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Politik: ICE reißt mehr als 100 Menschen in den Tod

ESCHEDE (Tsp).Beim schwersten Zugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik sind am Mittwoch im niedersächsischen Eschede bei Celle mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen.

ESCHEDE (Tsp).Beim schwersten Zugunglück in der Geschichte der Bundesrepublik sind am Mittwoch im niedersächsischen Eschede bei Celle mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen.Rund 200 Menschen wurden bei der Katastrophe zum Teil schwer verletzt.Mehrere Waggons des ICE 884 "Wilhelm Conrad Röntgen" von München nach Hamburg entgleisten gegen 11 Uhr aus zunächst ungeklärter Ursache bei einer Geschwindigkeit von 200 Kilometern in der Stunde.Vier Waggons wurden gegen ein Brückenfundament katapultiert.Durch die Wucht des Aufpralls wurde die Straßenbrücke total zerstört.Politiker aus aller Welt bekundeten ihre Anteilnahme.Bundespräsident Herzog und Bundeskanzler Kohl, der wegen des Unglücks seinen Italien-Besuch vorzeitig abbrach, sprachen den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl aus.Die Retter arbeiteten die gesamte Nacht.

An der Unfallstelle bot sich den über 1000 Rettern ein Bild des Grauens.Zugdächer waren abgetrennt, die Schienen verbogen.Rund um die Unglücksstelle lagen Sitze und vereinzelt Gepäckstücke.An der Unfallstelle war das Gleisbett auf rund 60 Metern aufgerissen.Die Schienen waren tief in den Boden gedrückt.Immer mehr Leichen wurden im Verlauf der Rettungsarbeiten geborgen, die bis in den heutigen Donnerstag andauern sollten.In zwei weiteren Waggons, die am späten Abend noch unter den Betontrümmern der Brücke begraben lagen, wurden weitere Todesopfer vermutet.In diesen Waggons waren möglicherweise auch zahlreiche Schulkinder.Ein Bahnsprecher sagte, an der Unfallstelle seien mehrere Kinderrucksäcke gefunden worden.Die Chancen, Menschen noch lebend zu bergen, waren noch Worten eines Mediziners vor Ort "minimal".In den Waggons der zweiten Klasse, die sich meterhoch ineinanderschoben und zu einem Trümmerknäuel zusammenpreßten, gab es die meisten Toten und Verletzten.

Die Ursache des Zugunglücks wird nach Angaben der Polizei frühestens am Donnerstag bekannt sein.Der Sprecher der Polizei in Celle, Joachim Lindenberg, sagte am Mittwoch abend, vorher könnten darüber nur Vermutungen angestellt werden.Es gebe keine Hinweise auf Vorkommnisse vor dem Unglück.Aufschluß könnten erst die Sachverständigen und die Auswertung der automatischen Aufzeichnungen des ICE geben.Technische Mängel wurden zunächst nicht festgestellt.Eisenbahnbundesamt, Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft nahmen die Ermittlungen auf.

Der Triebkopf des 410 Meter langen ICE hatte sich von dem Rest des Zuges gelöst.Die Waggons entgleisten.Die Lok raste noch mit hoher Geschwindigkeit durch den Escheder Bahnhof.Der Bahnhofvorsteher stellte sofort alle Signale auf Nothalt und verhinderte damit nach Angaben der Bahn eine noch größere Katastrophe.Der Lokführer - er erlitt nur leichte Verletzungen - spürte bei der Fahrt nur einen leichten Ruck und löste dann die Notbremsung aus.Erst danach merkte er, daß der Rest des Zuges fehlte.

Ungeklärt blieb bis zum Abend, welche Rolle ein Kleintransporter der Bahn bei dem Unfall spielte.Sicher ist, daß das Wrack des Autos unter den Trümmern des total zerstörten Zuges lag.Ob das Auto vor dem Entgleisen in die Tiefe gestürzt war oder aber erst nach dem Aufprall des Zuges von der zusammenbrechenden Brücke herunterfiel, blieb bis Redaktionsschluß unklar.Zunächst hatte die Polizei angegeben, der Wagen habe nach einem Unfall die Leitplanken der Straßenbrücke durchbrochen und sei auf die Schienen gestürzt.Der Zug sei dann ungebremst in das Auto gerast.Dieser Darstellung widersprach am Abend Celles Oberkreisdirektor Klaus Rathert.Die Lok des ICE sei unversehrt.Nach seinen Angaben lag nichts auf den Gleisen, als der Zug auf die Brücke zufuhr.

Der Luftraum über dem Unglücksort wurde für die Rettungsarbeiten gesperrt.Die Bahnstrecke nach Hamburg wurde für die Bergungsarbeiten bis zum Wochenende ebenfalls gesperrt.Die Bundeswehr flog unablässig Sanitäter und andere Hilfskräfte an die Unfallstelle.Das Deutsche Rote Kreuz rief in Hannover zu Blutspenden auf.Die vielen Verletzten wurden mit Hubschraubern in Krankenhäuser nach Hannover, Hamburg und Bielefeld geflogen.Die Polizei brachte die Leichen am Abend zur Identifizierung nach Hannover.Die von der Bahn eingerichteten Nottelefone waren hoffnungslos überlastet.Immer wieder meldeten sich besorgte Angehörige in Hamburg, Hannover und München.

Das Land Niedersachsen stellte für die Opfer und deren Angehörige noch am Abend eine Million Mark Soforthilfe bereit.Ministerpräsident Gerhard Schröder sagte im NDR-Fernsehen, das Geld werde zur Verfügung gestellt, "um jetzt unbürokratisch helfen zu können in der allergrößten Not".Auch die Deutsche Bahn AG stellte eine Million Mark Soforthilfe bereit.

Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann, der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski und Bahn-Chef Johannes Ludewig dankten den Bergungsmannschaften vor Ort für ihren großartigen Einsatz.Bundesinnenminister Manfred Kanther ordnete für den heutigen Donnerstag Trauerbeflaggung an allen öffentlichen Gebäuden an.

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