dominik Geppert.

Von Hans Monath

Wenn Großbritannien geht, verliert Deutschland auf europäischer Ebene einen wichtigen Verbündeten in wirtschafts- und haushaltpolitischen Fragen, sagt Historiker Geppert.
Wenn Großbritannien geht, verliert Deutschland auf europäischer Ebene einen wichtigen Verbündeten in wirtschafts- und haushaltpolitischen Fragen, sagt Historiker Geppert.

© AFP

Herr Professor Geppert, ist das knappe Ja zum Brexit nur auf das ungeschickte Taktieren von Premier David Cameron zurückzuführen, oder tragen auch Akteure diesseits des Ärmelkanals dafür Verantwortung? 

Natürlich ist in erster Linie die Fehlkalkulation von Cameron für dieses Ergebnis verantwortlich. Aber ich würde den Einfluss von außen nicht unterschätzen. Die riesigen Schwierigkeiten, die die EU sich in der Flüchtlingsfrage selbst bereitet hat, wurden in Großbritannien sehr genau wahrgenommen und hatten eine große emotionale Wirkung auf jene, die mit einem Austritt liebäugelten. Sie fühlten sich in dieser Haltung bestätigt durch die Uneinigkeit der EU und den Eindruck, dass einige EU-Länder die Kontrolle über die Sicherung ihrer Grenzen und die der EU verloren hatten. Das war Wasser auf die Mühlen der „Brexiteers“. 

Welchen Stellenwert hatte die Flüchtlingsfrage auf der Agenda der Austrittsbefürworter? 

Die zwei großen Themen der „Brexiteers“ waren zunächst Demokratie und Souveränität. Die beiden Themen wurden aber zunehmend von der Flüchtlingsproblematik überlagert. Die  Austrittsbefürworter haben dabei sehr unfair und unsauber argumentiert. Da wurde alles in einen Topf geworfen. Egal ob es um Binnenmigration in der EU oder Einwanderung in die EU von außen ging – alles musste herhalten, um den Wählern Angst zu machen.

Kritiker sagen, Kanzlerin Angela Merkel habe durch ihr unabgestimmtes Vorgehen in der Flüchtlingskrise Europa gespalten. Wenn die Uneinigkeit beim Referendum so stark wirkte, trägt sie dann Mitverantwortung für den Brexit?

Lassen Sie es mich so sagen: Die Briten haben mit Verwunderung auf die Öffnung der Grenzen durch die deutsche Regierung und ihren Umgang mit den Flüchtlingen reagiert – das ging bis hinein ins Regierungsviertel. Da wurden die Deutschen schlicht als „verrückt“ bezeichnet, es fielen Begriffe wie „Selbstaufgabe“ oder „Staatsversagen“. Auch viele jener Briten, die Deutschland mögen und für einen Verbleib in der EU kämpften, haben das nicht verstanden. Die deutsche Flüchtlingspolitik hat die Briten jedenfalls nicht an die EU herangeführt.

Lässt sich der Brexit-Prozess noch anhalten oder umkehren? Stellt die britische Regierung womöglich gar keinen Antrag auf Austritt?

Ich halte es für ausgeschlossen, dass die britische Regierung keinen Antrag stellt. Das geht nach diesem Ergebnis nicht. Es ist auch extrem unwahrscheinlich, dass ein neuer Regierungschef, etwa Boris Johnson, den Austritts-Antrag nur als Druckmittel einsetzen wird, um von der EU in Verhandlungen noch mehr Sonderregeln für sein Land zu fordern. Es gilt nun, was die Wähler wollten und was auch die Botschaft aus Brüssel und Berlin ist: „In is in and out is out.“

Was wird der EU fehlen ohne Großbritannien?

