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Politik: „Ich liebe unser Land“

Nach seiner Wahl fordert Horst Köhler von den Deutschen: Wir müssen uns wieder mehr zutrauen

Fast wäre der neue Präsident nicht zu Wort gekommen, so eilig hatte es Bundestagspräsident Wolfgang Thierse, der die Bundesversammlung leitete. Wir drucken Auszüge aus der Rede Horst Köhlers.

„Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, allen Mitgliedern der Bundesversammlung, die mich gewählt haben, danke ich für ihr Vertrauen. Und diejenigen, die mir ihre Stimme nicht gegeben haben, will ich durch meine Arbeit überzeugen.

Ich möchte Bundespräsident aller Deutschen sein und ein Präsident für alle Menschen, die hier leben. (…) Für mich persönlich ist die Entscheidung der Bundesversammlung ein wirklich sehr bewegender Augenblick. Nach sechs Jahren im Ausland kehre ich mit einem Gefühl von Freude und Dankbarkeit in meine Heimat zurück. Deutschland hat mir viel gegeben. Davon möchte ich etwas zurückgeben. Ich liebe unser Land.

Wahrscheinlich erwarten Sie jetzt alle von mir, dass ich von Reformen spreche. Tatsächlich halte ich eine grundlegende Erneuerung unseres Landes für notwendig und überfällig. Und als gelernter Ökonom (…) kann ich Ihnen die Feststellung nicht ersparen, dass ich mir Sorgen um den Zustand der deutschen Wirtschaft, die Arbeitsplätze und die soziale Sicherheit in unserem Lande mache. Ich sehe auch neue, unakzeptable Spaltungstendenzen in unserer Gesellschaft. (…)

Tatsächlich befindet sich die Welt in einem tiefen Umbruch. (…) Deutschland muss um seinen Platz in der Welt des 21. Jahrhunderts kämpfen. (…) ja, ich werde in meinem Amt zu mehr Entschlossenheit, Tatkraft und auch Stetigkeit bei wirtschafts- und sozialpolitischen Reformen drängen. Doch ich hoffe, ich enttäusche heute niemanden, wenn ich eine ganz andere Frage voranstelle, nämlich die Frage: Was will Deutschland im 21. Jahrhundert sein, was kann es sein, und wo will dieses Land hin. (…)

Deutschland ist mir zu langsam auf seinem Weg in die Wissensgesellschaft. Mein Traum geht aber noch weiter. Deutschland soll ein Land der Ideen werden. (…) Das ist ganz sicher etwas anderes als Großmannssucht und Selbstüberschätzung. Deutschland, ein Land der Ideen, das ist, nach meiner Vorstellung, Neugier und Experimentieren. Das ist in allen Lebensbereichen Mut, Kreativität und Lust auf Neues, ohne Altes und Alte auszugrenzen. Das sind neue Gründerjahre. Das ist auch die Kraft, mit Rückschlägen umzugehen. (…)

Kinder sind Brücken in die Welt von Morgen. Wie müssen uns alle anstrengen, eine familien- und kinderfreundliche Gesellschaft zu werden. Und dazu brauchen wir konkrete Antworten auf bestimmte Fragen, zum Beispiel: Wie schaffen wir es, Elternarbeit anzuerkennen? Wie kann es gelingen (…) Familie und Beruf besser zu vereinbaren? Was sind uns Kinder wert? (...) Aber genauso müssen wir auch eine konkrete Antwort auf die Frage finden, was uns ältere Menschen wert sind. Um die Zukunft zu gewinnen, brauchen wir auch deren Erfahrung und Weisheit. Wir müssen an Freundschaft zwischen den Generationen schon jetzt arbeiten.(…)

Deutschland hat die Kraft, sich zu verändern. (...) Diese Kraft liegt in den Menschen. Ihre Ideen sind der Reichtum unseres Landes. Damit sich diese Kraft entfalten kann, müssen wir Angst überwinden und Selbstvertrauen zurückgewinnen. Wir können in Deutschland vieles möglich machen. Aber dazu müssen wir uns erst einmal uns selbst mehr zutrauen. Und wir müssen wieder mehr auf die Kraft der Freiheit vertrauen. Es war diese Kraft, mit der vor 15 Jahren die Menschen im Osten unseres Vaterlandes die scheinbar unüberwindliche Mauer zum Einsturz gebracht haben. Einer der großartigsten Momente unserer Geschichte und auch eine stetige Verpflichtung für uns, die innere Einheit wirklich zu verwirklichen.

(…) die Kraft der Freiheit zu stärken, darauf achten, dass es gerecht zugeht in Deutschland und dazu beitragen, dass wir ein Land der Ideen werden, dafür will ich eintreten und dafür bitte ich um das Mitmachen aller. Ich grüße alle Landsleute nah und fern, unsere Nachbarn in Europa und unsere Freunde in der Welt. Gott segne unser Land. Vielen Dank.“

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