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Hongkong: Wohlstand statt Demokratie

Am Sonntag wählt Hongkong sein Parlament - doch die Menschen wirken politikmüde. Pekingtreue Kandidaten hängen im Wahlkampf die Demokratiekämpfer ab.

Der Wahlkampf spielt sich im Schwimmbad ab. In der Shing-Mun-Valley-Halle in der Hongkonger Innenstadt steht Chinas Olympiastar Guo Jingjing auf dem Dreimeterbrett, wippt auf den Zehenspitzen, schnellt hoch und drillt sich elegant ins Wasser. Die Menge tobt, die tropfnasse Heldin gibt Autogramme, und die Organisatoren gratulieren sich zu ihrem Coup: Wenige Tage nach Ende der Pekinger Spiele hat die Zentralregierung eine Sondermaschine voller Goldmedaillengewinner nach Hongkong geschickt, um bei den dortigen Landsleuten den Patriotismus zu stärken. Schließlich wählen die Hongkonger am Sonntag ihr Parlament, und obwohl das sogenannte Legislative Council nur wenig Macht hat, ringt die Kommunistische Partei für die pekingtreuen Kandidaten um jede Stimme.

Denn noch nie hatten die chinanahen Parteien bessere Chancen, die Popularität der Demokratiekämpfer zu brechen, die seit Hongkongs Übergabe an die Volksrepublik 1997 freie Wahlen fordern und Peking damit ein ums andere Mal in die Bredouille gebracht haben. Immer wieder gelang es ihnen, international mit Protesten Schlagzeilen zu machen und die Welt daran zu erinnerten, dass selbst in Chinas freister Stadt nur sehr eingeschränkt Demokratie herrscht.

Zwar genießt die Sieben-Millionen-Einwohner-Stadt unter dem Grundsatz „Ein Land, zwei Systeme“ weitgehende Autonomie, darunter eine freie Presse, eine unabhängige Justiz sowie Zivilrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Doch der Regierungschef wird von Peking ernannt, und von den 60 Parlamentssitzen wird nur die Hälfte durch freie Wahlen vergeben. Berufsverbände und Lobbygruppen besetzen die andere Hälfte – ein System, das auf die Kolonialzeit zurückgeht und nun der Zentralregierung hilft. Denn die Organisationsvertreter sind fest an ihrer Seite. Obwohl die zwischen England und China ausgehandelte Hongkonger Verfassung ab 2007 volle Demokratie vorsah, will Peking das Wahlrecht frühestens 2017 ändern.

Doch während der Kampf um mehr Freiheit bei vergangenen Wahlen das Hauptthema war, so scheinen die Hongkonger nun politikmüde geworden zu sein. 2004 eroberten die demokratischen Kräfte noch 24 der 30 frei vergebenen Sitze und waren damit stark genug, um wenigstens gegen Verfassungsänderungen ein Veto einzulegen. Doch diesmal droht die demokratische Fraktion unter die entscheidende Drittel-Marke zu rutschen. In Umfragen machen Pekings Kandidaten zunehmend Boden gut. In die Hände spielt ihnen die Wirtschaftskrise. Einbrechende Immobilien- und Aktienmärkte sowie die steigende Inflation und Arbeitslosigkeit stärken die Argumente derjenigen, die engere Verbindungen zur Volksrepublik fordern. Sah sich die Ex-Kolonie anfangs als Goldesel des Festlands, so muss sie inzwischen froh sein, dass die Zentrale die Nachbarprovinz Guangdong anweist, Hongkong zu helfen. Pünktlich zur Wahl konnte Verwaltungschef Donald Tsang, dessen Zustimmung derzeit nach zahlreichen Regierungspannen im Keller ist, etwa mit der Nachricht aufwarten, dass die Volksrepublik einer neuen Gaspipeline zugestimmt habe, um in Hongkong die Preise zu stabilisieren.

Während sich die Pekingparteien als Kräfte der ökonomischen Vernunft präsentieren, haben sich die Demokraten über die Frage zerstritten, wie man gleichzeitig gegen die Partei und für engere Wirtschaftskooperationen sein kann. Von der einstigen Anziehungskraft, mit der es ihnen im März 2007 gelang, 132 Mitglieder des 800-köpfigen Wahlkomitees für die Wahl des Regierungschefs dafür zu gewinnen, einen prodemokratischen Gegenkandidaten ins Rennen zu schicken, scheint derzeit wenig übrig geblieben zu sein. Auch von den Demokratiemärschen, mit denen im vergangenen Dezember die populäre Altpolitikerin Anson Chan einen nachbesetzten Parlamentsplatz eroberte, ist in diesem Wahlkampf nichts zu sehen. „Die Prodemokraten haben nur ein einziges Thema“, ätzt die Peking-Kandidatin Choy So-yuk. „Sie haben den Kontakt mit dem Volk verloren.“ Doch dieses will vielleicht nicht schon wieder an seine begrenzten Freiheiten erinnert werden – und schaut diesmal lieber Sport.

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