zum Hauptinhalt

Politik: „Ich tue alles, dass die NPD draußen bleibt“ Sachsens Ministerpräsident Milbradt über Protestwähler und sein Angebot an die Montagsdemonstranten

Herr Milbradt, der Protest gegen Hartz IV scheint den Rechtsextremen Wählerstimmen zuzutreiben. Fürchten Sie, dass die NPD in Sachsens Landtag einziehen wird?

Herr Milbradt, der Protest gegen Hartz IV scheint den Rechtsextremen Wählerstimmen zuzutreiben. Fürchten Sie, dass die NPD in Sachsens Landtag einziehen wird?

Man kann es nicht ausschließen. Ich werde aber alles tun, was in meinen Möglichkeiten steht, dass das nicht geschieht, zum Beispiel indem ich überall um eine hohe Wahlbeteiligung werbe.

Ist Ihr Wahlkampf auch inhaltlich auf die Auseinandersetzung mit der NPD ausgerichtet?

Das habe ich immer getan. Die radikalen Parteien bieten keine Lösungen unserer Probleme an. Wer trotzdem Rechtsextreme wählt, tut dies in aller Regel nicht, weil er deren nationalistisches Gedankengut teilt. Die meisten kennen wohl noch nicht einmal deren Position. Sie wählen sie, weil sie meinen, damit in besonderem Maße Protest und Frust zum Ausdruck zu bringen. Aber der Einzug der NPD in den Landtag würde keinen einzigen Arbeitsplatz schaffen, aber viele in Gefahr bringen beziehungsweise Investoren davon abhalten, in Sachsen zu investieren.

Der Kanzler macht als Anstachler der Proteste PDS und Rechtsextreme gleichermaßen aus. Teilen Sie diese Einschätzung?

Die Proteste sind zunächst weitgehend spontan entstanden – aus Angst vor der Zukunft, aus einer subjektiven Perspektivlosigkeit. Dass sie mittlerweile von Extremen benutzt und mitorganisiert werden, steht auf einem anderen Blatt. Die Grundstimmung in Ostdeutschland ist eben im Augenblick durch eine starke Unsicherheit geprägt. Das hängt insbesondere mit der unbefriedigenden Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zusammen.

Man hat Ihnen vorgeworfen, Sie hätten zur Wählerverunsicherung beigetragen, weil Sie selbst erwogen haben, auf einer Montagsdemonstration mitzulaufen.

Ich wollte nicht mitlaufen, ich wollte diskutieren. Man muss die Menschen abholen, wenn die Gelegenheit zu einem vernünftigen Gespräch gegeben ist. Diese Gelegenheit hat sich nicht ergeben, deshalb habe ich es nicht gemacht.

Halten Sie noch Änderungen am derzeitigen Hartz-IV-Konzept für notwendig und plädieren Sie noch für eine Verschiebung?

Ich habe mich immer für die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ausgesprochen. Aber ich hätte mir gewünscht, dass man sich zur Vorbereitung des Gesetzes mehr Zeit lässt. Da man die Zeit verplempert hat, habe ich zunächst eine Verschiebung des Inkrafttretens angeregt, um die administrativen und kommunikativen Mängel auszubügeln. Das hat sich durch die Strategie der Bundesregierung erledigt. Ich gehe davon aus, dass es bei einem solch umfangreichen Gesetz von über 700 Seiten zu weiteren Änderungen kommen wird, spätestens wenn bei der Anwendung Probleme auftauchen. Es macht aber keinen Sinn, diese Diskussion in der jetzigen Situation weiterzuführen, da die Bundesregierung nicht bereit ist, etwas zu ändern.

Im Wahlkampf setzen Sie sich stark mit den Grünen auseinander. Ist eine schwarz- grüne Option für Sie ausgeschlossen?

Ja. Wer in der Braunkohle die noch vorhandenen Arbeitsplätze abschaffen will, obwohl wir die modernsten Braunkohlekraftwerke mit den niedrigsten Emissionswerten der ganzen Welt haben und Sachsen in den letzten 14 Jahren den stärksten Rückgang an CO2-Emissionen weltweit zu verzeichnen hat, der ist für mich kein Koalitionspartner. Unser Hauptproblem ist die Arbeitslosigkeit und dass wir zu wenig Arbeitsplätze im ersten Arbeitsmarkt haben. Die Grünen lösen dieses Problem nicht, sondern verschärfen es eher.

Sie steuern einen selbstbewussten Kurs für ein starkes, eigenständiges Sachsen. Kann man aus der zunehmenden Differenzierung der neuen Bundesländer ableiten, dass eine Entsolidarisierung im Osten stattfindet?

Es gibt in der Tat sehr unterschiedliche Entwicklungen in den neuen Bundesländern. Da wir in fast allen Daten die Nummer eins in Ostdeutschland, teilweise sogar unter den Ersten in Gesamtdeutschland sind, wollen wir uns zum einen natürlich nicht an schlechteren Ergebnissen anderer orientieren. Zum anderen zeigen die unterschiedlichen Entwicklungen etwa in der Bildungspolitik, dass Landespolitik etwas bewirkt. Und ich mache im Wahlkampf darauf aufmerksam, dass es am 19. September nicht um die Politik in Berlin oder die Popularität der Bundes- SPD oder von Herrn Schröder, sondern um die Perspektiven für Sachsen geht.

Der Aufbau Ost ist in Verruf geraten. Welche Weichenstellungen wären nötig?

Es muss zunächst einmal eine Diskussion über den weiteren Aufbau im Osten geben und darüber, wie man die hohe Arbeitslosigkeit und den großen wirtschaftlichen Abstand beseitigt. Dazu braucht man ein langfristiges strategisches Programm, das dann auch bis zum Ende der Übergangsperiode – dem Auslaufen des Solidarpaktes 2019 – umgesetzt wird.

Wenn die anstehenden Wahlen vorüber sind – wäre das ein geeigneter Zeitpunkt für einen Neuansatz beim Aufbau Ost?

Ja, es ist nie zu spät. Der Aufbau Ost ist aber kein ostdeutsches Problem, zu dem die Westdeutschen nur Hilfeleistungen beitragen. Er ist ein gesamtdeutsches Problem. In den unmittelbaren staatlichen Bereichen ist er so gut wie abgeschlossen und gelungen. Aber wenn er im wirtschaftlichen Bereich misslingt und die großen Unterschiede Ost-West weiter bestehen bleiben, dann beeinträchtigt das natürlich auch den Westen.

Das Gespräch führte Matthias Schlegel.

-

Zur Startseite