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Friedensarmee. Kenianische Soldaten ziehen erstmals in den Kampf.

© REUTERS

Horn von Afrika: Kenia marschiert in Somalia ein

Kenia schickt Soldaten ins Nachbarland, um die Al-Schabbab-Miliz zu bekämpfen und um Flüchtlinge aus dem Land zu halten

Jahrzehntelang hat sich Kenia als regionaler Friedensstifter profiliert. Doch nun hat die Regierung des ostafrikanischen Landes ihre diplomatische Zurückhaltung aufgegeben und erstmals in Kenias Geschichte ein massives Militäraufgebot in das instabile Nachbarland Somalia einmarschieren lassen. Nach Augenzeugenberichten sollen etwa 40 kenianische Panzerfahrzeuge, unterstützt von Hubschraubern, am Wochenende die Grenze zu Somalia überquert haben.

Kenias Regierung macht die islamistische Miliz Al Schabbab für mehrere Entführungen verantwortlich. Al Schabbab beherrscht einen Großteil Somalias, dessen staatliche Ordnung vor mehr als 20 Jahren nach dem Sturz des Diktators Siad Barre zusammengebrochen ist. Anfang Oktober wurden eine Britin, deren Mann dabei erschossen wurde, sowie eine Französin nahe der Insel Lamu, rund 50 Kilometer von der Grenze zu Somalia entfernt, entführt. Beide Frauen, eine 56-Jährige und eine gehbehinderte 66-Jährige, sollen nach Somalia verschleppt worden sein.

Während die Regierung die Al-Schabbab-Milizen dafür verantwortlich macht, halten Somalia-Experten es für wahrscheinlicher, dass somalische Piraten oder Banditen die beiden Frauen entführt haben. Das Geschäft auf hoher See könnte ihnen wegen des internationalen Anti-Piraten-Einsatzes zu riskant geworden sein. In der vergangenen Woche wurden dann zudem zwei spanische Mitarbeiterinnen von Ärzte ohne Grenzen im nordkenianischen Flüchtlingslager Dadaab entführt. Dort haben mittlerweile mehr als eine halbe Million Menschen Zuflucht vor dem Krieg und der Hungersnot in Somalia gefunden. Eine Mitarbeiterin der Ärzte- Organisation, die inzwischen ihre ausländischen Helfer aus dem Lager abgezogen hat, äußerte in der kenianischen Tageszeitung „The Standard“ die Vermutung, dass Al Schabbab die Helfer vertreiben und Somalis daran hindern wolle, weiterhin ins Nachbarland zu fliehen. Die Täter, heißt es in dem Bericht weiter, hätten offenbar im Flüchtlingslager gelebt. Von den beiden 30- und 40-jährigen Spanierinnen fehlt weiterhin jede Spur.

Die Militäraktion, die Kenias Verteidigungsminister Jusuf Hadschi ausdrücklich als „Selbstverteidigung“ rechtfertigte, ist ein scharfer Kurswechsel in der Politik des Landes. Bislang hatte Kenia, das gegen seinen Willen immer mehr zu einem Frontstaat geworden war, alles darangesetzt, nicht in den Krieg in Somalia zwischen der dortigen Übergangsregierung und der Al-Schabaab-Miliz hineingezogen zu werden. Auf diese Weise hoffte seine Regierung nicht erneut zum Anschlagsziel zu werden wie 1998 beim Attentat auf die amerikanische Botschaft in Nairobi mit mehr als 200 Toten. 2002 folgten Anschläge von mutmaßlichen Al-Qaida-Terroristen auf ein vor allem von Israelis besuchtes Hotel in Mombasa. Wenig später wurde eine israelische Passagiermaschine mit einer Boden- Luft-Rakete beschossen.

Der Kurswechsel der kenianischen Regierung hat mehrere Gründe. Zum einen gibt es in der Regierung Kräfte, die nicht mehr an eine politische Lösung des Konflikts in Somalia glauben. Zum anderen ist der Vorwahlkampf für die Präsidentenwahl 2012 in vollem Gang. Das Flüchtlingslager Dadaab, inzwischen die größte Stadt in Nordkenia, hat im Land viele Gegner. So wird befürchtet, dass über Dadaab Al-Schabbab-Kämpfer nach Kenia geschleust werden könnten. Außerdem wird der inzwischen riesigen somalischen Diaspora in Kenia vorgeworfen, Waffen ins Land zu schmuggeln und in andere illegale Geschäfte verwickelt zu sein. Gegen die Somalis im Land zu wettern, ist populär in Kenia. Zum anderen ist trotz des großen internationalen Engagements gegen die Hungersnot in Somalia weiterhin wenig Einsatz für eine Lösung der Staatskrise erkennbar. Und die Entführungen sind, selbst wenn Al Schabbab nicht daran beteiligt gewesen sein dürfte, eine direkte Folge der Gesetzlosigkeit im Nachbarland.

Für Kenias Tourismusbranche sind die beiden Entführungen an der Küste katastrophal. Der Fremdenverkehr steuert mehr als 800 Millionen Dollar zur kenianischen Wirtschaft bei. Viele der jährlich rund 500 000 Besucher kommen aus Großbritannien und Deutschland. Beide Länder haben inzwischen Reisewarnungen für die kenianische Küstenregion nahe der somalischen Grenze herausgegeben. Sollte wie in der Vergangenheit Lösegeld gezahlt werden, dürfte es zu weiteren Entführungen kommen, wie es die Entwicklung der Piraterie vor der ostafrikanischen Küste gezeigt hat. Hatte es 2009 und 2010 vor Somalia rund 230 Überfälle auf Schiffe gegeben, waren es allein im ersten Halbjahr 2011 bereits mehr als 160.

Die Islamisten haben Kenia wegen seiner Militäraktion bereits mit einem Gegenschlag gedroht. Scheich Hassan Turki, einer der Sprecher von Al Schabbab, drohte mit Anschlägen in Kenia. Erst vergangene Woche hatten die Islamisten in der somalischen Hauptstadt Mogadischu mehr als 70 Menschen mit einer Autobombe getötet, der blutigste Anschlag seit Jahren.

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