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Politik: „Ich bin nicht auf Späth angesetzt“

Als Sie vor zwölf Jahren als Ministerpräsident antraten, haben sie versprochen, Brandenburg zu einem deutschen Musterland zu machen. Das Land ist weit davon entfernt.

Als Sie vor zwölf Jahren als Ministerpräsident antraten, haben sie versprochen, Brandenburg zu einem deutschen Musterland zu machen. Das Land ist weit davon entfernt.

Ich habe bitter lernen müssen, dass alles länger dauert.

Wie lange wird es dauern, bis Brandenburg ein Musterland wird?

Wir sind in der Halbzeit, also noch einmal zwölf Jahre. Das Ziel, Musterländle zu werden, bleibt im Ansatz richtig.

Gemeinsam mit der Pleitestadt Berlin?

Ich wünsche, dass die Fusion gelingt. Das setzt natürlich voraus, dass Berlin auf sicheren finanziellen Füßen steht. Der Bund muss sich stärker für seine Hauptstadt verantwortlich fühlen. Man hat Anfang der 90er entschieden, dass eine besondere Fürsorge für Berlin nach der Wiedervereinigung nicht nötig sei. Diese Weichenstellung war falsch. Das kann Berlin nicht verkraften.

Mit Ihrem Rücktritt geht eine Ära zu Ende. Was war Ihr größtes Verdienst?

Ich glaube, die Integrationsleistung war nicht unwichtig, den Stolz auf die Heimat zu wecken. Es ist auch gelungen, ein wenig mehr Weltoffenheit in dieses Land zu bringen: Wir haben behutsam, kontinuierlich und wirksam eine normale europäische Nachbarschaft zu Polen aufgebaut. Und an vielen Orten hat es wirklich einen Aufbruch gegen Gewalt, für Toleranz gegeben, auch wenn man nicht zufrieden sein kann.

Ihr größter Fehler?

Meine Gutgläubigkeit, dass die Umgestaltung schneller zu schaffen ist. Das hat zu Irrtümern geführt, etwa dem, dass wir es schaffen, die Arbeitslosigkeit unter zehn Prozent zu drücken. Aber auch zu der Fehleinschätzung über das, was die Menschen bei unserem Versuch, ein gemeinsames Land zu bilden, wirklich bewegt hat.

Sie haben auf dem Parteitag ungewöhnlich deutlich darauf hingewiesen, dass die Stimmung im Osten schlecht ist?

Ja, es ist eine durchgängig miese Laune zwischen Fichtelberg und Rügen, zwischen Harz und Oder. Das hat mit diesem langen Umbruch zu tun, mit geschürten Hoffnungen, mit wachsender Ungeduld, mit Überlastungen und Überforderungen.

Hat Ihre Partei, die SPD, dem Osten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt?

Die SPD ist eine große Partei mit 750 000 Mitgliedern. In Brandenburg sind es 7500, in den anderen neuen Ländern noch weniger. Gemessen an diesem Verhältnis sind die Stimmen aus dem Osten schwach. Außerdem waren wir Ost-Sozialdemokraten lange zu still, weil wir mit Hochachtung auf die großen erfahrenen Politiker gesehen haben. Man muss sich aber bemerkbar machen. Wir haben das inzwischen gelernt.

War Ihre Stimme immer laut genug?

Ich habe in den letzten vier Jahren keinen Hehl aus meiner Position gemacht, was nicht immer Begeisterungsstürme im Kanzleramt auslöste. Das waren mühsame Diskussionen. Manches dauerte wirklich lange.

Zum Beispiel?

Etwa die Einsicht bei Gerhard Schröder, dass Arbeitsförderungsmaßnahmen im Osten unverzichtbar sind. Er hat inzwischen begriffen, dass es hier eine massive strukturelle Arbeitslosigkeit gibt. Seit 1990 sind in Ostdeutschland ein Drittel der Arbeitsplätze weggebrochen. Der Kanzler hat inzwischen gelernt, wie der Osten ist, was er braucht.

Ist das Verhältnis zu Schröder gestört?

Nein, es ist gelegentlich etwas Spielerisches dabei. Er hat mich wohl anfangs nicht so sehr gemocht, weil ich eine andere Art habe. Das waren Mentalitätsunterschiede. Er hielt Abstand. Aber das hat sich schon seit geraumer Zeit geändert. Er hat verstanden, dass Leute anders gestrickt sein können, aber trotzdem am gleichen Strang ziehen.

Akzeptiert Schröder, wenn Sie für eine große Koalition auf Bundesebene plädieren?

Meine These hat ihn nicht in die Feindschaft geführt.

Stehen Sie heute noch dazu?

Der 22. September wird ein Tag des Zählens sein. Am Ende wird sich jeder fragen müssen, wie Deutschland zu einer handlungsfähigen Regierung kommt. Da sind noch merkwürdige Dinge möglich.

Die PDS ist im Osten immer stärker geworden. Was hat die SPD falsch gemacht?

Nehmen wir Brandenburg: Bis 1996 haben wir unsere Ost-Kompetenz klar herausgestellt. Als wir uns um die Fusion mit Berlin bemühten, steckten wir die Ost-Karte zurück. Wir merkten, dass wir im Westteil Berlins womöglich Furcht und Schrecken verbreiten. Da gab es ja Leute, die das schöne Berlin im roten Sumpf versinken sahen. Es war falsch, nach der gescheiterten Fusion die leisen Töne beizubehalten: Die SPD war nicht mehr als Sachwalterin der Leute im Osten erkennbar.

Streben Sie ein neues Amt an, vielleicht das eines Bundesministers?

Ich reiße mich nicht um Ämter. Ich habe – vorsichtig gesagt – diese Spekulationen mit Zurückhaltung und Erstaunen aufgenommen. Sie rühren wohl mehr aus der Gemütslage der Verfasser, die sich nicht vorstellen können, dass da einer freiwillig geht.

Schließen Sie es aus, bei einem Wahlsieg Schröders in sein Kabinett zu gehen?

Nimmt man das Durchschnittsalter seines Kabinetts, ist Schröder schon jetzt ganz schön tapfer. Ich könnte ihm nicht raten, es mit einem fast 67-Jährigen noch weiter zu heben. Ich bin kein Bewerber.

Aber Sie werden sich kaum zur Gartenarbeit zurückziehen?

Ich werde zunächst mit Gerhard Schröder Wahlkampf machen. Das werden bestimmt 30 bis 50 Termine sein. Wir setzen an dem Punkt an, der mir am Herzen liegt: dass die Leute aus dem Osten ernst genommen werden, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet. Das ist noch ein weiter Weg.

Mancher Sozialdemokrat sieht Sie schon als „Wunderwaffe“ gegen Lothar Späth?

Ich bin nicht auf Späth angesetzt. Aber ich kann die Probleme des Ostens deutlich beim n nennen. Und da unterscheide ich mich in einem Punkt ganz gewiss von ihm: Er ist ein Verfechter der Stärkung von starken Regionen: also Jena, Dresden, Berliner Umland, vielleicht noch Rostock. Wenn wir mit der Denkweise von Bankern herangegangen wären, hätten wir Eisenhüttenstadt oder Premnitz kaputtgehen lassen müssen.

Das Gespräch führten Michael Mara und Thorsten Metzner.

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