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Mitglieder der israelischen Knesset und Überlebende des Holocausts besuchten am Montag das ehemalige deutsche KZ im polnischen Auschwitz.

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Update

Holocaust-Gedenken: "Ich konnte lange den Deutschen nicht verzeihen"

Weltweit wird heute der Befreiung des KZ Auschwitz am 27. Januar 1945 gedacht. Ein Blick auf die Gedenkveranstaltungen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die "menschenverachtende Rassenideologie" der Nationalsozialisten verantwortlich für systematisches Morden in Auschwitz und Leningrad gemacht. Leningrad sollte "als Wiege des sogenannten jüdischen Bolschewismus vernichtet werden", sagte Lammert am Montag in der Holocaust-Gedenkstunde des Bundestages. "Das Sterben in der Stadt war alltägliche Wirklichkeit geworden." Vor 70 Jahren - am 27. Januar 1944 - hatten russische Soldaten die fast 900 Tage währende Belagerung Leningrads durch die deutsche Wehrmacht aufgebrochen. Nach Schätzungen starben in dieser Zeit mehr als eine Millionen Menschen in Folge deutscher Luftangriffe und Hunger in der total abgeriegelten Stadt. Vor 69 Jahren - am 27. Januar 1945 - befreiten Soldaten der Roten Armee das größte nationalsozialistische Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, in dem mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet wurden. 2005 hatten die Vereinten Nationen diesen Tag zum internationalen Holocaust-Gedenktag ausgerufen.

Lammert rief zur Verteidigung der Demokratie auf. Die Morde des rechtsextremen NSU an Migranten, die von rassistischen Parolen begleiteten Proteste gegen Flüchtlingsheime und antisemitische Straftaten in Deutschland forderten "unsere rechtsstaatliche, politische und zivilgesellschaftliche Gegenwehr als Demokraten heraus".

Granin: "Der Tod tat schweigend seine Arbeit"

Die Gedenkrede im Bundestag hielt der russische Schriftsteller und Zeitzeuge Daniil Granin. Der 95-Jährige kämpfte als Freiwilliger im Zweiten Weltkrieg und überlebte die Blockade von Leningrad. In seiner Rede berichtete Granin von seinen persönlichen Erinnerungen an die 900-tägige Belagerung seiner Heimatstadt und aus Aufzeichnungen und Interviews anderer Zeitzeugen. Granin sprach von "katastrophalen Ereignissen", die sich schon sehr bald nach Beginn der Belagerung in Leningrad eingestellt hätten. Es habe in der Stadt keinen Strom, kein Wasser und kein Gas mehr gegeben. Es sei zu tagelangen Bränden gekommen, weil nicht einmal Löschwasser vorhanden gewesen sei. Die Lebensmittelversorgung sei katastrophal gewesen. Täglich seien mehrere tausend Menschen vor Hunger gestorben. "Der Tod war jemand, der schweigend seine Arbeit tat in diesem Krieg", sagte Granin in seiner rund 40-minütigen bewegenden Rede. Er habe bei seinen damaligen Besuchen als Soldat in der Stadt gesehen, wie sich die Verhältnisse während der Blockade immer weiter verschlimmerten. "Ich konnte lange den Deutschen nicht verzeihen", sagte Granin.

Israelische Abgeordnete reisen nach Auschwitz

Mehr als 60 Abgeordnete der israelischen Knesset sind am Montag im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau zusammengekommen, um der sechs Millionen Opfer des Holocaust zu gedenken. Auf ihrer Reise wurden die 61 Parlamentarier von mehr als 20 hochbetagten Holocaust-Überlebenden und Mitgliedern des israelischen Militärs begleitet. "Auschwitz wird für immer das schwarze Loch in der gesamten Menschheitsgeschichte sein", sagte Isaak Herzog, Fraktionschef der oppositionellen Arbeitspartei, in einer Ansprache. Gemeinsam besuchten die Israelis das Stammlager Auschwitz, wo unter anderem in den Sammlungen der Gedenkstätte Schuhe, Koffer und Haare der Ermordeten aufbewahrt werden. In der im vergangenen Juni eröffneten Holocaust-Ausstellung sahen sie auch das "Buch der Erinnerung", in dem die Namen von rund 4,3 Millionen ermordeten Juden aufgelistet sind. An der Gedenkfeier in der KZ-Gedenkstätte in dem polnischen Ort nahmen rund 350 Gäste aus 20 Ländern teil. "Dass wir nun hier versammelt sind, 69 Jahre nach Befreiung, zeugt davon, dass die Welt uns nicht vergessen hat und hoffentlich nicht vergessen wird", sagte die 90-jährige Holocaust-Überlebende Zofia Posmysz.

