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Politik: „Ich sehe keine Ansätze zur Nachahmung bei Rechtsextremen“

Der scheidende BND-Präsident Ernst Uhrlau über Oslo und islamistische Attentate, die gefährlichsten Terrorregionen der Welt – und sein schönstes Erlebnis

Welchen Hintergrund haben Sie vermutet, als Sie von der Bombe in Oslo hörten?

Ich habe als Erstes gedacht, das passt in ein islamistisch-terroristisches Szenario. Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse Ende des vergangenen Jahres, als sich in Stockholm ein Selbstmordattentäter in die Luft sprengte und in Kopenhagen der Angriff auf die Redaktion der dänischen Zeitung „Jyllands-Posten“ wegen der Mohammed-Karikaturen gerade noch vereitelt werden konnte. Aber bald wurde klar, dass die Explosion in Oslo und der Amoklauf auf der Insel Utöya nicht zusammen in eine islamistisch-terroristische Angriffsstrategie passen.

Wieso? Bei dem Angriff in der indischen Hafenstadt Mumbai im November 2008 zündeten die islamistischen Terroristen Sprengsätze und schossen auch um sich.

Als die norwegischen Behörden meldeten, der Täter sei Norweger, war ein islamistischer Hintergrund nicht mehr zu erwarten. Selbst wenn ein norwegischer Konvertit gehandelt hätte, dann wäre kaum vorstellbar, dass er erst gezielt eine Bombe in Oslo zündet und dann auf einer Insel wahllos um sich schießt. Diese Kombination wäre bisher jedenfalls sehr untypisch gewesen.

Befürchten Sie, dass Neonazis und andere Extremisten das Modell gleichzeitiger Mehrfachanschläge Al Qaidas kopieren?

Ich sehe bei den rechtsextremen Strukturen keine Ansätze zur Nachahmung von Al Qaida.

Wer befasst sich beim BND mit rechtsextremem Terror?

Der BND ist nur bei grenzüberschreitenden Aktivitäten einbezogen. Eine grenzüberschreitende, strukturelle Kooperation von rechtsextremen Militanten ist derzeit nicht erkennbar. Daran ändern auch die Anschläge in Norwegen nichts. Die Einbindung in ein internationales Terrornetz konnte bei Anders Breivik bislang nicht festgestellt werden.

Wie steht es um Al Qaida drei Monate nach dem Tod von Osama bin Laden?

Auch wenn Osama bin Laden nicht mehr so wie früher in die aktuelle Planung und Taktik von Al Qaida einbezogen war, wurde die Organisation durch seinen Tod nachhaltig geschwächt. Bin Laden war Ideengeber, Symbol- und Integrationsfigur. Und er hat Al Qaida vor 9/11 zu einem Dach entwickelt, unter dem alle militanten islamistischen Bewegungen zusammengefasst werden sollten. Mit dem Ziel einer militanten Massenbewegung in der islamischen Welt. Dieser Prozess war mit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht abgeschlossen und wurde durch den Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan gebrochen. Al Qaida verlegte sich auf eine Regionalisierung, in mehreren Regionen der islamischen Welt entstanden Ableger. Dennoch blieb bin Laden die ideologisch dominierende Figur. Sie ist für Al Qaida nicht zu ersetzen.

Kann sich der zum Nachfolger bestimmte Ägypter Aiman al Sawahiri als Anführer etablieren?

Er ist nicht von einer Schura, also einer Ratsversammlung, gewählt worden. Und er verfügt nicht über die Integrationskraft, um neben Kern-Al-Qaida im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet die regionalen Organisationen im Irak, in Nordafrika, auf der arabischen Halbinsel und in Ostafrika an sich zu binden. Außerdem lassen sich saudische und jemenitische Dschihadisten von einem Ägypter wenig sagen.

Welche Al-Qaida-Filiale ist am gefährlichsten?

Das ist ,Al Qaida auf der arabischen Halbinsel’, die vor allem im Jemen aktiv ist. Die sind am weitesten mit ihren Versuchen gediehen, die Möglichkeiten eines Angriffs auf die internationale Gemeinschaft zu testen. Denken Sie an den Nigerianer, der Ende 2009 mit Sprengstoff in der Unterwäsche eine Passagiermaschine auf dem Flug nach Detroit zum Absturz bringen wollte. Oder an den Selbstmordattentäter, der im August 2009 mit Sprengstoff im Körper einen Anschlag auf den saudischen Vizeinnenminister Prinz Mohammed bin Naif verübte, der mit viel Glück überlebt hat. Und an die im Oktober 2010 vom Jemen aus verschickten Paketbomben, von denen eine auf dem Flughafen Köln-Bonn umgeladen wurde. Außerdem gibt dieser Ableger von Al Qaida das englischsprachige Internetmagazin ,Inspire’ heraus, das die Dschihadistenszene zu Anschlägen ermuntern soll. Im Vergleich zu diesen Aktivitäten sind die der anderen Al-Qaida-Filialen meist auf die jeweiligen Regionen begrenzt. Allerdings hat die somalische Shabbab-Miliz im vergangenen Jahr während der Fußballweltmeisterschaft einen schweren Anschlag in Uganda verübt. Bei der Shabbab-Miliz, die nun auch in der von ihr beherrschten Region die Menschen dem Hunger aussetzt, sehe ich das Risiko, dass sie über Somalia hinaus Ostafrika destabilisieren will.

Der 10. Jahrestag der Anschläge vom 11. September steht bevor. Wie groß ist die Gefahr, dass Al Qaida und andere Terroristen das Datum nutzen, um zuzuschlagen?

