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Politik: Ihr Leben für Deutschland

Von Gerd Appenzeller

Als ich – Jahrgang 1943 – ein Kind war, hörten wir in der Schule viel über die deutsche Vertreibung aus dem Osten, über Kriegsgefangene und die russische Gefahr. Das Thema blieb uns erhalten. Vom 20.Juli und dem Attentat gegen Hitler, von Auschwitz und dem Judenmord hörten wir lange nichts. Erst mit der „Weißen Rose“ trat das andere Deutschland in unser Leben. Stauffenberg kam weit später. Wir waren keine Einzelfälle. NachkriegsWestdeutschland hatte mit dem Widerstand gegen Hitler sehr lange nicht viel im Sinn.

60 Jahre nach dem 20.Juli 1944 wissen wir, dass die Geschwister Scholl, der Kreisauer Kreis, das Bombenattentat in der Wolfsschanze, dass Bonhoeffer und tausende unbekannter Nazigegner Namen, Begriffe und Ereignisse sind, auf die wir stolz sein dürfen, weil sie für ein anderes Deutschland stehen. Zwei Generationen hat es gedauert, bis die für die Betrachtung jüngster historischer Ereignisse typische Einseitigkeit durch eine differenzierte Wertung des Geschehens abgelöst wurde. Unter dieser SchwarzWeiß-Sichtweise haben nach 1945 nicht zuletzt auch Kinder der hingerichteten Frauen und Männer des Widerstands gelitten. Sie wurden beschimpft als Nachkommen von Landesverrätern. Viele gingen ins Ausland. Die Heirat untereinander, die Ehe unter Opferkindern eben, schien ihnen oft die einzige Garantie, nicht unwissentlich das eigene Leben mit einem Nachfahren einer Täterfamilie als Partner aufzubauen.

Auch die Bundeswehr hat sich in ihren frühen Jahren schwer getan mit dem Gedenken an Stauffenberg, Haeften, Beck, Tresckow, Olbricht und die anderen tatbeteiligten Offiziere. Zwischen der offiziellen Politik der Würdigung des Widerstands und dem manchmal gegenüber dem Gedenken der Attentäter verächtlichen, alltäglichen Miteinander in den Kasernen gab es keine Brücke. Und die Erkenntnis, dass Deutschland dankbar sein muss für die Zeichen des Aufbegehrens gegen die Diktatur, reifte erst in dem Maße, in dem die Geschichtsforschung die verklärenden Gloriolen um die Beweggründe der Verschwörer abwischen und zu Tage fördern konnte, was wir heute für eine objektive Darstellung jener Zeit halten dürfen.

Glühende Demokraten im heutigen Verständnis waren viele von ihnen nicht, ihre Ziele und Motive höchst unterschiedlich. Die meisten von ihnen dachten national, wir würden sagen: nationalistisch. Sie tendierten zu autoritären staatlichen Strukturen. Nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg, der Abdankung des Kaisers und dem Zusammenbruch der Monarchie hatten sich die Perspektiven vieler Adliger dramatisch verschlechtert. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war eine historische Vision, für die sich viele junge Männer begeisterten. Hitler räumte nicht nur mit der „Schmach von Versailles“ auf, sondern stärkte das Militär – beides fand wohlwollende Sympathie, nicht nur im Adel. Mit dem Parvenue „Adolf“ selbst glaubte man fertig werden zu können.

Auch Stauffenberg war zum Kriegsbeginn ein Anhänger der Hitlerschen Politik. Als er aber in Polen Augenzeuge der Deportation der jüdischen Bevölkerung und der Erschießung von Zivilisten wurde, nahm er den Kontakt zu den Verschwörern auf, die ihn bereits zuvor gewinnen wollten. Stauffenberg ist somit der Beweis dafür, dass man als deutscher Offizier im Osten relativ früh wissen konnte, was die Nazis taten. Der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber hat an diese Motivation des deutschen Widerstands erinnert. Die Attentäter hätten begriffen, sagte er, dass Hitler ein Verbrecher ist, und nicht zuletzt aus dem Glauben heraus ihre Verantwortung für die Welt wahrgenommen.

Wir können Stauffenberg und all die anderen nicht aus dem Heute, sondern nur aus ihrer Zeit heraus verstehen. Entscheidend ist nicht, ob sie Bilderbuchdemokraten waren, sondern dass sie ihr Leben im Kampf gegen ein verbrecherisches Regime wagten.Traurig, dass es 60 Jahre dauerte, bis diese Erkenntnis Allgemeingut wurde. Befreiend, dass es dann doch schließlich, endlich geschehen ist.

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