Bundespräsident Joachim Gauck (links), der 95- jährige russischen Autor Daniil Granin (Mitte) und Bundestagspräsident Norbert Lammert im Reichstagsgebäude bei der Veranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Bundespräsident Joachim Gauck (links), der 95- jährige russischen Autor Daniil Granin (Mitte) und Bundestagspräsident Norbert Lammert im Reichstagsgebäude bei der Veranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

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Mit Kranzniederlegungen und einer Parade historischer Militärfahrzeuge hat St. Petersburg der Opfer gedacht, die während der Blockade im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind. "Es ist unsere Pflicht, an die damaligen Bewohner und ihren Sieg über den Faschismus zu erinnern", sagte der russische Präsident Wladimir Putin am Montag auf dem Gedenkfriedhof Piskarjowskoje. Er empfinde "große Dankbarkeit" gegenüber den Verteidigern von Leningrad, wie die Stadt damals hieß. Vor 70 Jahren, am 27. Januar 1944, vertrieben Sowjettruppen die letzten deutschen Soldaten aus der Stellung um die Stadt.

Bundespräsident Joachim Gauck betonte in einem Schreiben an Putin, er denke "mit tiefer Trauer und mit Scham an den Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion". Deutschland sei sich seiner geschichtlichen Verantwortung für das Leid bewusst, das den Leningradern angetan worden sei. Der Zweite Weltkrieg habe tiefe Wunden im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland hinterlassen. Jeder Schritt der deutsch-russischen Versöhnung sei besonders hoch einzuschätzen, betonte Gauck in einem in Berlin veröffentlichten Brief.

Wowereit: "Gesicht zeigen"

Berlins Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit (SPD), hat die Erinnerung an die Massenmorde und Gräueltaten der Nationalsozialisten als Zukunftsaufgabe bezeichnet. "Jede heranwachsende Generation muss von neuem verstehen, dass die Freiheit jeder und jedes Einzelnen abhängt von der Sicherung von Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie", sagte Wowereit am Montag anlässlich des Holocaust-Gedenktages in der Bundeshauptstadt. "Es geht darum zu sensibilisieren für Gefährdungen unseres Gemeinwesens und für die Offenheit unserer Gesellschaft, die von Intoleranz, Antisemitismus, Fremdenhass und Gewaltbereitschaft ausgehen", sagte Wowereit weiter. Die richtige Antwort darauf sei, "dagegen Gesicht zu zeigen".

Volksverhetzende Plakate in Mecklenburg-Vorpommern

An mehreren Gebäuden in Grevesmühlen in Mecklenburg-Vorpommern sind am Holocaust-Gedenktag Plakate mit volksverhetzendem Inhalt aufgetaucht. Wie die Polizei mitteilte, waren die Plakate unter anderem am Rathaus der Kreisstadt, dem Wahlkreisbüro der CDU und dem Pressehaus zu finden. Sie trugen die Aufschrift "Internationaler Tag der 6-Millionen-Lüge".

Papst Franziskus rief zu stärkerem Engagement gegen Antisemitismus auf. Die Judenvernichtung sei eine "Schande für die Menschheit", schreibt er in einem Brief an den mit ihm befreundeten Rabbiner Abraham Skorka. Das berichtete der Sender Radio Vatikan am Montag. Das Schreiben sollte am Abend bei einer Gedenkstunde in Rom verlesen werden. Die Menschen von heute müssten sich aktiv dafür einsetzen, "dass diese Schrecken sich nie wiederholen", heißt es in dem Schreiben. Italiens Staatspräsident Giorgio Napolitano bezeichnete unterdessen die jüngsten antisemitischen Akte vom Wochenende in Rom als "gemeine Provokation". Am Samstag hatten Unbekannte Pakete mit Schweineköpfen an die israelische Botschaft, die Synagoge und an ein Museum geschickt, in dem eine Ausstellung über die Judenvernichtung gezeigt wird. Gleichzeitig wurden Gebäude der jüdischen Gemeinde mit antisemitischen Parolen beschmiert. Napolitano forderte bei einer Gedenkfeier an seinem Amtssitz in Rom zu Wachsamkeit auf gegen "jede Form von Antisemitismus, unter welcher Tarnung auch immer er auftritt".

EU fordert härteres Vorgehen gegen Holocaust-Leugner

Die EU-Kommission fordert 20 europäische Staaten auf, konsequenter gegen Leugner des Holocaust und anderer Völkermorde vorzugehen. Die Grundrechtekommissarin Viviane Reding legte am Montag in Brüssel einen Bericht vor, laut dem 20 EU-Länder den EU-Rahmenbeschluss zum Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus dem Jahr 2008 nicht ausreichend umgesetzt haben. Laut dem Beschluss müssen die Länder das "öffentliche Billigen, Leugnen oder gröbliche Verharmlosen" von Völkermorden und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe stellen. Zufrieden ist Reding in dieser Hinsicht nur mit Frankreich, Polen, Zypern, Luxemburg, Rumänien, Litauen, Slowenien und der Slowakei. (dpa/epd/AFP)

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