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© Thilo Rückeis

Hubertus Heil im Interview: „Tatsache ist, es war ein hartes Jahr“

Einst war der SPD-Generalsekretär überzeugter Anhänger der Reformpolitik Schröders. Später trug er Kurt Becks Kurs mit, die Agenda 2010 zu korrigieren. Jetzt will Heil den Bundestagswahlkampf der SPD leiten und erntet dafür viel Skepsis aus der Parteiführung. Mit dem Tagesspiegel spricht er über die Atomdebatte, den Druck bei der Pendlerpauschale und seine SPD.

Herr Heil, wie will die Bayern-SPD ihre Landtagswahl bestehen, wenn die SPD im Bund trotz steigender Benzinpreise bei der Pendlerpauschale hart bleibt?

In Bayern haben die Menschen vor allem kein Vertrauen mehr in Beckstein und Huber. Die SPD hat die realistische Chance, die absolute Mehrheit der CSU zu brechen. Was die Pendlerpauschale betrifft: Das Bundesverfassungsgericht wird im Herbst zu diesem Komplex entscheiden. Es macht keinen Sinn, sich Antworten oder Konzepte auszudenken, die im Licht eines Karlsruher Urteils möglicherweise keinen Bestand haben.

Bayerns SPD-Chef Franz Maget sagt: Ich brauche jetzt ein Signal, meine Partei braucht jetzt ein Signal, meine Wähler brauchen jetzt ein Signal – nicht irgendwann im Herbst.

Schnellschüsse vor dem Karlsruher Urteil machen keinen Sinn.

Warum sagen Sie den Pendlern nicht schon jetzt: Wenn das Verfassungsgericht es ermöglicht, entlasten wir euch?

Selbstverständlich sind Urteile des Bundesverfassungsgerichtes für die Politik verbindlich. Ich will allerdings auf zwei Dinge hinweisen: Von der Rückkehr zur alten Pendlerpauschale hätten viele Menschen überhaupt nichts, etwa Geringverdiener, die keine Steuern zahlen, oder Rentner. Grundsätzlich gilt: Wer den Wunsch nach der Wiedereinführung der alten Pendlerpauschale befeuert, muss dann auch sagen, wie er das gegenfinanzieren will.

Den Gebeutelten an der Tankstelle ist der Verweis auf die Haushaltskonsolidierung wahrscheinlich ziemlich egal. Das gilt offenbar auch für neun von 16 SPD-Landesverbänden, die Pendler in Zukunft stärker entlasten wollen.

Ich kann die Sorgen der Menschen verstehen. Trotzdem müssen wir die Staatsfinanzen in Ordnung bringen, um Spielräume für höhere Investitionen in Bildung und Forschung, Infrastruktur und neue Technologien zu gewinnen. Wenn das Verfassungsgericht uns bei der Pendlerpauschale eine Vorgabe macht, muss klar gesagt werden, wo das im Haushalt herkommen soll.

Das heißt: Wenn das Verfassungsgericht die Bundesregierung nicht zwingt, gibt es keine Entlastung?

Das ist die Vereinbarung der Koalition, die gegenwärtig gilt. Es macht aber keinen Sinn, jetzt über ein Urteil des Verfassungsgerichtes zu spekulieren, das es noch gar nicht gibt. Man muss wissen, was ist, um zu sagen, was man will. Wohin es führt, wenn Politik die Orientierung verliert, sieht man doch an der CSU. Erst wird auf ihr Drängen die Pendlerpauschale abgeschafft, jetzt will sie sie wiederhaben und trotzdem konsolidieren. Das ist unseriös, und das hat auch Frau Merkel erkannt. Sie hat ihrer schwächelnden bayerischen Schwester am Freitag gezeigt, dass sie keinen Respekt mehr vor ihr hat. Beckstein und Huber haben sich von Frau Merkel vorführen lassen und sich selbst zu einem querulantigen CDU-Landesverband degradiert.

Die steigenden Energiekosten machen vor allem Menschen mit geringem Einkommen zu schaffen, die kaum Reserven haben. Wie wollen Sie denen helfen?

Wir wollen und wir werden helfen. Es geht um Maßnahmen gegen Spekulationen auf den internationalen Energiemärkten, um Energiesparen durch effiziente Technologien und um die gezielte Entlastung von Familien an anderen Stellen.

