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Fawzia Koofi, seit 2005 afghanische Abgeordnete, will die Situation der Menschen verbessern. „Afghanistan ist kein Land, das chronisch arm bleiben muss“, sagt sie. Foto: JohannesEisele/ddp

© AFP

Politik: „Ich fürchte, der Westen gibt uns auf“

Die afghanische Menschenrechtlerin und Präsidentschaftkandidatin Fawzia Koofi zur Lage am Hindukusch.

Frau Koofi, Sie sind das 19. Kind unter 23 Geschwistern in Ihrer Familie. Hat Sie das gelehrt, für Ihre Rechte zu kämpfen?

Sicherlich. Das Leben in einer großen Familie hat viel damit zu tun, sich durchzusetzen. Als junges Mädchen habe ich gelernt, Präsenz zu zeigen und mich zu behaupten unter den Älteren.

Sie kandidieren 2014 für die Präsidentschaft in Afghanistan. Lassen Sie uns für einen Moment träumen: Was würden Sie ändern, wenn Sie gewinnen?

Wieso träumen? Ich gehe vom Möglichen aus. Zwei Bereiche sind wichtig. Zum einen will ich die Situation der Menschen verbessern. Afghanistan ist kein Land, das chronisch arm bleiben muss. Wir verfügen über eine Menge Reichtum durch unsere Rohstoffe. Etwas, das die aktuelle Regierung noch nicht genutzt hat bisher. Bislang hängen wir vor allem von ausländischer Hilfe ab. Wir brauchen aber einen Übergang zu eigenständigen Industrien. Das wiederum muss begleitet werden von einem Prozess, in dem die Politiker der Bevölkerung Rechenschaft schuldig sind, von einer funktionierenden Justiz.

Also weniger Korruption. Wie wollen Sie das erreichen?

Wir müssen als Politiker selbst Vorbilder sein im Kampf gegen Korruption. Das fängt in unseren eigenen Familien an. Wenn wir das der Bevölkerung glaubwürdig vermitteln, hat das auch Folgen für das politische Leben. Nehmen Sie die Regierungsebene. Da ist in den letzten Jahren niemand verurteilt worden, obwohl wir zahlreiche Fälle von Korruption dort kennen. Das muss sich ändern.

Was wollen Sie für die Frauen in Afghanistan bewirken?

Darum geht mein Kampf. Frauen machen 55 Prozent der afghanischen Bevölkerung aus. Sie entscheiden die nächste Wahl. Aber sie sind auch der vergessene Teil der Bevölkerung. 2004 wurde Hamid Karsai von 44 Prozent der Frauen gewählt. Er verdankt ihnen seine Wahl. Aber er hat sie gleich nach der Wahl wieder vergessen. Heute sind die Rechte von Frauen zu einer Kampfgröße im Krieg geworden, zwischen den Taliban auf der einen, Regierung und Geberländern auf der anderen Seite. Die Taliban kämpfen, um zunichte zu machen, was die andere Seite versucht, als Erfolg auf diesem Gebiet darzustellen. Unlängst hat es grausame Verletzungen von Frauenrechten gegeben. In einem Fall wurde eine Frau in Gegenwart einer Menge öffentlich hingerichtet. Das Gebiet kontrollierten Taliban. Es wurde geklatscht dabei. So etwas darf kein Platz haben in unserer Kultur.

Wie wollen Sie als Politikerin Tradition und altes Denken zurückdrängen?

Es braucht viel Zeit, die falschen Seiten gesellschaftlicher Traditionen zu verändern. Über Nacht wird es nicht gehen.

2014 verlässt das internationale Militär Afghanistan. Sind Sie damit einverstanden?

Nein. Ich befürchte, dass der Westen Afghanistan aufgeben könnte. Die internationale Gemeinschaft ist im Namen von Sicherheit und Stabilität angetreten. Zwölf Jahre später sehen die Menschen wenig davon. Meine Heimatprovinz Badakhshan war für gewöhnlich ein ruhiger und sicherer Ort. Jetzt verschlechtert sich die Lage. Ein zu früher Abzug macht alles schlimmer und er gefährdet die noch schwachen Institutionen. Ich hoffe, es kommt nicht so weit, dass keine Wahl stattfinden kann.

Was bedeutet das Abzugsdatum 2014 wirtschaftlich?

Wir steuern auf eine wirtschaftliche Krise zu. Bisher sorgt das Geld aus der Militär- und Entwicklungshilfe für einige Arbeitsplätze. Aber jetzt werden viele Menschen ihre Arbeit verlieren. Ohne klare Alternative besteht die Möglichkeit, dass einige dieser Menschen in Kriminalität oder Extremismus abrutschen. Unter meinen Bekannten gibt es junge studierte Leute, die zu mir kommen und mich nach Arbeit fragen. Nicht jedem kann ich eine Empfehlung geben. Einige haben sich später bei den Taliban wiedergefunden.

Zuletzt hat es mehr tödliche Übergriffe von afghanischen Soldaten auf internationales Militär gegeben. Wie erklärt sich das?

In einigen dieser Fälle geht es um persönliche Streitigkeiten zwischen Soldaten beider Seiten, bisweilen in Verbindung mit einem Mangel an kultureller Sensibilität. Ein besseres Training für internationale Truppen, bevor sie nach Afghanistan kommen, wäre hilfreich. Andererseits reagieren afghanische Soldaten oft aggressiv, was auch mit fehlender Bildung zusammenhängt. Es sollte zum Beispiel klar sein, wie man mit einem Text des Koran umgeht. Oder dass man afghanische Frauen in der Öffentlichkeit nicht fotografiert. Eigentlich das Gleiche, was wir in jeder anderen Gesellschaft auch erwarten würden. Aber manche unter den ausländischen Truppen halten sich für überlegen. Die Afghanen erscheinen ihn als Nobodys. Mehr Respekt könnte helfen, solche tödlichen Fälle zu verhindern.

Es hat eine Welle der Gewalt nach dem jüngsten Anti-Mohammed-Film gegeben. Wo stehen Sie zwischen Meinungsfreiheit und religiöser Sensibilität?

Wir leben in einem globalen Dorf. Wir haben alle Rechte und Pflichten. Die Ausübung von Meinungsfreiheit braucht einen verantwortlichen Umgang. Ohne das Ziel, Gewalt zu provozieren. Umgekehrt verurteile ich die Gewaltausbrüche, die es gegeben hat. Wir sollten diesen Gruppen keinen Anlass für solche Taten liefern.

Das Interview führte Martin Gerner.

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