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Bartoszewski

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Historiker Wladyslaw Bartoszewski: "Unter Druck sind Polen immer unberechenbar"

Wladyslaw Bartoszewski über sein besonderes Verhältnis zu Deutschland, den gemeinsamen Club EU und den richtigen Ton.

Herr Professor Bartoszewski, wie viele Reisen ins Ausland haben Sie seit dem Wahlsieg von Donald Tusk gemacht? Man bekam den Eindruck, dass Sie auf allen politischen Baustellen zugange sind.

Ich bin gar nicht so viel unterwegs. Offiziell war ich nur zwei Mal im Ausland und beide Male bin ich bei Deutschen gewesen: zuerst bei Papst Benedikt XVI. und danach bei Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Horst Köhler. Aber natürlich rede ich nicht nur mit Deutschen, hier in Warschau bin ich auch schon mit Delegationen aus anderen Ländern zusammengetroffen.

Gerade in den Augen der Deutschen gelten Sie als die personifizierte Charme- und Kompetenzoffensive, die viel zerbrochenes Porzellan kitten muss.

Ich bitte Sie, einen 85-Jährigem auf seinen Charme anzusprechen ist mehr als schmeichelhaft. Aber ich tue nichts anderes als mit den Leuten freundlich umzugehen. Das ist eben mein Naturell. Ich habe sieben Jahre in Deutschland gelebt und kenne fast alle Politiker der älteren Generation sehr gut. Es hat mich sehr gefreut, als ich von ihnen und vielen anderen Menschen Briefe bekommen habe, in denen sie mir Glück für mein neues Amt wünschten. Das zeigt, dass mich viele Deutsche als den kompetenten Partner betrachten, mit dem man offen und ehrlich reden kann und der die Interessen Polens frei von allen Parteibindungen vertritt.

Bei Ihren Besuchen rennen Sie offene Türen ein. Nach zwei Jahren ständiger Vetodrohungen scheint jeder froh zu sein, dass Polen wieder in den Schoß der europäischen Familie zurückgefunden hat.

Es ist eine Sache der Atmosphäre. Wir leben doch seit 2004 in einer gemeinsamen Familie, der Europäischen Union. In dieser Familie gab es aber in den vergangenen zwei Jahren viel Streit, Missverständnisse und ungelöste Probleme. Und nicht immer wurde der richtige Ton im Gespräch getroffen. Warnungen und Drohungen sind keine gute Grundlage für ein gutes Zusammenleben.

Die polnische Regierung unter dem damaligen Premier Kaczynski machte die deutsche Seite für diesen Streit verantwortlich.

Ich habe zwölf Jahre an deutschen Universitäten Vorlesungen gehalten und ich hatte nie Konflikte, mit keinem einzigen Studenten. Bis heute habe ich diese Leute in guter Erinnerung und sie mich auch. In dieser langen Zeit habe ich viele Leute getroffen, die mir von der Mentalität und der politischen Einstellung nicht immer sehr nahe standen, aber nie gab es böse Worte oder Konflikte.

Nach dem großen Schweigen redet man nun also wieder miteinander...

Und das Wichtige ist, man redet relativ offen miteinander. Während der Gespräche mit Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Köhler haben wir nicht ein Wort über die abgewählte Regierung und deren Vertreter verloren. Wir haben über die aktuellen Probleme, deren Lösung und die Möglichkeiten gesprochen, wie der Dialog ausgebaut werden kann.

Nach dem Antrittsbesuch von Premier Tusk in Berlin wurde kritisiert, dass keine konkreten Ergebnisse präsentiert wurden.

Was sollten wir denn erreichen? Wir sind keine Revolutionäre. Wir sind konstruktiv denkende Mitglieder desselben Clubs mit Namen Europäische Union.

Die Erwartungen an den Besuch waren aber sehr hoch. Denn allein durch den „politischen Klimawandel“ schienen sich Probleme plötzlich wie von selbst zu lösen.

