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Politik: „Ich halte das für einen großen Skandal“

In Deutschland gibt es Fälle, in denen beschnittene Frauen nach der Geburt eines Kindes auf eigenen Wunsch wieder zugenäht wurden. Was halten Sie davon?

In Deutschland gibt es Fälle, in denen beschnittene Frauen nach der Geburt eines Kindes auf eigenen Wunsch wieder zugenäht wurden. Was halten Sie davon?

Ich halte das für einen großen Skandal. Wir haben mit Hebammen in Deutschland gesprochen, die haben uns solche Situationen geschildert: Da steht der Mann nach der Geburt neben der frisch entbundenen Frau und sagt dem Arzt: Da müssen Sie wieder zunähen. Der fragt kurz bei der Frau nach – was soll die in so einer Situation schon sagen? – und tut es dann einfach. Und rechtfertigt sich mit „kultureller Sensibilität“.

Sollte es ein Gesetz dagegen geben?

Natürlich. In Großbritannien ist so etwas klar verboten, die Ärzte haben die Pflicht, das den Frauen vor der Geburt zu erklären. Psychologische Betreuung ist immens wichtig dabei. Man könnte sich am britischen System einiges abschauen. Dort gibt es Kliniken, die Rückoperationen anbieten und die Frauen psychologisch und sozial beraten. Hier scheint das Gesundheitspersonal total hilflos zu reagieren.

Was könnte Deutschland noch tun?

Auch sonst braucht es viel klarere Gesetze. Nehmen Sie das Problem der „Beschneidungs-Ferien“: Die meisten Kinder ausländischer Eltern, die hier geboren werden, bekommen nicht die Staatsbürgerschaft – anders als in Frankreich. Wenn so ein Kind in der Heimat seiner Eltern verstümmelt wird, ist unklar, wie man die Eltern hier belangen kann. Eine dramatische Gesetzeslücke! Dann muss man Einrichtungen schaffen, in denen die Opfer betreut werden – es gibt in ganz Deutschland nur eine Beratungsstelle. In Berlin gab es eine, der die Förderung gestrichen wurde. Das geht doch nicht in einem so reichen Land!

Das Gespräch führte Dagmar Dehmer.

Waris Dirie (39) ist UN-Sonderbotschafterin gegen Genitalverstümmelung. Vor kurzem erschien ihr neues Buch über Beschneidung in Europa: „Schmerzenskinder“.

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