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Landleben (Symbolbild)

© imago/Westend61

Hitzesommer 2018: Dürreschäden bei Bauern? Weniger Stimmung, mehr Fakten!

Soll den Bauern wegen der Dürre geholfen werden? Vorsicht: Die Verklärung des Landlebens hat in Deutschland eine lange, unrühmliche Tradition. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Der Bauer ist gut. Er steht früh auf, bestellt die Felder, trotzt dem Wetter, versorgt uns mit Nahrung, lebt im Einklang mit der Natur, ist erdverbunden, praktisch, aufrichtig. Seine Arbeit „ist am fröhlichsten und voller Hoffnung“, schreibt Martin Luther. Die Verehrung des Bauern zieht sich bis in die Gegenwart, findet Einzug in die Popmusik. „I’d rather trust a countryman than a townman, you can judge by his eyes, take a look if you can“, singen Genesis (frei übersetzt: Ich traue eher einem Land- als einem Stadtmenschen, du sieht ihm in die Augen und weißt Bescheid).

Der Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt beträgt weniger als ein Prozent. Das Budget des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft beläuft sich auf sechs Milliarden Euro, das sind rund zwei Prozent des Bundeshaushalts. An diesem Mittwoch will sich das Kabinett mit der Erntebilanz und möglichen Konsequenzen befassen. Wegen der wochenlangen Dürre haben acht Bundesländer der Regierung Schäden in Höhe von fast drei Milliarden Euro gemeldet. Der Bauernverband fordert eine Milliarde Euro, um die Ausfälle auszugleichen. Das sei zu viel, heißt es im Finanzministerium.

Zum Vergleich: Im Hitzesommer 2003 hatten Bund und Länder jeweils knapp 40 Millionen Euro gezahlt. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner fordert auch jetzt Augenmaß und Vernunft. „Wir dürfen uns nicht von Stimmungen leiten lassen“, sagt sie, „sondern müssen auf Zahlen und Fakten schauen.“

Viele Aussteiger zog es in den 70er und 80er Jahren aufs Land

Wenn es um Hilfen für notleidende Bauern geht, die womöglich ihre Höfe aufgeben müssen, fällt es allerdings schwer, stets kühl zu bleiben. Denn zu erregten Stimmungen kommen hartnäckig sich haltende Stereotype. Die Verklärung ländlicher Daseinsformen hat in Deutschland eine lange, nicht immer rühmliche Tradition. Das bäuerliche Leben sei ursprünglich und unverfälscht, heißt es. Nicht zufällig zog es viele Aussteiger in den 70er und 80er Jahren aufs Land. Dort wollten sie sich selbst verwirklichen, authentisch und naturverbunden. Das Leben in der Stadt galt als oberflächlich, am Geld orientiert, intellektualistisch, entfremdet.

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Ohne es zu wollen, knüpften die Aussteiger damit an eine völkische, auch antisemitisch geprägte Tradition an. Mit Beginn der Neuzeit schält sich als negatives Pendant zum Bauern der Jude heraus. Er ist das Antisymbol. „Der Bauer ist der wahrhaft leidende Christ, sesshaft, arbeitet im Schweiße seines Angesichts, ist durch den Wettereinfluss direkt von Gottes Gnade abhängig“, schreibt die Soziologin Tamar Bermann. „Der Jude hingegen irrt umher, wegen seines Judentums von Gott bestraft, sein Lebensunterhalt basiert auf dem suspekten Geldgeschäft statt auf ehrlicher Arbeit; durch seine Verworfenheit ist er von der Erde getrennt; sein Leben ist fremd, unüberschaubar und geheimnisvoll.“

Mitte des 18. Jahrhunderts veredelte Jean-Jacques Rousseau das ländliche Leben als Gegenstück zur Industrialisierung und lieferte mit dem Slogan „Zurück zur Natur!“ den philosophischen Überbau. In seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“ schreibt Egon Friedell über diese Zeit: „Dass der Bauer das Gegenteil von alledem ist: ein hartes und finsteres, gieriges und misstrauisches Erdtier, das seinen Bau und die darin angesammelten Vorräte eifersüchtig bewacht und mit Krallen und Zähnen verteidigt, wusste man nicht oder hatte man vergessen.“

Innerhalb der NSDAP gab es einen starken Wald- und Tierschutzflügel

Naturverbundenheit und Antisemitismus: Diese Koppelung machten sich auch die Nazis zunutze. Innerhalb der NSDAP gab es einen starken Wald- und Tierschutzflügel. Hitler, Himmler und Hess waren deren prominentesten Vertreter. Da musste die Scholle gegen den Internationalismus verteidigt werden, die Handarbeit gegen das Spekulantentum, die Erdverbundenheit gegen das Heimatlose.

Tempi passati? Vielleicht nicht. Vor anderthalb Jahren berichtete der Deutschlandfunk über einen neuen Trend. Immer mehr völkische Siedler, sogenannte stille Rechtsradikale, zögen aufs Land. Die Männer trügen Bärte und Zimmermannshosen, die Frauen langes Haar und Röcke. Sie betrieben Biolandwirtschaft, seien Ökobaustoffhändler oder Schmied. Rund tausend seien es bereits deutschlandweit. „Bauerntum spielt eine zentrale Rolle. Arbeit auf und mit dem deutschen Boden gilt ihnen als Grundlage für die Selbstverwirklichung – der Selbstverwirklichung des deutschen Volkes.“ Damit kein Zweifel entsteht: Bauern, die jetzt Not leiden, sollte geholfen werden. Stereotype und Stimmungen aber sollten die Debatte nicht beeinflussen.

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