Ich halte einen größeren Anschlag für unwahrscheinlich. Auch am ersten oder am fünften Jahrestag von 9/11 ist nichts gekommen, ebenso wenig nach der Tötung von Osama bin Laden. Kern-Al-Qaida verfügt nicht mehr über die planerische Fähigkeit, die sie vor 9/11 hatte.

Andererseits könnten die Amerikaner versucht sein, das Datum für einen Schlag gegen den islamistischen Terror zu nutzen. Dem kommenden CIA-Chef und bisherigen US-Kommandeur in Afghanistan, David Petraeus, ist doch einiges zuzutrauen.

Das ist für mich reine Spekulation. Erfolge und Aktivitäten gegen islamistische Netzwerke hängen vom Informationsaufkommen und nicht von symbolträchtigen Daten ab.

Die Taliban geben nicht auf. Hat der Westen den Afghanistan-Krieg verloren?

Beide Seiten wissen, dass sie militärisch nicht siegen können. Deshalb versucht die Nato-Schutztruppe Isaf eine politisch tragfähige Lösung. Parallel sollen die Taliban in mehreren Regionen nachhaltig geschwächt und in ihrer Angriffsfähigkeit beeinträchtigt werden. Die Taliban verlegen sich nun wieder stärker auf asymmetrische Attacken, also Sprengfallen und Anschläge, auch auf Provinzpolitiker.

Sollten die USA und ihre Verbündeten den Rückzug bis 2014 stornieren?

Es gibt das Konzept der Übergabe in Verantwortung an die Afghanen. Das läuft. Ich sehe keine, auch keine zeitliche Veränderung an diesem Konzept.

Bei einer anderen Terrororganisation, der palästinensischen Hamas, bemüht sich der BND, den entführten israelischen Soldaten Gilad Schalit freizubekommen. Glauben Sie, bis zum Ende Ihrer Amtszeit im Dezember wird Schalit wieder in Israel sein?

Ich beteilige mich nicht an Spekulationen. Wir thematisieren den Fall nicht in der Öffentlichkeit.

Der arabische Frühling scheint zu erkalten. Wie geht es in der Region weiter?

In Tunesien und Ägypten, die als Schrittmacher gewirkt haben, hängt die innenpolitische Situation davon ab, ob es gelingt, die enormen Erwartungen der vornehmlich jungen Bevölkerung zu erfüllen. Da geht es um die Belebung der Wirtschaft und um den Rückgang der Arbeitslosigkeit. Nach dem Sturz der Diktatoren haben Tunesien und Ägypten jedoch einen starken Einbruch unter anderem beim Tourismus erlebt. Und es ist schwer, vorherzusagen, was nach den kommenden Wahlen passiert. Sollten die Erwartungen gerade der jungen Menschen enttäuscht werden, ist eine Hinwendung auch zu extremen Positionen zu befürchten.

In Ägypten wirken die Muslimbrüder schon jetzt gestärkt.

Es ist jedenfalls bei den Wahlen eine Stärkung der Muslimbruderschaft zu erwarten. Auch wenn nicht zu sehen ist, dass sie sich entradikalisiert hat. Aber die Muslimbrüder sollten sich der Herausforderung stellen, in die Verantwortung für ihr Land einbezogen zu werden.

Wie geht es in Libyen weiter?

Es sind Anstrengungen erkennbar, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Allerdings nicht in dem Sinne, dass Gaddafi Teil der Machtstruktur bliebe.

Und Syrien?

Ich sehe nicht, dass es zu einem Regimewechsel kommt. Die herrschende Minderheit der Alawiten, mit dem Assad-Clan an der Spitze, wird ihre Position nicht aufgeben. Man versucht, mit Angeboten wie Mehrparteiensystem und Wahlen die Opposition zu spalten. Und sie erscheint nicht so einig, dass sie einen Machtwechsel erzwingen könnte.

Ein Krisenherd ist offenbar auch der Neubau des BND in der Chausseestraße. Wird ein BND-Mitarbeiter seinen Wagen unentdeckt im Parkhaus abstellen können, nachdem die Baupläne verschwunden sind?

Ja. Zum Thema Baupläne wurde zudem eine Kommission eingesetzt. Mehr gibt es da für mich nicht zu sagen.

Genießen Sie noch das uneingeschränkte Vertrauen der Bundeskanzlerin?

Der Regierungssprecher hat gesagt, Herr Uhrlau hat das Vertrauen der Bundeskanzlerin.

Wenn Sie auf Ihre Zeit beim BND zurückblicken – was war der größte Fehler?

Im Fall der ,Spiegel’-Korrespondentin Susanne Koelbl, deren E-Mails an einen afghanischen Minister der BND mitgelesen hatte, wäre es besser gewesen, alle Informationen schneller ans Kanzleramt zu geben. Den Zeitverzug muss ich mir persönlich zurechnen.

Und das schönste Erlebnis?

Spatenstich, Grundsteinlegung und Richtfest des Neubaus des BND an der Chausseestraße. Und die Modernisierung des Dienstes sowie der Beginn der Aufarbeitung der Geschichte des BND, die zu einem Teil auch eine Geschichte der Bundesrepublik ist.

Das Interview führten Stephan-Andreas Casdorff und Frank Jansen.

Ernst Uhrlau (64) ist seit 2005 Chef des Bundesnachrichtendienstes. Zuvor koordinierte er die Nachrichtendienste im Bundeskanzleramt. 1996 bis 1998 war er Polizeichef in Hamburg.

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