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Politik: „Höhere Unternehmensteuern wären nur gerecht“

Frankreichs früherer Wirtschafts- und Finanzminister Strauss-Kahn über Gewinne, Europas Linke – und seinen Duzfreund Lafontaine

In Deutschland und Frankreich wird quer durch alle Parteien über die künftige Ausrichtung der Wirtschaftspolitik diskutiert. Vor allem im linken Lager gehen die Meinungen stark auseinander. Ist die europäische Sozialdemokratie in der Krise?

Ja. In ganz Europa erleben wir dieses Phänomen. Die Konservativen haben es sich leicht gemacht, sie haben einfach das Modell der freien Marktwirtschaft in ihrer britischamerikanischen Ausprägung importiert, ob es unseren Gesellschaften entspricht oder nicht. Die Linke ist in einer schwierigeren Situation, denn: Das, was seit Ende des Zweiten Weltkriegs das Fundament war und in den Jahren danach in vielen Staaten in Europa in ähnlicher Form ausgebaut wurde, ist heute brüchig geworden. Angesichts der Folgen der Globalisierung sind wir an dem Punkt angekommen, wo wir klar definieren müssen: „Was bedeutet es, im 21. Jahrhundert links zu sein?“ Über diese Fragen diskutiere ich zurzeit sehr viel mit meinen Parteikollegen.

Frankreichs Sozialisten sind besonders gespalten, wie beim europäischen Verfassungsreferendum zu erleben war.

Die Sozialistische Partei hat noch immer nicht ihr „aggiornamento“ erlebt und Konsequenzen aus einer veränderten Wirklichkeit gezogen, wie etwa die deutsche SPD mit dem Godesberger Programm oder die britische Labour-Partei mit Tony Blair – wenngleich die Umstände freilich nicht die gleichen sind. In Frankreich gibt es nach wie vor die Wahl zwischen zwei Positionen. Eine radikale Position, die, wenn nicht das Ideal erzielt werden kann, alles ablehnt. Und eine reformerische Position, die besagt: Wir gehen wenigstens einen Schritt vorwärts, auch wenn wir davon träumen würden, zehn Schritte zu machen. Frankreichs Sozialisten tun sich noch immer schwer, von der ersten, der radikalen Position Abschied zu nehmen.

In Deutschland ist es ähnlich, nur der Bruch ist durch die Gründung der Linkspartei schon vollzogen. Wie bewerten Sie den Kurs ihres Duzfreundes Lafontaine?

Ich bin mit Lafontaine noch immer gut befreundet, sehe aber mit Traurigkeit, welchen Weg er eingeschlagen hat. Die Linkspartei wird der SPD bei der Wahl am Sonntag wohl viele Stimmen wegnehmen. Wer dazu beiträgt, dass das eigene Lager verliert, ist naturgemäß auf dem falschen Pfad. Ich hoffe, dass sich die Wähler nicht irreführen lassen durch seinen Diskurs, der mir ziemlich demagogisch erscheint.

Aber Rot-Grün hat aufgeholt.

Ich glaube, dass noch nichts entschieden ist. Es gibt eine positive Dynamik für Schröder, wegen seines gelungenen Auftritts beim TV-Duell, aber auch wegen des Mutes, den er gezeigt hat mit seiner Agenda 2010. Schröder rennt nicht dem linken Rand nach, um dessen Ideen aufzunehmen. Er sagt, was er für richtig hält und steht dafür ein. Diese Ehrlichkeit bringt ihm Sympathie bei den Wählern. Schröder ist sehr wichtig für die europäische Einigung.

Wie bewerten Sie Schröders Reformen?

Was die Methode angeht, bewundere ich Schröder für seinen Mut, den Problemen ins Gesicht zu schauen. Die Reformen waren notwendig, doch für die Bürger sehr schwer zu verdauen; daher befindet sich die SPD heute auch in einer schwierigen Position. Es war nicht einfach, sie zu vermitteln, vielleicht war es auch nicht immer geschickt gemacht. Doch Deutschland muss an die sich verändernde Welt angepasst werden, und von der Reformausrichtung her, hat Schröder alles getan, was er für Deutschland tun konnte.

Wären Schröders Reformen auch in Frankreich anwendbar?

Wir haben zwar ähnliche Probleme, ein Modell lässt sich aber nicht so ohne weiteres übertragen. In Frankreich brauchen wir einen neuen Sozialvertrag. Ohne diesen hätten wir nur die Wahl zwischen der Starre, in der wir uns heute befinden und der Abenteurer-Variante, die darin besteht, den Markt alles regeln zu lassen. Doch wenn wir uns ansehen, was in New Orleans nach dem Hurrikan passiert, wird klar: Es ist nicht gut, wenn ein Land sich völlig vom Markt bestimmen lässt. Bei der Suche nach diesem neuen Sozialmodell, das aus unserer Gesellschaft selbst kommen muss, muss die Linke ins Spiel kommen und neue Lösungen aufzeigen.

Wie denken Sie über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, wie sie Merkel plant?

Ich denke, dass man die Mehrwertsteuer nutzen kann, um verschiedene Verbrauchergewohnheiten zu verändern. Ich finde es etwa nicht normal, dass Hamburger in Frankreich weniger besteuert werden als gesündere Naturprodukte. Doch da wir wegen der Globalisierung immer mehr Ressourcen brauchen, etwa für Forschung und Infrastruktur, müssen wir das Geld auch und vor allem bei den Gewinnern der Globalisierung holen. In einem Bericht, den ich dem ehemaligen EU-Kommissionspräsidenten Prodi übermittelt habe, schlage ich vor, die Unternehmensteuern in Europa mit einem Zuschlag von zwei bis drei Prozent zu versehen. Dies erscheint mir angesichts der hohen Unternehmensgewinne nur gerecht. Und wir sollten energieintensive und umweltbelastende Maßnahmen stärker besteuern. Damit erhalten wir die nötigen Mittel und stellen gleichzeitig die Weichen für die Gesellschaft, in der wir leben wollen.

Nach dem Parteitag im November geht es darum, den Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2007 zu bestimmen. Viele Namen sind im Spiel, auch ihrer?

Ja, ich habe vor, den Sozialisten meine Kandidatur anzubieten.

Welche Vorschläge haben Sie, um Frankreich und Europa aus der Krise zu führen?

Wir müssen die Probleme an der Wurzel anpacken, statt immer nur zu versuchen, Missstände im Nachhinein zu „reparieren“. Wenn wir Ungleichheiten in der Gesellschaft beseitigen wollen, müssen wir bei den Kindern anfangen und direkt an die Schulen gehen. Wir müssen die Bildungssituation verbessern und mehr in Forschung investieren. Und wenn wir Einschnitte vornehmen, muss dies alle gleich treffen. Es kann nicht angehen, dass manche mehr bezahlen müssen als andere.

Das Gespräch führte Sylvie Stephan.

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