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Politik: „Ich soll eingeschüchtert und ruhig gestellt werden“

Ekin Deligöz über die Kampagne gegen ihre Person

Frau Deligöz, wie geht es Ihnen?

Gemischt. Als Politikerin will ich natürlich mit meinen Aussagen an die Öffentlichkeit, aber die Situation jetzt nimmt mich emotional auch sehr mit.

Sie haben vor zwei Wochen an muslimische Frauen hierzulande appelliert: „Kommt in Deutschland an, legt das Kopftuch ab!“ Was haben Sie seither erlebt?

Zunächst kamen nur Beschwerdebriefe, dann erschienen in Zeitungen in der Türkei sehr beleidigende Artikel, die über Internet auch in Deutschland gelesen wurden. In diesen wurde mir dann in teilweise bedrohlicher Form vorgeworfen, ich hätte meine Kompetenzen überschritten, ich wolle mich bei den Deutschen einschleimen, ich würde die Freiheitsrechte der Menschen nicht achten, ich würde rassistisches Gedankengut verbreiten und hätte eine Nazi-Gesinnung. Auch versuchten Verbände wie Milli Görüs, mir einen Maulkorb zu verpassen. Schließlich kamen dann Zuschriften mit Schmähungen und auch eine Morddrohung …

… weshalb Sie jetzt unter Personenschutz stehen. War Ihnen bewusst, welches Ausmaß der Empörung Sie mit dem Appell auslösen würden?

Nein, das habe ich mir nicht vorstellen können. In der Debatte über die Zulassung von Kopftüchern an Schulen habe ich eine viel rigidere Meinung vertreten und für ein Verbot plädiert. Dass ein Appell solche Emotionen auslösen würde, hat mich sehr überrascht.

Wie erklären Sie sich die Reaktionen im Nachhinein?

Was ich derzeit erlebe, ist eine organisierte Hetzkampagne von fundamentalistischer Seite. Ich soll eingeschüchtert und ruhig gestellt werden. Im Prinzip geht es darum, Kritik an religiösen Symbolen oder Traditionen unmöglich zu machen. Ich glaube aber nicht, dass die Masse der Muslime in Deutschland so denkt.

Dennoch hat sich keine der muslimischen Organisationen öffentlich mit Ihnen solidarisch erklärt.

Darüber bin ich enttäuscht. Lediglich die Aleviten haben mir ihre Unterstützung ausgesprochen, aber auch das nicht öffentlich, sondern informell. Ich hätte mir mehr Solidarität der demokratischen Muslime gewünscht, denn es geht hier um die Meinungsfreiheit. Und die darf nicht beim Kopftuch aufhören und auch nicht bei der Religion.

Warum hindert das Kopftuch Ihrer Meinung nach Musliminnen daran, wirklich in Deutschland anzukommen?

Ich halte das Kopftuch für ein Symbol von Unterdrückung und Patriarchat. Das Kopftuch steht dafür, den Frauen eine untergeordnete Rolle zuzuweisen. In Deutschland sind Männer und Frauen aber gleichberechtigt. Das gehört zu den zentralen Werten dieses Landes, und wer hier lebt, der sollte sie auch anerkennen. Das Kopftuch abzulegen, wäre ein Zeichen für diese Anerkennung.

Nach einer Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung halten sich Kopftuchträgerinnen nicht für weniger selbstbewusst und auch nicht für unterdrückt.

Ich will die Studie gar nicht abwerten. Da haben sich sehr selbstbewusste Frauen geäußert, die es unter Kopftuchträgerinnen tatsächlich gibt. Die Frauen aber, für die ich mich einsetze, haben sich bei der Befragung sicher nicht geäußert.

Wenn Sie heute noch einmal vor der Entscheidung stünden, öffentlich dazu aufzurufen, das Kopftuch abzulegen – würden Sie es angesichts Ihrer Erfahrungen der letzten zwei Wochen wieder tun?

Das ist eine schwere Frage. Ich bin ja nicht nur Politikerin, sondern auch Mutter, Ehegattin und Freundin, ich habe Verantwortung für meine Familie und meine Freunde. Andererseits sehe ich mich in der Pflicht, für eine weltoffene Gesellschaft einzutreten. Für mich gehört zu einer solchen Gesellschaft ein Vertrag zwischen Deutschen und Migranten. Dieses Land muss aufhören, über die Köpfe der Betroffenen hinweg Gesetze zu machen, die Migranten betreffen. Aber gleichzeitig müssen die Migranten bereit sein, sich auf dieses Land einzulassen. Und die Gleichberechtigung von Mann und Frau macht dieses Land eben aus – genauso wie die Meinungsfreiheit. Also: Ja, wahrscheinlich würde ich es wieder tun.

Die Fragen stellte Stephan Haselberger.

Ekin Deligöz , türkischstämmige Grünen-Abgeordnete, hat muslimische Frauen aufgerufen, das Kopftuch abzulegen. Seither sieht sie sich einer Hetzkampagne ausgesetzt.

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