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Politik: „Ich gebe mir einen Teil der Schuld“

Der Chef der im Irak entführten Deutschen über Verhaltensregeln und den naiven Glauben an Sicherheit

Die Geiseln im Irak sind nicht vergessen. Das ist ein Satz aus dem Mund von Horst Köhler, ein Satz von höchster Autorität also. Aber gerade weil der Satz vom Bundespräsidenten stammt, macht er die Ohnmacht deutlich: Hoffen, beten, das ist alles, was man für René Bräunlich und Thomas Nitzschke tun kann. Niemand weiß, ob der Ingenieur und der Techniker der Firma Cryotec aus Bennewitz bei Leipzig ihre Entführung überleben werden.

Einem Land, das von der Vogelgrippe heimgesucht wird und dem nicht klar ist, welche Rolle sein Geheimdienst während des Irakkriegs spielte, fällt es leicht zu vergessen. Vielleicht mahnen und beten an der Nikolaikirche in Leipzig deshalb nur wenige Menschen. Pfarrer Christian Führer wird nicht müde zu betonen, dass auch Mitglieder der Bundesregierung willkommen seien und Cryotec-Chef Peter Bienert sagt, nicht die Masse zähle, sondern jeder Einzelne. Aber alle wissen, bis zu 400 Menschen sind nicht viel.

Während im Irak die Deutschen um ihr Leben kämpfen, kämpft Bienert um die Existenz seiner Firma. Bienert, ein großer Mann mit dicken Augenbrauen und weißem Haar, würde das so nie sagen, weil er weiß, es könnte ihm falsch ausgelegt werden. Er kennt die Vorwürfe, dass er Schuld sei, deshalb bringt ihn die Situation an den Rand seiner Kräfte. Seine Mitarbeiter auch, es sind nur 15. Zwei und ihr Know-how fehlen jetzt. Im Flur der Firma steht ein Tisch, mit blauer Tischdecke und drei Muscheln, dazu eine Kerze. Das ist ihr kleines Mahnmal, das große sind die leeren Schreibtische der Kollegen.

In der Öffentlichkeit geht es meist nur um eine Frage: Warum habt ihr so fahrlässig gehandelt? Bienert hat das anfangs auf die Palme gebracht. Die Frage hat ihn getroffen, denn „es ist ja nicht so, dass ich sie mir nicht selbst gestellt habe“. Bienert hat sie sich gestellt, bevor die beiden aufbrachen, und deshalb gab es Verhaltensregeln, „aktenkundige Belehrungen“, wie es Bienert ausdrückt. Aus Bienerts Sicht „hätte die Entführung nicht sein müssen“, es war ja alles geregelt: der Weg, die Quartiere, die Betreuung, die Sicherheit. Aber es ist passiert, und Bienert spricht von einer „Sicherheitslücke“, die so nicht vorhersehbar war. Wenn Bienert es genauer ausdrücken soll, sagt er: „Die Entführung konnte nur geschehen, weil gegen die einfachste Regel verstoßen wurde.“

Die einfachste Regel in Krisengebieten lautet: Das Quartier muss direkt am Arbeitsort liegen. Die Unterkunft, die für beide ausgesucht worden war, lag 20 Meter neben der Raffinerie und der Anlage, die Cryotec für einen Staatsbetrieb gebaut hatte. Aber dort haben Bräunlich und Nitzschke offenbar nicht gewohnt, sondern einen Kilometer entfernt. Warum? Bienert sagt: „Ich kenne den Mann, der für die Sicherheit zuständig war.“ Aber das BKA hat ihm auferlegt, nicht über mögliche Umstände der Entführung zu reden, deshalb sagt der 62-Jährige nicht mehr.

Es regt Bienert auf, dass Politiker wie Staatsminister Gernot Erler ihn „pauschal verurteilen“, der wisse gar nicht, was wir wussten. Bienert wusste von seinen Mitarbeitern, dass die irakischen Kollegen „vertrauensvoll“ seien, bevor sie das zweite Mal in den Irak reisten. Beim ersten Mal war die Anlage nicht angekommen, aber vom ersten Mal kannten Bräunlich und Nitzschke das irakische Team, die Techniker, die Ingenieure und die Sicherheitsleute. Bienert hatte seinen Angestellten noch mit auf den Weg gegeben: „Traut euch bloß nicht aus dem Werksgelände raus.“ Jetzt vermutet Bienert, dass „sich jemand in unser Team eingeschlichen und das Vertrauen missbraucht hat“.

Bienert kennt den Irak, war mehrfach dort. Er hat geglaubt, es könne ausreichende Sicherheit geben, wenn man die Regeln beachte. Heute gibt er zu, dass es naiv war zu glauben, ausgerechnet seinen Leuten würde nichts passieren – trotz der Osthoff-Entführung: „Ich bedaure, dass es passiert ist, und ich gebe mir auch einen Teil der Schuld, aber ich weiß nicht, wie ich es hätte besser lösen können.“ Bienert sagt, er schlafe gut, aber er wache sehr früh auf, und dann seien die Gedanken wieder da. Er kämpft, aber er kann nichts mehr für seine Leute tun. Nur beten.

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