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Human Rights Watch: Weißer Phosphor im Gazakrieg eingesetzt

Es ist eine hinterhältige Waffe: Auf den ersten Blick wirken durch weißen Phosphor verursachte Wunden wie normale Brandverletzungen. Doch schnell frisst sich der Phosphor durch Muskeln und Knochen. Das Opfer leidet entsetzliche Schmerzen. Israel hat diesen Stoff im Gazakrieg erstmals gegen die palästinensische Zivilbevölkerung eingesetzt.

„Als die ersten Verletzten kamen, waren wir total ahnungslos“, erinnert sich Nafiz Abu Shaban, Chef der Chirurgie des Schifa-Hospitals in Gaza-Stadt. Die Wunden seien wie normale Brandverletzungen behandelt worden. Doch am nächsten Tag hatten sich zum Entsetzen der Ärzte unter den Verbänden klaffende Brandlöcher gebildet. Die Muskulatur war teilweise bis auf die Knochen ausgefressen – durch weißen Phosphor, der immer weiter brennt, manchmal eine Woche lang, bis die Substanz aufgezehrt ist. Viele Patienten starben unter entsetzlichen Schmerzen, bis damals zwei kriegserfahrene ausländische Ärzte eintrafen, die die teuflische Waffe bereits aus dem Libanonkrieg 2006 kannten. Die Wunden müssen sofort und so tief wie möglich ausgeschnitten und gesäubert werden. Manchmal beginnt das Gewebe sogar während der Operation wieder zu brennen. Viele Opfer bleiben ihr Leben lang entstellt. Schon Verbrennungen von zehn Prozent der Haut können zum Tod führen, weil auch Leber, Herz und Nieren zerstört werden.

Israel hat im Gazakrieg erstmals weißen Phosphor gegen palästinensische Zivilbevölkerung  eingesetzt – und zwar „willkürlich und rücksichtslos“. Das belegen die Recherchen von Human Rights Watch (HRW), die jetzt in einem 71-seitigen Bericht veröffentlicht wurden. Die Armee habe die Granaten auf dicht besiedelte Gegenden abgefeuert, unnötig Zivilisten verletzt oder getötet – das aber sei ein Kriegsverbrechen, erklärte die in New York ansässige Menschenrechtsorganisation. Dokumentiert sind mehrere Fälle im Detail, darunter der Beschuss des Al-Quds-Krankenhauses, des UN-Hauptquartiers sowie einer Schule und mehrerer Dörfer. Auf die schweren Verbrennungen durch weißen Phosphor hätten Israels Truppenärzte in einem internen Dokument selbst hingewiesen. „Sie wussten genau Bescheid über die Gefahr, die weißer Phosphor für Zivilpersonen bedeutet“, sagte Fred Abrahams, zusammen mit dem früheren Pentagonexperten Marc Garlasco Autor des Berichtes. Er forderte die Vereinten Nationen auf, gegen Israel Ermittlungen wegen möglicher Kriegsverbrechen einzuleiten.

Die israelischen Streitkräfte, die den Einsatz von weißem Phosphor zunächst bestritten hatten,  erklärten in einer ersten Reaktion, die Granaten sei nur im Rahmen des nach internationalem Recht Erlaubten eingesetzt worden – also um das Vorrücken der eigenen Truppen durch den weißen Rauch zu decken. Die Behauptung, man habe die Geschosse „in breitem Maße eingesetzt und damit die Zivilbevölkerung bedroht, entbehren jeder Grundlage“, heißt es in der Stellungnahme. Nach Auskunft von HRW wurden die Geschosse 1989 in den USA produziert.

Die Organisation forderte auch eine Untersuchung über mögliche Kriegsverbrechen der Hamas. Daneben plant sie weitere Berichte über den Einsatz von Artilleriegranaten, das Erschießen von Frauen und Kindern mit weißen Flaggen sowie den Missbrauch palästinensischer Zivilisten als menschliche Schutzschilde sowohl durch Hamas-Kämpfer als auch durch israelische Einheiten. Anfang der Woche hatte UN-Gesandte zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten, Radhika Coomaraswamy, israelischen Soldaten in einem 43-seitigen Bericht vorgeworfen, einen elf Jahre alten Palästinenserjungen als menschlichen Schutzschild missbraucht zu haben.

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