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Marnix Krop, 61, niederländischer Botschafter in Berlin.

© promo

Hollands Botschafter im Interview: "Die Leute haben nichts gegen Kopftücher, aber gegen die Burka"

Nach dem Gespräch über Fußball hier nun der zweite Teil unseres Interviews mit dem niederländischen Botschafter Marnix Krop: Über holländische Ängste vor Deutschland, über Einwanderung und über den Rechtspopulisten Geert Wilders.

Im Fußballteil unseres Interviews hatten Sie gesagt, dass sich die holländische Sicht auf Deutschland durch die WM 2006 fundamental verbessert habe. Gab es denn nicht auch andere Gründe?

Die Art und Weise, wie die deutsche Einheit nicht nur zustande gekommen ist, sondern hier auch gefeiert wurde, hat sehr viel Goodwill geschaffen. Ich erinnere mich noch, dass es in Holland sehr viel herzliche Freude über den Mauerfall gab.

Gab es keine politischen Ängste vor einem starken vereinigten Deutschland?

Die hat es gegeben, aber sicherlich nicht mehrheitlich, vielleicht mehr bei den Intellektuellen als in der Bevölkerung. Es hat solche Stimmen gegeben, aber die Antwort war auch klar: Dieses vereinigte Deutschland bleibt westlich, in der EU, in der Nato, das hatte sich alles bewährt. Es entsteht nichts Neutrales in der Mitte Europas, denn das wäre gefährlich. Man kann sagen, dass sich trotz der Einheit das westliche Deutschland fortgesetzt hat. Vielleicht nicht überall, aber durchaus auch in Ostdeutschland. Und es geht seit 20 Jahren gut. Die Ressentiments verschwinden. Es gibt ein neues Deutschland und auch neue Niederlande. Natürlich gibt es immer noch alte Niederländer, die nicht nach Deutschland fahren möchten.

Wegen des Zweiten Weltkriegs …

Ja, wenn sie in die Schweiz reisen, dann fahren sie über Frankreich, obwohl das viel länger dauert.

Aber es gab doch die berühmte Clingendael-Studie, der zu folge gerade die jüngeren Niederländer Ressentiments gegen Deutschland haben.

Ich bin kein Experte für Umfragen, aber ich weiß, dass es da ernsthafte methodologische Probleme gab. Aber natürlich gibt es auch junge Leute, die auf der Suche nach Identifikation sich nicht nur als Niederländer bekennen, sondern auch gegen etwas anderes, zum Beispiel Deutschland. Es ist in der Nähe, es ist groß. Aber es gibt auch antibelgische Gefühle oder Witze. Das alles steckt nicht tief. Vielleicht hat es mehr mit Holland selbst zu tun als mit den Nachbarn.

Inwiefern?

In einer Zeit, in der die Welt größer wird und wir notwendigerweise etwas kleiner, gibt es gewisse Ängste, die mit der Zeit eher größer als kleiner werden. Ein Land wie Holland fühlt sich natürlich von der Globalisierung berührt.

Einwanderung ist ein großes Thema in Holland und in Deutschland. Schafft das vielleicht sogar Gemeinsamkeiten? Früher haben die Niederländer ja eher mit Empörung nach Deutschland geschaut, zum Beispiel nach den Brandanschlägen von Solingen.

So einen Vorfall hat es bei uns in den Siebzigerjahren auch gegeben in Rotterdam. Und sicher wird man sich der Gemeinsamkeiten bewusster: Deutsche und Niederländer sind Nordeuropäer, es gibt eine gemeinsame Kultur. Eine gemeinsame Wirtschaft ohnehin, das hat ja die Eurokrise gerade wieder gezeigt. Außerdem hat sich auch Deutschland stärker internationalisiert, obwohl es den Farbreichtum, den wir in den Niederlanden kennen, hier noch nicht so gibt. Aber die Internationalisierung ist jetzt sichtbarer, im Fernsehen, im Fußball. Das tut gut, auch das verstärkt die gegenseitige Identifikation. Wir haben viele gesellschaftliche Gemeinsamkeiten. Auf niederländischer Seite gilt dies aber vor allem für den östlichen Teil des Landes. Dort gibt es millionenfach enge Kontakte und Austausch über die Grenze. Man kauft ein und sogar Fußball wird zusammen geschaut. In Den Haag ist man dem Meer zugewandt, und wenn man dort an Deutsche denkt, dann vor allem an deutsche Badegäste.

Deutschland holt multikulturell auf, aber in den Niederlanden gibt es ja nun gerade eine Gegenbewegung hin zu Tradition und Identität. Ist das auch nur ein Oberflächengefühl oder eine tiefgreifende Entwicklung?

Das greift manchmal tiefer. Vor allem in den Städten war die Einwanderung massiv und konzentriert, auch zeitlich. Man muss aber unterscheiden: Aus Indonesien und Surinam kamen Menschen, die schon immer zum selben Königreich gehörten. Sie sprachen dieselbe Sprache. Kommunikation und Identifikation waren sehr viel einfacher. Es gab Anfang der Achtziger schon auch ein Problem mit Surinamern: Viele Arbeitslose, Kriminalität, Drogensüchtigkeit. Das ist fast total weg. Das gibt Hoffnung, dass so ein Problem innerhalb von dreißig Jahren behoben werden kann. Aber wie gesagt: Die Sprache hilft stark dabei.

Und die Religion?

