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Politik: „Ich sage nicht, dass wir eineiige Zwillinge sind“

US-Vizeaußenminister Nicholas Burns über den Besuch der Kanzlerin, Irans Atomprogramm und Israel ohne Scharon

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der amerikanische Präsident George W. Bush wollen die Beziehungen verbessern. Doch bei den Antrittsbesuchen der Außenminister Frank-Walter Steinmeiner in Washington und Condoleezza Rice in Berlin ging es erst einmal um Fragen nach CIA-Flügen, Geheimgefängnissen und der Entführung des deutschen Staatsbürgers Khaled al Masri. Welche Rolle spielen diese Themen, wenn der Präsident Angela Merkel empfängt?

Die Beziehungen sind gut. Unsere Kooperation ist exzellent, in der Nato, in Afghanistan. Und wir arbeiten eng zusammen bei den Verhandlungen des EU-Trios mit Iran über dessen Atomprogram. Die sind freilich komplizierter geworden durch die Äußerung des iranischen Präsidenten, der zur Zerstörung Israels aufruft und den Holocaust leugnet. Wir stimmen überein, dass Iran eine Bedrohung ist, Terror unterstützt und Atomwaffen anstrebt. Ich telefoniere deswegen alle paar Tage mit Michael Schäfer vom Auswärtigen Amt. Die Beispiele zeigen: Die Beziehungen sind schon enger geworden. Auch die von Ihnen genannten Probleme gehören zum Bild, aber die Meinungsverschiedenheiten waren 2002/03 viel größer. Ich weiß, wovon ich rede, ich war damals US-Botschafter bei der Nato.

Meinen Sie die offiziellen Beziehungen oder die öffentliche Wahrnehmung?

Die offiziellen Beziehungen sind exzellent. Wir hoffen, dass die Bürger in beiden Ländern ein gutes Verhältnis wünschen. Die öffentliche Meinung in Deutschland war gegen den Irakkrieg. Aber heute, drei Jahre später, hat Irak eine frei gewählte Regierung und eine demokratische Verfassung. Wir hoffen, dass die Deutschen diese Entwicklung unterstützen.

Wird Präsident Bush sich für die Entführung von Khaled al Masri entschuldigen?

Kanzlerin Merkel und Außenministerin Rice haben über all diese Fragen gesprochen, von den CIA-Flügen bis zu al Masri, auf eine pragmatische und für beide Seiten befriedigende Art. Es wäre nur normal, wenn das Gespräch fortgesetzt wird.

Verhindert die Tatsache, dass al Masri vor einem US-Gericht klagt, eine offizielle Entschuldigung, weil das wie ein Schuldeingeständnis aussähe?

Wir haben eine Gewaltenteilung in den USA, es wäre ungewöhnlich, wenn der Präsident sich zu einem laufenden Verfahren äußert. Aber wir sind im Gespräch über diesen Fall mit unseren deutschen Partnern, auf allen Ebenen.

Europäer und Amerikaner beurteilen die Bedrohung durch den Terror und die Wahl der Gegenmittel verschieden. Nehmen diese Differenzen zu?

Nein. Ich habe von 1997 bis 2005 in Europa gelebt. Vor vier Jahren waren die Auffassungsunterschiede größer. Heute sehen alle, dass der Terror auch in Europa zuschlägt, in Istanbul, Madrid und London. Es gibt eine wachsende stille Kooperation, die die Medien und die Öffentlichkeit freilich zu wenig wahrnehmen, von den Geheimdiensten über Gerichte und Strafverfolgung bis zur Finanzkontrolle. Gemeinsam arbeiten wir daran, das Umfeld der Terrorszene trockenzulegen. Die gemeinsame Initiative von USA und EU gegen Geldwäsche fand kaum Beachtung. In den Gesprächen bei der Nato und mit unseren EU-Partnern haben wir kaum Differenzen bei der Bedrohungsanalyse, nur manchmal darüber, was die beste Taktik zur Abwehr ist.

In der öffentlichen Meinung herrscht aber der Eindruck fundamentaler Meinungsverschiedenheiten. Nehmen wir die CIA-Flüge. Die wurden im November und Dezember in deutschen Medien einzeln gezählt und galten zum Gutteil als illegal. Erwarten Sie, dass die Bundesregierung in solchen Situation mehr aufklärt, was den Amerikanern erlaubt ist und was nicht?

Das sind komplizierte Angelegenheiten. Regierungen können nicht immer offen über Geheimdienstarbeit reden. Wir hatten den Eindruck, die Luft hat sich gereinigt durch Condoleezza Rices Gespräche mit den Europäern. Wir können nur hoffen, dass auch die Öffentlichkeit das mit der Zeit versteht und die Verbesserung wahrnimmt.

In wessen Macht steht es, die Fehlwahrnehmungen im deutschen Amerikabild und im amerikanischen Deutschlandbild zu ändern? Eine Internetumfrage der deutschen Botschaft in Amerika hat ergeben, dass die große Mehrheit in den USA nicht weiß, wie viel die Europäer in Afghanistan tun, dass sie den Nato-Einsatz dort leiten. Die Amerikaner halten das für eine US-Operation.