Wir alle verbinden mit dem Regierungswechsel in Polen große Hoffnungen – vielleicht verbindet das Volk bisweilen auch zu große Hoffnungen damit. Denn man kann nicht in kurzer Zeit alle Ziele realisieren, die man sich gesetzt hat. Besonders dann nicht, wenn man im eigenen Land eine starke Partei als Opposition hat, die nach ihrer Niederlage gegenüber der Regierung unter anderem von Rachsucht getrieben wird.

Bei der Lösung der drei großen Probleme ist man sich nicht näher gekommen: der Ostsee-Pipeline, den Ansprüchen der Vertriebenen und dem „Sichtbaren Zeichen“ in Sachen Vertriebenengedenken.

Das Geschäft mit der Pipeline ist vom damaligen Bundeskanzler Schröder eingefädelt worden, der von der geschichtlichen Dimension dieser Sache keine Ahnung hatte. Nun haben wir das Problem, und wir werden noch viel darüber reden müssen, um einer Lösung näher zu kommen. Die zweite Sache: die Rückgabeansprüche der Vertriebenen. Zwar hat Berlin schon mehrere Male erklärt, dass man diese Ansprüche für haltlos halte. Das ist gut so, ist aber etwas unpräzise. Wir waren aus diesem Grund der Meinung, Merkel und Tusk könnten zusammen eine Erklärung abgeben, dass beide Seiten in dieser Sache einen gemeinsamen Standpunkt vertreten. Das ist aber leider nicht geschehen. Zuletzt zum „Sichtbaren Zeichen“. Es ist keine Katastrophe, wenn die Deutschen auf eigene Weise etwas zu Ende bringen. Aber im Geiste einer gut funktionierenden europäischen Familie sollte man alle Ideen vorher begutachten. Wir haben uns im weiteren Verlauf des Gesprächs geeinigt, dass sich kommenden Monat Experten in dieser Sache zusammensetzen werden, dann sehen wir weiter.

Nun hat Premier Tusk eine neue Idee geboren. Dass ein Museum in Danzig aufgebaut werden soll. Welches Ziel hatte dieser Vorstoß so kurz vor seinem Besuch in Berlin?

Das ist seine Sicht der Dinge, Tusk kommt aus Danzig, sein Vorschlag ist sehr authentisch und man kann sich ein solches Museum durchaus vorstellen. Man kann auch noch viele andere solcher Projekte realisieren, aber immer im Geist des gegenseitigen Vertrauens und nicht unter Druck. Und unter Druck, das wage ich aus der Erfahrung scherzhaft zu sagen, sind die Polen immer planmäßig unberechenbar gewesen. Wichtig ist, dass Polen und Deutsche Vertrauen zueinander finden.

Deutschland und Frankreich haben ein halbes Jahrhundert gebraucht, um zu Beziehungen zu kommen, die man als normal bezeichnen kann. Wie lange wird man im deutsch-polnischen Verhältnis auf diesen Zustand warten müssen?

Ich glaube, dass die Fortschritte seit 1989 enorm sind. Aber dennoch wird die Annäherung Zeit brauchen, mindestens bis die Kriegsgenerationen in beiden Ländern gestorben sind. Das heißt, in etwa zwanzig Jahren. Heinrich Böll hat mir einmal 1965 erzählt, dass er Englisch redet, wenn er nach Holland reist, weil die Deutschen so schlecht angesehen waren. Das war zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Krieges!

Im Fall von Frankreich hat es viel gebracht, dass die Deutschen eine große Neugier an den Tag gelegt haben und etwa im Urlaub immer wieder ins Nachbarland gefahren sind. Der Drang der Deutschen, sich den Polen zu nähern, ist weit weniger ausgeprägt.

Ehrlich gesagt, wenn ich in der DDR aufgewachsen wäre, wäre ich nach dem Fall der Berliner Mauer auch lieber nach Italien oder Spanien in den Urlaub gefahren. Polen hätte mich herzlich wenig interessiert.

Das Gespräch führte Knut Krohn.

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