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Politik: Ich David, du Goliath

DEUTSCHLANDS FINANZEN

Von Gerd Appenzeller

Wirklich, eine flotte Inszenierung. Zwei Helden stehen einander gegenüber, jeder sich selbst als David und den anderen als Goliath sehend. Hier Pedro Solbes, der Finanzkommissar der Europäischen Union, der den Stabilitätspakt vor den zerstörerischen Attacken der arroganten Deutschen bewahren will. Dort Bundesfinanzminister Hans Eichel, der den zarten Aufschwung gegen Brüsseler Buchstabenpedanterie verteidigt. Am kommenden Montagabend, wenn die Finanzminister sich inoffiziell treffen, spätestens Dienstag beim so genannten EcofinRat, kommt es zum Showdown. Dann weiß man, wer der Stärkere ist. Vielleicht.

Auf den ersten Blick ist die Sache klar. Deutschland wird 2004 das dritte Jahr in Folge eine Neuverschuldung aufweisen, die deutlich über drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegt. Das ist nicht gut für die Stabilität und es ist nicht gut für die Gemeinschaftswährung, deshalb sehen die Europäischen Verträge für diesen Fall Sanktionen vor. Danach richtet sich die Kommission und wendet den Artikel 104 des Gemeinschaftsvertrages an. Was Pedro Solbes tut, ist also rechtens. Ist es aber auch angemessen?

Die Bundesregierung bezweifelt das, die Opposition lobt Solbes. Das ist überraschend, denn der Portugiese gehört nicht einer der europäischen Volksparteien an, sondern ist Sozialist. Dennoch war der Beifall der deutschen Unionsspitze für ihn geradezu demonstrativ. Handeln Merkel und Merz da ganz im Geiste von Theo Waigel, der ja als Finanzminister die strikten Stabilitätskriterien durchsetzte; oder ist der Applaus nicht ganz uneigennützig? CDU und CSU würden das vehement bestreiten. Fraglos aber macht Solbes dem Kanzler und seinem Finanzminister das Leben sehr schwer. Nicht auszudenken, welche innenpolitische Prügel von Gewerkschaften und Unternehmern auf die beiden Sozialdemokraten herabprasseln würden, müssten sie etwa auf das Vorziehen der nächsten Stufe der Steuerreform verzichten, um die Brüsseler Sanktionen zu vollziehen. Und das, nicht wahr, käme der Union schon zupass. Ganz uneigennützig, versteht sich.

Warum tut Pedro Solbes etwas, das seine deutschen Parteifreunde in Bedrängnis bringt? Ist er schon so EU-Kommissar, dass er keine Parteien mehr kennt, sondern nur noch Europäer? Vielleicht. Da ist aber noch etwas anderes: Solbes ist auch der Chef von Eurostat, der Statistikbehörde der EU. In der ist ziemlich viel schief gelaufen, mit Durchstechereien, Bereicherungen, Vorteilsnahme. Die Fraktion der Europäischen Volkspartei im Straßburger Parlament hat Solbes dennoch geschont. So viel Edelmut überrascht, könnte aber einen Sinn ergeben. Denn Pedro Solbes ist sicher froh über das christdemokratische Schweigen – und könnte zum Dank mit der rot-grünen Bundesregierung ein bisschen strenger umgehen. Das fällt nicht auf, denn Solbes’ Generaldirektor, der für ihn die finanzpolitischen Vorschläge konzipiert, ist ein Deutscher, Klaus Regling. Freilich kein Roter und kein Grüner, sondern ein langjähriger enger Bonner Mitarbeiter von Waigel. So fügt sich das eine zum anderen. Zur Posse wird das Ganze allenfalls dadurch, dass es Gerhard Schröder selbst war, der einst Regling auf diesem Posten durchdrückte. Er wollte unbedingt einen weiteren Deutschen in einer Brüsseler Spitzenposition haben.

Romano Prodi, der EU-Präsident, der noch kürzlich den Stabilitätspakt für „dumm“ hielt, sagt nun mannhaft zum aktuellen Streit, ein Regelwerk ohne Sanktionen existiere vielleicht im Paradies, aber nicht in Brüssel. So wie Pedro Solbes den Deutschen ein Jahr mehr Zeit zur Sanierung gibt, hätte er auch an anderer Stelle Spielraum bei der Vertragsauslegung gehabt. Sicher: Die Deutschen haben, schon lange vor Schröder, bei der Sanierung ihrer Haushalte geschlampt. Doch weitere Einschnitte im Moment wären in der jetzigen konjunkturellen Phase völlig kontraproduktiv. Sie werden wohl auch nicht kommen. Denn im Rat der Finanzminister wird Deutschland am Dienstag eine Sperrminorität gegen Sanktionen mobilisieren. Schließlich sind die Deutschen nicht die einzigen Sünder. Und auf Vergebung, sprich: bessere Zeiten, hoffen ja alle. Der Kampf zwischen David und Goliath ist vertagt.

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