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Politik: „Hunger nach Freiheit und Demokratie“

50 000 türkische Zyprer demonstrieren für die Wiedervereinigung der Insel und eine gemeinsame EU-Mitgliedschaft

Normalerweise bestimmen Rot und Weiß, die Farben der Türkei, das Straßenbild im türkischen Teil der zyprischen Hauptstadt Nikosia. Doch am Dienstag war das anders. Mehrere zehntausend Menschen demonstrierten für eine Verständigung zwischen Türken und Griechen auf Zypern, eine Wiedervereinigung der Insel sowie eine gemeinsame Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Und überall sah man blau – die Farbe der EU.

„Ja zu einer Lösung und zur EU“ war auf einem großen blauen Transparent zu lesen, das an der Rednertribüne angebracht war. Die Demonstranten schwenkten blaue Fähnchen mit den gelben EU-Sternen und der Aufschrift „Frieden auf Zypern“ und blaue Luftballons stiegen in den Himmel. Es war die bisher größte Wiedervereinigungsdemo im türkischen Sektor der seit 1974 geteilten Mittelmeerinsel. Zwar hatten schon am zweiten Weihnachtstag rund 30 000 türkische Zyprer demonstriert. Doch diesmal waren 50 000 Menschen auf der Straße – jeder vierte Einwohner der nur von Ankara anerkannten „Türkischen Republik Nordzypern“.

Viele Geschäfte und Schulen im türkischen Inseldrittel blieben wegen der von 80 Gewerkschaften, Oppositionsparteien und Bürgerinitiativen organisierten Demonstration geschlossen. Unter den Protestlern waren viele junge Leute. „Hunger nach Freiheit, Frieden, Demokratie“, stand auf einem selbst gemalten Schild, „Stehlt uns nicht unsere Zukunft“ auf einem anderen. Die Menschen winkten mit Olivenzweigen und forderten die Annahme des UN-Friedensplanes für Zypern, der die Bildung eines Bundesstaates mit zwei weitgehend autonomen Kantonen nach Schweizer Vorbild vorsieht.

Die jungen Leute demonstrierten auch gegen die türkische Armee, die etwa 30 000 Soldaten auf Zypern stationiert hat. Zwei Studenten wurden dabei vorübergehend festgenommen, weil sie die türkischen Streitkräfte auf einem Transparent als „Besatzungsarmee“ bezeichneten. In Sprechchören forderten die Demonstranten den Rücktritt des türkisch-zyprischen Volksgruppenführers Rauf Denktasch. Redner nannten Denktasch ein Hindernis auf dem Weg zum Frieden, weil er den UN-Plan ablehne und nur widerwillig mit der griechischen Seite verhandle. Der 78-jährige Denktasch steht seit Jahrzehnten an der Spitze der türkischen Zyprer. Die scharfe Kritik an ihm zeigt wie sehr sich die politische Haltung der Inseltürken verändert hat. Anders als ihre Eltern ist die junge Generation nicht mehr von der Erfahrung des blutigen Bürgerkrieges mit den Griechen in den Jahren vor der türkischen Militärintervention 1974 geprägt. Sie sehnt sich vor allem nach mehr Wohlstand und fürchtet nun, den Anschluss an die EU zu verpassen. Im Mai 2004 soll die griechische Inselrepublik in die Europäische Union aufgenommen werden. Doch vorher muss eine Einigung her. Während der griechische Inselteil mit einem Pro-Kopf-Einkommen von rund 15 000 Euro im Jahr zu den wohlhabenden EU-Kandidaten zählt, ist der türkische Sektor eine der ärmsten Regionen in ganz Europa.

Denktasch steht der Protestbewegung ratlos und zornig gegenüber. Er warf den Demonstranten vor, seine Position in den Verhandlungen mit den Griechen zu untergraben. Die Gespräche mit dem griechisch-zyprischen Präsidenten Glafkos Klerides sollen an diesem Mittwoch fortgesetzt werden. Die UN fordern eine Lösung bis zum 28. Februar.

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