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© dpa

Holger Hövelmann: „Halberstadt war unprofessionell“

Sachsen-Anhalts Innenminister Hövelmann über Versäumnisse im Kampf gegen den Rechtsextremismus.

Von Frank Jansen

Nach dem Neonazi-Überfall auf eine Theatergruppe in Halberstadt ließen Polizisten einen der Täter laufen. Der Vorfall passt zu weiteren Blamagen der Polizei in Dessau, Gerwisch, Pretzien und Zerbst. Sabotieren Teile der Polizei in Sachsen-Anhalt die Bekämpfung rechter Kriminalität?

Das stimmt so nicht. Es gibt kein geballtes Fehlverhalten der Polizei an einer Stelle im Land, sondern über einen längeren Zeitraum Einzelfälle und dann immer in einer anderen Polizeibehörde. Grundsätzlich macht die Polizei in Sachsen-Anhalt einen guten Job. So stimmt mich die Abnahme rechtsextremistischer Straftaten optimistisch. Zwischen Januar und Mai wurden 166 rechtsextreme Straftaten registriert, darunter 15 Gewalttaten. Im Vergleichszeitraum 2006 waren es 431 Straftaten. Das ist kein Anlass zur Entwarnung, aber Beleg dafür, dass wir auf dem richtig Weg sind. Aber wir haben Nachholbedarf in puncto Qualität und Qualifizierung unserer Beamtinnen und Beamten. Seit einem Jahr wird die Fachhochschule der Polizei zu einem Kompetenzzentrum bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus entwickelt, mit massiver Aus- und Fortbildung. Aber Resultate sind bei einem Polizeikörper von fast 8000 Vollzugsbeamten nicht in wenigen Wochen zu erwarten. Leider ist die Notwendigkeit einer engagierten Bekämpfung rechter Kriminalität noch nicht allen Beamtinnen und Beamten in Fleisch und Blut übergegangen.

Hätte nicht angesichts der Probleme mit rechter Kriminalität viel früher die Aus- und Fortbildung der Polizei diesbezüglich verstärkt werden müssen?

Ja. Aber ich kann wenig Gründe dafür nennen, warum das nicht früher erfolgt ist. Als ich vor 14 Monaten mein Amt antrat, habe ich das Thema sofort auf die Agenda gesetzt. Ich habe viele Dienstberatungen in der Landespolizei veranlasst und Erlasse herausgegeben, um Führungskräfte sowie Beamte in der Fläche für den Ernst der Lage zu sensibilisieren. Es zahlt sich aus: Wir haben in den ersten fünf Monaten dieses Jahres im Vergleich zu dem gleichen Zeitraum 2006 einen deutlichen Rückgang bei der rechten Kriminalität. Aber so eine Tendenz wird nicht mehr wahrgenommen, wenn die Polizei Fehler macht wie in Halberstadt.

Wie erklären Sie sich die Versäumnisse dort? Einer der laufengelassenen Neonazis war sogar nur auf Bewährung in Freiheit. Waren die Beamten unwillig oder unfähig?

Es war unprofessionell. Ein Funkspruch in der Dienststelle hätte genügt um herauszubekommen, welche kriminelle Biografie der Neonazi hat, der gerade überprüft wird. Dass es unterlassen wurde, ist ein grober Fehler. Es kam hinzu, dass der verantwortliche Dienstgruppenleiter in der Nacht den Einsatz nicht koordinierte und führte, sondern die Beamten vor Ort in der unübersichtlichen Situation allein ließ. Deshalb hat ihn die Polizeipräsidentin seiner Position enthoben.

In Dessau soll der Vizechef der Polizeidirektion drei Staatsschützern empfohlen haben, die Bekämpfung rechter Kriminalität zu bremsen.

Als mir der Vorgang bekannt wurde, habe ich gründliche Ermittlungen zum Geschehen initiiert. Solange der Fall nicht aufgeklärt ist, darf auch keiner in der Öffentlichkeit verurteilt werden.

Dann ist erst recht zu fragen, warum die drei Staatsschützer, die erfolgreich gegen rechte Täter ermittelt haben, sich gezwungen sehen, ihre Posten aufzugeben. Kann sich die Polizeidirektion Dessau einen solchen Verlust von Kompetenz leisten?

Es ist im Polizeialltag nicht ungewöhnlich, dass ein Beamter den Posten wechselt. Dazu kommt, dass die Beamten teilweise selbst um Versetzung baten.

Der Vizechef in Dessau soll die von der Landesregierung initiierte „Hingucken!“-Kampagne gegen Rechtsextremismus verächtlich gemacht haben. Nimmt man Halberstadt und frühere Versäumnisse der Polizei hinzu, erscheint die Glaubwürdigkeit der Kampagne gefährdet.

Mann kann es auch anders sehen. Die Vorfälle zeigen, wie notwendig die Kampagne „Hingucken!“ ist. Damit die Polizei besser reagiert, brauchen wir ein anderes Alltagsklima in Sachsen-Anhalt. Der rechte Alltagsterror darf nicht durch Schweigen und Weggucken toleriert und damit befördert werden. In Halberstadt sollen sich Passanten nicht darum gekümmert haben, den Opfern zu helfen.

Wie wollen Sie denn der Bevölkerung vermitteln, dass sie Zivilcourage zeigen soll, wenn die Polizei mehr als einmal den Einsatzwillen vermissen lässt?

Natürlich müssen sich staatliche Institutionen wie Polizei und Justiz vorbildhaft dem Rechtsextremismus stellen. Es darf auf gar keinen Fall so weit kommen, dass die Bevölkerung den Eindruck gewinnt, sie müsse sich auch nicht einsetzen.

Holger Hövelmann ist seit 2006 Innenminister in Sachsen-Anhalt und seit 2004 Landeschef der SPD. Mit ihm sprach Frank Jansen.

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