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China

© dpa

Homosexualität in China: Vorurteile statt Verständnis

Homosexualität ist in China ist noch immer ein Tabuthema – doch langsam setzt ein Wandel ein.

Stolz zeigt Yang Ziguang auf das Plakat an der Wand, auf dem eine große Regenbogenfahne aufgemalt ist. Sie ist eingerahmt von zahlreichen Unterschriften von Menschen, die sich mit der LGBT-Bewegung (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender) solidarisieren und die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe fordern. Das Plakat hängt in einem Hinterzimmer des „Pekinger Schwulen- und Lesbenzentrums“, neben dem es noch einen etwas größeren Raum gibt. Alles erinnert ein wenig an einen Jugendtreff. Ein Sofa an der Wand, darüber eine Pinnwand. In der Mitte ein kleiner Tisch mit ein paar Stühlen. Dahinter eine Art Tresen. In einer Ecke ist ein kleines Büro eingerichtet, von dem aus man auf die grauen Wohnhochhäuser in Pekings Stadtteil Haidian schauen kann. Von hier aus, nordwestlich des Zentrums der Hauptstadt, wo zahlreiche Universitäten angesiedelt sind, leitet Yang Ziguang das Schwulen- und Lesbenzentrum. Doch der junge Mann arbeitet hier nicht nur, es ist auch sein Zuhause. Eine Treppe führt hoch zu einem kleinen privaten Schlafplatz. Der 23-jährige Yang Ziguang ist der einzige festangestellte Mitarbeiter und deshalb fast rund um die Uhr im Einsatz. Zusammen mit vielen Freiwilligen organisiert er den Treffpunkt für Schwule und Lesben.

Es ist kalt in den Räumen des Zentrums, die Heizung funktioniert nicht, obwohl die Temperatur draußen höchstens zwei Grad beträgt. Yang Ziguang trägt auch drinnen seine Winterjacke, nippt an einem Becher mit heißem Wasser. Trotz der Kälte wirkt er voller Elan. „Unsere wichtigste Aufgabe ist es, Kontakte herzustellen. Wir organisieren viele Veranstaltungen in unseren Räumen, auf denen sich Homosexuelle treffen und austauschen können. Das geht von Diskussionsveranstaltungen, Kinoabenden bis hin zu regelmäßigen Englischklassen“, erzählt Yang. Seit 2008 besteht das Schwulen- und Lesbenzentrum, das von vielen Homosexuellen als Zufluchtsort genutzt wird. „Wir wollen Menschen helfen, die einsam sind und sich mit ihren Problemen allein gelassen fühlen, weil sie ihre sexuelle Orientierung verheimlichen“, sagt Yang.

Auch der angesehene Sexualexperte Professor Zhang Beichuan von der Qingdao-Universität weiß um den psychologischen Druck, dem Homosexuelle in China häufig ausgesetzt sind. „Viele Homosexuelle begehen Selbstmord, weil sie weder ihrer Familie noch ihren Freunden sagen können, dass sie schwul sind. Und ihre Eltern sind traurig und deprimiert, weil ihre Kinder nicht heiraten“, so Zhang.

Obwohl es laut dem Experten etwa 30 Millionen Homosexuelle in China gibt, ist Homosexualität heute weiterhin ein Tabuthema. Die gesellschaftliche Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben tendiert im Land der Mitte gegen null. „Die Vorurteile gegen Homosexuelle kommen aus dem chinesischen Konzept von Sexualität, nachdem Sex nur dazu da ist, um zu heiraten und Kinder zu bekommen. Und es gibt den wirtschaftlichen Aspekt: Wer kümmert sich im Alter um dich, wenn du keine Kinder hast? Wer versorgt dich, wenn du krank bist?“, so Zhang.