Wir alle haben die Verantwortung, das zu ändern. Außenministerin Rice erwähnt die Zahlen immer wieder: 12.000 europäische Soldaten in Afghanistan, 7000 in Bosnien, 15.000 in Kosovo. Europa trägt einen Großteil der Friedensmissionen. Jeder sollte in seinem Land den Wert der Partner überzeugend erklären. Wenn wir auf die transatlantischen Beziehungen zurückblicken, hat es in jedem Jahrzehnt eine tiefe transatlantische Krise und wachsendes Misstrauen gegeben: Suezkrise, Vietnam, Nachrüstung, heute Irak. Wir haben alle diese Krisen gemeistert. Die Allianz hielt. So wird es auch diesmal sein. Wir haben bei so vielen Herausforderungen nahezu identische Interessen: Aids und andere Epidemien, die Armut in Afrika, der Nahostfrieden, Irak, Afghanistan, die friedliche Entwicklung Chinas. Die außenpolitische Agenda hat sich verändert, jahrzehntelang war sie konzentriert auf Europa, selbst nach dem Sturz des Kommunismus und der deutschen Einheit. Als ich vor zehn Jahren Sprecher des Außenministers Warren Christopher war, beherrschte der Balkan den Terminkalender. Heute ist die Agenda globaler, auch für die Europäer. Ich halte die übliche Analyse, wir drifteten auseinander, für falsch. Die globalen Probleme bringen uns enger zusammen.

Vielleicht ist die unterschiedliche Geschwindigkeit das Problem. Die Weltmacht USA ist schneller bei der Globalisierung als die europäischen Mittelmächte.

Das wäre nur verständlich. Europa ist noch dabei, sich zu finden und die EU aufzubauen. Wir haben weltweite Interessen, aber auch Europa orientiert sich in dieser Richtung.

Als die kommunistischen Regime stürzten und Osteuropa demokratisch wurde, hatten die USA und Europa eine gemeinsame Strategie. Bei der Demokratisierung der arabischen Welt haben viele Deutsche nicht diesen Eindruck. Die offiziellen Ansätze sind gar nicht so verschieden, dennoch denken viele: Die USA machen es mit Druck und Gewalt, Europa durch friedliche Überzeugung.

Ich behaupte ja gar nicht, dass wir eineiige Zwillinge sind. Europa hat andere historische Erfahrungen als Amerika. Wir haben unterschiedliche Talente und unterschiedliche Ansätze, aber die ergänzen sich. Bleiben wir bei Nahost. Außenministerin Rice hat, unterstützt vom EU- Diplomaten Javier Solana, das Rafah-Abkommen ausgehandelt, das den Palästinensern zum ersten Mal seit 1967 die Kontrolle über eine ihrer Grenzen gibt. Europa überwacht die Umsetzung.

Wer kann Ariel Scharon ersetzen, der den Willen zum Abzug mit der Fähigkeit verband, Mehrheiten dafür zu gewinnen?

Europa und Amerika müssen so entschlossen wie bisher am Friedensprozess arbeiten. Die USA sind dazu bereit.

Reicht das? Angesichts des Chaos in den Palästinensergebieten und den Sorgen in Israel wäre vielleicht mehr Entschlossenheit als bisher nötig?

Gerade eben haben wir eine energische diplomatische Initiative gestartet, um den Palästinensern zu helfen, die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Wie es in Israel weitergeht, ist vorerst unsicher. Deshalb sind die Kontinuität und Verlässlichkeit der USA und Europas entscheidend.

Ist Amerikas mäßigender Einfluss durch den Ausfall Scharons bedroht? Wer kontrolliert Israels Verhalten gegenüber Iran, wenn der Falke Benjamin Netanjahu die Wahl gewinnt und Teheran sein Atomprogramm weiter vorantreibt?

In den vergangenen acht Monaten haben die USA ihren Willen zu einer friedlichen Lösung nachdrücklich bewiesen. Wir halten daran fest. Wir beziehen andere Staaten ein in die Bemühungen, Iran von seinem Nuklearprogramm abzubringen: Russland, China, Indien, Brasilien. Es ist Teheran, das damit droht, die Verhandlungen zu beenden. Iran verweigert jeden Kompromiss. Außenministerin Rice sagt, sie habe die Stimmen zusammen, um den Fall vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, und werde das mit den Verbündeten zum richtigen Zeitpunkt tun. Die Iraner graben sich selbst die Grube. Sie sind zunehmend isoliert.

Medien in Deutschland und der Türkei behaupten, die USA hätten konkrete Pläne für einen Luftangriff auf Iran und Condoleeza Rice werde bei ihrer Türkeireise um die Zustimmung bitten, US-Stützpunkte dort dafür zu nutzen. Stimmt das?

Wir streben absolut eine friedliche Lösung an. Das haben der Präsident und die Außenministerin versichert. Wir nutzen dafür jede Möglichkeit. Natürlich sagt der Präsident auch, dass er keine Option vom Tisch nimmt.

Gibt es militärische Planungen für die kommenden Monate?

Wir konzentrieren uns auf die Diplomatie.

Nach dem Erdgaskonflikt mit der Ukraine äußern US-Medien Unbehagen, dass Russland G-8-Mitglied ist. Die Hoffnungen auf Demokratie, Rechtsstaat und Marktwirtschaft haben sich nicht erfüllt. Ist es Zeit, die Aufnahme zu überdenken?

Außenministerin Rice hat Russland für die Entscheidung, das Gas abzudrehen, kritisiert. Das war ein falscher Schritt. Aber Russland ist Mitglied der G 8, es hat die Präsidentschaft inne. Und wir freuen uns auf die Zusammenarbeit, damit der G-8-Gipfel ein Erfolg wird.

Das Interview führte Christoph von Marschall. Das Foto machte Kamal Kishore/Reuters.

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