Es waren fast alles Christen, nur wenige Muslime waren dabei und wenn, dann gemäßigt. Dann kam die zweite Einwanderung, aus der Türkei, aus Marokko. Plötzlich war da ein Nachbar aus einem anderen Land, der nicht nur anders aussah, sondern auch noch eine andere Sprache sprach. Zwei Wochen später kam wieder ein anderer Nachbar aus einem wiederum anderen Land, der wieder eine andere Sprache sprach, die man nicht verstand und die auch der vorher gekommene Nachbar nicht verstand. Innerhalb von 15 Jahren haben sich ganze Straßen und Stadtviertel ganze Gemeinschaften sehr stark geändert. Viele Leute fühlten sich entfremdet, als Fremde in der eigenen Gegend. Ein Teil ist umgezogen, die haben dann noch mehr Angst als die Leute, die bleiben. Die Kinder haben auch wieder Angst, zum Beispiel vor Statusverlust. In Almere, wo Geert Wilders…

… der Chef der rechtspopulistischen Partei PVV …

… so stark war, sind nicht so viele Ausländer. Dort leben aber viele Leute, die aus der Stadt weggezogen sind. Und sie wollen wenigstens an ihrem neuen Wohnort jetzt die Lage so erhalten, wie sie ist. Das ist zu allererst ein Defensivmechanismus.

Das hieße dann, dass es nicht so tief sitzt.

Die Überzeugung ist: Sie haben mir meine Straße genommen, ich bin damit nicht glücklich, es geht alles zu schnell, die Politik hört mich nicht. Das Gefühl ist: Die Politik hat nichts getan. Was nicht wahr ist. Es gab und gibt eine Reihe von Maßnahmen schon seit den Achtzigerjahren.

Zum Beispiel?

Förderung auf dem Arbeitsmarkt, in der Schulpolitik, mehr Sprachkurse. Die Zuwanderung wurde erschwert. Gerade der jetzige Chef der Sozialdemokraten, Cohen, hat als Justizstaatssekretär 1999 ein Ausländergesetz neu formuliert, das deutlich strikter ist. Wir hatten bis damals bis zu 60.000 Einwanderer pro Jahr, hauptsächlich Asylbewerber. Da wurden dann sogar Zelte gebaut, um die Menschen unterzubringen. Jetzt haben wir weniger als 10.000. Das hat alles abgenommen. Trotzdem gibt es jetzt Stadtviertel, in denen man in einem anderen Holland ist als vor 30 Jahren. Da gibt es Ressentiments und das Gefühl, man könne bestimmte Dinge nicht ansprechen.

Sprechverbot in einem so liberalen Land wie den Niederlanden?

Anne Frank hat natürlich bei uns regiert, wie auch in Deutschland.

Sie meinen: Die politische Korrektheit hat regiert, personifiziert durch das jüdische Mädchen, das in Holland das berühmte Tagebuch schrieb und von den Nazis ermordet wurde.

Es ist natürlich gut, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg dominiert. Das finden wir alle. Aber zugleich kann es nicht sein, dass man die Dinge nicht beim Namen nennen kann. Man konnte nicht sagen: Ich finde es nicht gut, dass ich in einer Straße lebe, wo ich fast keinen mehr kenne, wo es keine Gemeinsamkeiten mehr gibt. Dann wurde man schnell als Rassist bezeichnet. So war die öffentliche Debatte. Man konnte die Dinge nicht beim Namen nennen. Wenn ein marokkanischer Jugendlicher eine kriminelle Tat beging, konnte man das so in der Zeitung nicht schreiben. Es gab ein Problem mit marokkanischen Jugendbanden, aber das wurde so nicht geschrieben.

Welche Rolle spielt Wilders?

Das Besondere an Wilders ist, dass er einen Kulturkampf gegen den Islam führt. Aber das ist nicht das Attraktive an ihm. Viele haben ihn nicht gewählt, weil sie gegen Ausländer sind, sondern Anti-Den-Haag.

Gegen die etablierte Politik.

Die meisten Leute sind keine Rassisten und sie sind auch nicht anti-islam. Sie folgen ihm da gar nicht.

Also liegt Wilders’ Anziehungskraft eher in einer grundsätzlichen Anti-Haltung, darin, Dinge auszusprechen und damit politisch korrekte Tabus zu brechen, und gar nicht so sehr im eigentlichen Inhalt der Aussagen?

Die Niederlande haben eine Tradition der religiösen Toleranz, aber auch der Religionskritik. Ein Politiker darf die Religion öffentlich kritisieren. Es gehört zu unserer Toleranz und zu unserem Begriff von Freiheit, dass so ein Mann sich äußern kann. Dass er geschützt wird vor Bedrohungen. Und es gibt auch einen breiten Konsens, dass wir keinen bedrohlichen religiösen Fundamentalismus akzeptieren. Es wird für gut gehalten, dass seine Wähler durch Wilders eine Stimme bekommen. Wenn er aber sagt, der Koran sei ein Buch wie Hitlers „Mein Kampf“, dann sehen das wenige Menschen genauso. Das sagt er deshalb auch nicht mehr oft.

Das Extreme stört die Leute?

Ein Beispiel: Die Leute haben nichts gegen Kopftücher, aber schon gegen die Burka. Die meisten Kopftuchmädchen sind heute sehr schick gekleidet. Außerdem trugen die Niederländerinnen früher auch Kopftücher.

Das Gespräch führte Markus Hesselmann.

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