Der Steueranteil pro Liter Superbenzin beträgt gegenwärtig fast 60 Prozent. Warum senken Sie nicht die Mineralöl- und die Ökosteuer?

Kurzfristige Steuersenkungen beim Benzin würden doch in kürzester Zeit von den Konzernen wieder aufgefressen. Unser Ansatz zur Entlastung sieht anders aus: Wir wollen die hart arbeitenden Menschen stärker entlasten, indem wir Stück für Stück Sozialabgaben senken. Und indem wir die Krankenversicherungsbeiträge für alle steuerlich absetzbar machen. Das schafft Normalverdienenden tatsächlich Spielräume, weil jeder Euro direkt beim Arbeitnehmer ankommt.

In der Debatte über die hohen Energiekosten richtet sich der Blick nun auch wieder auf die Atomenergie. Sind nicht gerade SPD-Wähler anfällig für das Argument, wonach Atomstrom die Energiekosten senken könnte?

Wenn das Märchen stimmen würde, dass Atomkraft billigeren Strom liefert, müssten zumindest die Preise im Strombereich stabil bleiben. Das ist aber nicht der Fall. Im Übrigen: Autos werden nicht mit Atomkraft betrieben und Wohnungen nicht mit Uran beheizt.

Aber ändert sich nicht die Einstellung der Deutschen zum Atomstrom?

Ich warne vor dem Versuch, die Ängste der Menschen vor gestiegenen Energiepreisen zu nutzen, um sie anfällig für die Propaganda der Energieversorger zu machen. Verlängerte Restlaufzeiten für abgeschriebene Atommeiler würden lediglich die Profite der Konzerne vergrößern. Dringend notwendige Investitionen in moderne Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien würden aber dann von den Konzernen auf die lange Bank geschoben. Auch deshalb bleibt es beim geordneten Ausstieg aus dieser Risikotechnologie.

Kommen wir von der prekären Lage der Verbraucher zur prekären Lage der SPD. Sie haben einmal gesagt, Sie würden für Ihre Partei nicht lügen. Ist die Krise der SPD überwunden?

Wir sind auf einem guten Weg. Wir hatten schwierige Debatten in der Folge der hessischen Landtagswahl. Das ist erkennbar vorbei. Die SPD hat sich untergehakt. Wir haben konzeptionell eine ganze Menge geklärt, von der Bildungspolitik bis zum Steuer- und Abgabenkonzept. Die inhaltliche Geschlossenheit in der SPD ist mittlerweile größer als die in anderen Parteien. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir nun miteinander nach vorne gehen, um deutlich zu machen, für wen die SPD Politik betreibt, nämlich für die solidarische Mehrheit in diesem Land.

Warum kommt diese Geschlossenheit dann nicht rüber?

Ich nehme das anders wahr. Seit dem Zukunftskonvent der SPD vor einigen Wochen in Nürnberg ist die Situation der SPD eine andere.

Dann schauen wir doch einmal nach Hessen, wo die Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti womöglich einen zweiten Anlauf unternehmen will, Ministerpräsident Roland Koch (CDU) mit Hilfe der Linkspartei aus dem Amt zu hebeln. Gilt der Satz von Parteichef Kurt Beck noch, wonach man nicht zweimal mit dem gleichen Kopf gegen die gleiche Wand rennen soll?

Es ist viel gesagt worden zu diesem Thema. Ich halte es nicht für notwendig, im Sommerloch diese Debatte noch einmal zu führen.

Aber zur Gültigkeit von Aussagen Ihres Parteichefs werden Sie uns doch Auskunft geben können?

Es gilt, was gesagt wurde und was beschlossen wurde.

Gibt es Gespräche der Parteispitze mit der hessischen Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti?

Wir sind ständig in Gesprächen mit Landesverbänden, das ist nichts Ungewöhnliches.

Würde ein neuer Versuch der Hessen-SPD der Bundes-SPD nicht schwer schaden?

Koalitionsfragen werden in den Ländern entschieden. Und jeder weiß um seine Verantwortung.

Zur großen Koalition: SPD-Vize Peer Steinbrück plädiert für die Fortsetzung von Schwarz-Rot, weil dieses Bündnis für Populismus weniger anfällig sei. Gibt er damit die Haltung der SPD wieder?

Peer Steinbrück hat darauf hingewiesen, dass Dreierkonstellationen in der Regierung immer schwierig sind. Da hat er vollkommen recht. Wir haben ja gerade eine Dreierkonstellation in der Koalition, nämlich aus SPD, CDU und CSU.