Es fehlt ihr eine starke Wirtschaftsmacht, die ein Fünftel der Wirtschaftsleistungen der EU beigesteuert hat. Es fehlt ein in die Welt orientierte, von Freihandel geprägte Nation. Großbritannien war gemeinsam mit der Bundesregierung Vorkämpfer für mehr Wettbewerbsfähigkeit, für Effizienzsteigerung, für weniger Bürokratie und weniger Zentralisierung in der EU. Nicht zu vergessen: Großbritannien ist neben Frankreich eine der beiden ernst zu nehmenden militärischen Mächte in der EU. Das militärische Potenzial der EU wird damit massiv geschwächt.

Was heißt das für Deutschland?

Deutschland verliert auf europäischer Ebene einen wichtigen Verbündeten in wirtschafts- und haushaltpolitischen Fragen. Damit steigt die Gefahr, dass Europa zusammenschnurrt zu einer Zone, die stark dominiert wird von süd- und westeuropäischen Ländern, die zu Protektionismus und Staatsinterventionismus neigen. Das kann die Wirtschaftspolitik der EU stark verändern.

Was bedeutet der Brexit für Deutschlands Machtstellung in der EU?

Es ist paradox: Das deutsche Gewicht wird größer, wenn eine solche Macht aus der EU ausscheidet. Der Preis ist aber, dass die Ängste vor einer deutschen Hegemonie in Deutschland auch größer werden. Die Aufgabe, in der EU zu vermitteln, bleibt bestehen. Mit anderen Worten: Es wird für Berlin auf alle Fälle deutlich schwieriger, in der EU eigene Akzente durchzusetzen.

Eine knappe Mehrheit von 52 zu 48 Prozent und Alte gegen Junge - wie wird sich diese Spaltung auf die politische Kultur in GB auswirken?

Die Debatte um den Brexit ist mit alle ihren Begleiterscheinungen ein starkes Plädoyer für die repräsentative Demokratie. Dieses Referendum hat die britische Gesellschaft extrem auseinandergetrieben. Die Briten haben diese Spaltung am Arbeitsplatz, in ihrem Freundeskreis und oft auch in der eigenen Familie erlebt. Es wird eine sehr schwierige Aufgabe werden, diese Polarisierung wieder zu überwinden und Zuspruch für eine verantwortungsvolle Politik zu organisieren.

Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Spaltung des United Kingdom?

J. K. Rowling hat nach dem Ergebnis getwittert, Cameron werde womöglich als Totengräber von zwei großen Unionen in die Geschichte eingehen, nämlich der EU und der anglo-schottischen Union von 1707. Da könnte sie Recht behalten. Es ist durchaus möglich, dass die schottischen Nationalisten die Möglichkeit ergreifen und ein weiteres Referendum über die Abspaltung ausrufen.  Sie hätten jetzt bessere Argumente. Was dagegen spricht, ist, dass der Erdölpreis sinkt, das macht eine Unabhängigkeit schwieriger. Mindestens so bedrohlich ist aber die Irland-Problematik. Wenn der Brexit vollzogen ist, trennt die EU-Außengrenze die Republik Irland und Nordirland. Das könnte neuen Streit in Nordirland provozieren, wo das politische Klima zwischen Katholiken und Protestanten traditionell konfliktgeladen ist.

Manche deutsche Politiker reagieren auf den Schock mit dem Versprechen einer noch weiter vertieften EU. Ist das das richtige Mittel, um die Gefahr eines weiteren Vertrauensverlustes zu bannen?

Da habe ich große Zweifel. Die Gefahr besteht, dass Rufe nach noch weiterer Integration jetzt die Gegenkräfte zur EU stärken. Die rechtspopulistischen, europafeindlichen Bewegungen in Frankreich, in  den Niederlanden, in Dänemark oder Schweden könnten dadurch noch mehr Auftrieb gewinnen. Ich sehe auch nicht, wer eine weitere Vertiefung anstoßen könnte. Berlin und Paris haben zu unterschiedliche Interessen, als dass sie einen gemeinsamen Vorstoß in diese Richtung unternehmen könnten.

Dominik Geppert ist Professor für Neuere und neueste Geschichte an der Universität Bonn. Er war unter anderem am Deutschen Historischen Institut in London tätig und forschte zu den deutsch-britischen Beziehungen.

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