Von der eigenen Familie ist demnach nur selten Verständnis zu erwarten. Dass der Druck auf junge Menschen, Familien zu gründen, in China besonders hoch ist, weiß auch Yang Ziguang vom Pekinger Schwulen- und Lesbenzentrum: „In westlichen Ländern rühren die Vorurteile gegen Homosexuelle großteils aus den Religionen her, in China ist dafür besonders das traditionelle Familienbild verantwortlich.“ Nicht selten sind die Fälle, in denen Verwandte versuchen, dem eigenen Familienmitglied das Schwulsein auszuprügeln. Viele Homosexuelle gehen in China auch heute noch Scheinehen ein, um dem familiären Druck zu entfliehen. Besonders auf dem Land ist dieser Druck hoch. Dennoch glaubt Yang, dass junge Menschen zumindest in den Großstädten mittlerweile durchaus Möglichkeiten haben, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen, ihr eigenes Leben zu gestalten – auch ohne zu heiraten.

Professor Zhang Beichuan glaubt ebenfalls, dass sich die Situation in China in den letzten Jahren gewandelt hat. „Es werden immer mehr Bücher und Broschüren veröffentlicht, in denen die Menschenrechte von Homosexuellen hervorgehoben werden. Gerade aus akademischer Sicht haben wir Fortschritte gemacht“, so Zhang.

Auch in den Medien hat er einen Wandel im Umgang mit Homosexualität ausgemacht. Zum Welt-Aids-Tag am 1. Dezember 2009 strahlte das chinesische Staatsfernsehen CCTV eine Sendung zum Thema Aidsprävention aus, in der mehr Toleranz für Homosexuelle gefordert wurde. Auch die staatliche Zeitung China Daily veröffentlichte kürzlich eine Reportage mit dem Tenor, die Rechte von Schwulen und Lesben seien zu wahren. Doch Berichte über Homosexualität werden in China fast ausschließlich im Zusammenhang mit Gesundheitsvorsorge und Aidsprävention veröffentlicht. Außerdem erscheinen sie häufig nur in den englischsprachigen Ausgaben der staatlichen Medien. Zhang Beichuan wünscht sich, dass sich die Regierung öffentlich mehr für Homosexuelle einsetzt.

Doch eine ernsthafte Anstrengung der Staatsführung, für mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen zu kämpfen, ist bisher ausgeblieben. „Es gibt auch heute noch kein Gesetz, das Homosexuelle vor Diskriminierungen schützt“, sagt Yang vom Schwulen- und Lesbenzentrum.

Wie weit China noch von einem normalen Umgang mit Homosexualität entfernt ist, wird an anderer Stelle deutlich. Noch immer gibt es Krankenhäuser, die Therapien als medizinischen Service anbieten, in denen die sexuelle Orientierung des Patienten durch eine psychologische Behandlung geändert werden soll. Und das, obwohl der gleichgeschlechtliche Sexualverkehr in China seit über einem Jahrzehnt nicht mehr als Verbrechen gilt und Homosexualität 2001 von den Liste der Geisteskrankheiten gestrichen wurde.

Seit einiger Zeit gibt es in Chinas Großstädten eine aktive LGBT-Gemeinschaft, die im Austausch miteinander steht und gemeinsam Aktionen organisiert, um Aufmerksamkeit für ihre Sache zu gewinnen. Das wichtigste Kommunikationsmittel ist dabei das Internet, auch wenn die Regierung immer wieder Internetseiten blockt. Über verschiedene Webseiten, Blogs und Newsgroups werden Informationen verbreitet und auf Veranstaltungen hingewiesen.

Mitte Februar 2009 ließen sich zum Beispiel ein lesbisches und ein schwules Pärchen in Hochzeitskleidung auf der berühmten Qianmen-Straße hinter dem Platz des Himmlischen Friedens fotografieren. Die Aktion zog zahlreiche Schaulustige an, auch die Polizei war sofort zur Stelle. Doch weil die Aktivisten keine Flugblätter gegen Homophobie, sondern lediglich Blumen an die umstehenden Menschen verteilten, ließ die Polizei sie gewähren. Die Grenzen für öffentliche Auftritte der LGBT-Bewegung sind eng gesetzt. An Universitäten gibt es allerdings etwas mehr Spielraum für Aufklärungsarbeit. „Neben der Aufklärung ist es unser Ziel, Homosexuelle selbstbewusst und stark zu machen. Wir unterstützen sie dabei, sich der LGBT-Gemeinschaft anzuschließen, wenn sie es denn wollen. Je mehr Menschen sich trauen, sich nach außen zu ihrer Sexualität zu bekennen, umso mehr Toleranz wird es geben“, sagt Yang.

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