Wir bewundern Ihre argumentative Wendigkeit. Tatsache ist aber, dass Steinbrück das Bündnis von SPD und Union gelobt hat. Und da würden wir gerne von Ihnen wissen, ob Sie seiner Meinung sind.

Wir stehen zu unserer Verantwortung in dieser Bundesregierung. Aber 2009 kämpfen wir für eine starke SPD und nicht für diese Koalition. Die meisten Schnittmengen hat die SPD immer noch mit Bündnis 90/Die Grünen. Ich sehe auch Schnittmengen mit den Liberalen, etwa in der Außen- und Innenpolitik.

Während Steinbrück Lobreden auf die Koalition hält, klagt Parteichef Kurt Beck, die Bundeskanzlerin gönne der SPD kein Fitzelchen Butter auf dem Brot. Wie passt das zusammen?

Sie werden erleben, dass die SPD-Spitze diese Partei geschlossen in den Wahlkampf führen wird, und wir werden hart für unsere Ziele kämpfen. Am 27. September ist die SPD zehn Jahre in der Bundesregierung. Wir können eine gute Bilanz ziehen. Deutschland ist stärker geworden. Die Gesellschaft ist offener und toleranter geworden, es gibt eine moderne Familienpolitik. Und Deutschland wird geachtet für seine selbstbewusste Außen- und Sicherheitspolitik, die nicht auf Konfrontation, sondern auf Ausgleich und Verständigung setzt. Das ist für Sozialdemokraten Grund für Selbstbewusstsein, aber kein Grund für Selbstzufriedenheit. Wir müssen weiterarbeiten. Für wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit.

Herr Heil, wie konnte es passieren, dass die Aufstiegspartei SPD der Bundeskanzlerin nun auch das Thema Bildung überlassen hat, so dass diese die Bildungsrepublik ausrufen konnte?

Nur die SPD steht glaubhaft für sozialen Aufstieg und gleiche Bildungschancen. Wir sind konzeptionell und auch in der Praxis viel weiter als die Union. Ich wünsche mir von dem nationalen Bildungsgipfel im Herbst, dass da nicht nur schöne Reden gehalten werden, in denen alle noch mal sagen, wie wichtig Bildung ist. Es gilt das alte Motto von Erich Kästner: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Und wir können beweisen, dass wir was tun. Wir sorgen zum Beispiel in Rheinland-Pfalz und Berlin dafür, dass es Schritt für Schritt gebührenfreie Kindergärten gibt und dass Ganztagsschulen ausgebaut werden. In sozialdemokratisch regierten Ländern gibt es auch keine Studiengebühren. Daran muss sich die Union orientieren.

Was kann die SPD in der großen Koalition vor der Bundestagswahl im Herbst 2009 noch erreichen, um die Bildung in Deutschland zu verbessern?

Menschen, die keinen Schulabschluss haben, brauchen eine zweite Chance. Wir wollen im Bund durchsetzen, dass es ein Recht auf das Nachholen eines Abschlusses gibt. Außerdem wird die SPD darauf drängen, dass Menschen mit einer qualifizierten Berufsausbildung wie der zum Meister an Fachhochschulen studieren können, auch wenn sie kein Abitur haben. Und dann plädiere ich dafür, mehr für junge Paare zu tun, die sich Kinder wünschen, aber noch in der Ausbildung sind. Wir brauchen eine Kita an jeder Universität und jeder Fachhochschule in Deutschland. Ich finde auch, dass man für Menschen, die sich für Kinder entscheiden und in der Berufsausbildung sind, gezielte finanzielle Unterstützung organisieren sollte. Ich nenne das Kinder-Bafög. Das wären neue Impulse, damit würden wir jungen Menschen Bildungschancen eröffnen, die frühkindliche Bildung fördern und etwas für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf tun.

Herr Heil, Sie sind mit 35 Jahren der jüngste Generalsekretär der ältesten Partei Deutschlands. Die SPD hat im vergangenen Jahr keine gute Figur gemacht. Haben Sie sich in der Krise manchmal überfordert gefühlt?

Nein. Tatsache ist, es war ein hartes Jahr. Aber jetzt richtet die SPD den Blick nach vorn. Ich habe das Gefühl, dass ich einen Beitrag dazu geleistet habe, dass wir wieder Tritt gefasst haben.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath. Das Foto machte Thilo Rückeis.

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