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Frustriert. Michelle Bachelet zieht sich zurück. Foto: AFP/Fabrice Coffrini

© AFP

„Ich stand unter enormem Druck“: Scheidende UN-Menschenrechtschefin kämpft um ihre Glaubwürdigkeit

Michelle Bachelet wurde wegen ihres laschen Umgangs mit China massiv kritisiert. Nun will sie kurz vor ihrem Abgang einen kritischen Bericht veröffentlichen.

Es ist ein brisanter Text. Der Bericht des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte handelt von mutmaßliche Folter, Umerziehung, Vergewaltigung, Sklaverei und Tötungen in China. „Wir arbeiten an dem Bericht“, versichert die Hochkommissarin Michelle Bachelet. Diese Bestätigung ist notwendig, denn der Bericht über die Unterdrückung der Uiguren und anderer muslimischer Minderheiten in Chinas Region Xinjiang ist lange verschleppt worden.

Am 31. August soll er nun veröffentlicht werden. An diesem Tag wir Bachelet ihr Büro in Genf nach vier Jahren verlassen. Die Publikation des brisanten Textes über wäre eine ihrer letzten Amtshandlungen, ein Ereignis, das ihr Vermächtnis als oberste UN-Wächterin der Menschenrechte bestimmen würde. Sie würde damit ihre Glaubwürdigkeit retten, denn die Machthaber in Peking üben massiven politischen Druck auf Bachelet aus. Sie soll den Report weiter unter Verschluss halten.

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Eigentlich hatte Bachelet eine zweite Amtszeit als Hochkommissarin ins Auge gefasst. Doch die chilenische Ex-Präsidentin geriet wegen ihres Umgangs mit China ins Straucheln. Die 70-jährige verzichtete auf eine Verlängerung ihres Vertrages mit den Vereinten Nationen bis 2026 – und kam so der Demütigung zuvor, dass ihr Vertrag nicht verlängert würde. Das mächtigste UN-Mitgliedsland, die USA, sperrten sich gegen eine erneute Nominierung der Südamerikanerin.

Vernichtende Kritik an scheidender Menschenrechtschefin

Auch unabhängige Menschenrechtsexperten lassen an Bachelets Umgang mit China kein gutes Haar: zu naiv, zu nachsichtig, zu lasch. Der ausscheidende Chef von Human Rights Watch, Kenneth Roth, beurteilt das Vorgehen Bachelets schlicht als „desaströs“.

Das lange Warten bei der Veröffentlichung des Uiguren-Berichtes löste heftiges Kopfschütteln aus. Bachelet hatte dem UN-Menschenrechtsrat im September 2021 versichert, dass der Report fertiggestellt werde. Ihr Kommunikationsteam wiederholte im Dezember 2021 und erneut im Januar 2022, dass die Studie binnen weniger Wochen erscheinen werde. Als Bachelet im Juni 2022 ihren Abschied ankündigte, ging sie notgedrungen noch einmal auf das Thema ein: Das Schriftstück werde bis zum Ende ihrer Amtszeit vorliegen.

Erklärungen für das Zaudern gab es viele. Mal hieß es aus dem Hochkommissariat, man müsse die Lage gründlich analysieren, mal waren es prozedurale Fragen, mal mussten die Kommentare des offiziellen China berücksichtigt werden.

Doch das anhaltende Vertrösten und Verzögern ließen einen schlimmen Verdacht aufkeimen. Will die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte vertuschen, was in Chinas Lagern passiert? Oder ist Bachelet vor den Herrschern des Reiches der Mitte eingeknickt?

Ebenso umstritten wie der Umgang mit dem Uiguren-Report war der China-Besuch Bachelets im Mai diesen Jahres. US-Außenminister Antony Blinken bezeichnete die Mission als „besorgniserregend“. Eine vollständige und unabhängige Bewertung der Lage in dem Land, einschließlich in Xinjiang, wo „Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ stattfänden, seien unmöglich gewesen.

Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, betont gegenüber dem Tagesspiegel, dass die Visite „grundsätzlich gut gewesen sei“. Doch habe „die Regierung in Peking die Hochkommissarin regelrecht vorgeführt und Bachelet übernahm teilweise Pekings Sprachregelung“. Bachelet die Unterdrückung der Minderheiten nicht klar verurteilt. „Das war sicher ein großes Versäumnis“, macht Rudolf klar.

Bachelet-Nachfolge ist noch nicht geregelt

Das Agieren Bachelets gegenüber China wirkt gerade vor dem Hintergrund ihrer eigenen Biographie befremdlich. In den siebziger Jahren hatte die junge Medizinstudentin Bachelet unter der Chiles Militärdiktatur zu leiden. Sie landete sogar in einem Foltergefängnis. Ihr gelang die Flucht, in die DDR, später arbeitete sie sich in der politischen Hierarchie ihres Heimatlandes unbeirrt nach oben.

Jetzt teilt Bachelet das Schicksal anderer früherer Hochkommissare. Sie mussten nach einer Amtszeit gehen. Bislang hat UN-Generalsekretär António Guterres die Bachelet-Nachfolge noch nicht geregelt. Möglicherweise wird die Position zunächst nur vorübergehend besetzt – in Zeiten der Konflikte und immer autoritärer werdender Regierungssysteme eine beklemmende Vorstellung.

„Die neue Hochkommissarin oder der neue Hochkommissar muss entschieden die Menschenrechte gegen Angriffe verteidigen, besonders die Großmächte Russland und China untergraben und attackieren immer stärker die bislang erreichte internationale Ordnung“, umreißt die Expertin Rudolf das Jobprofil. Mit Blick auf den Rückzug Bachelets erläutert Rudolf auch das Spannungsverhältnis, dem die Amtsinhaber ausgesetzt sind. „Die Hochkommissarin muss im diplomatischen Austausch die Menschenrechtsverletzungen in Ländern wie China ansprechen, gleichzeitig aber darf sie ihre Gesprächspartner nicht zu sehr provozieren.“ Diesem Spannungsverhältnis war Bachelet nicht gewachsen. Jan Dirk Herbermann

Jan Dirk Herbermann

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