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Politik: Ihre Suppen sind dünn, ihr ist Essen schlecht

TUZLA .Der Frieden muß rund um die Uhr und an allen sieben Tagen der Woche geschützt werden.

TUZLA .Der Frieden muß rund um die Uhr und an allen sieben Tagen der Woche geschützt werden.So steht es in russisch und in kyrillischen Grossbuchstaben über dem Eingang zum Camp.Doch der Sonntag ist ein besonderer Tag.Da darf einer den Entertainer geben und melancholische Schlager aus der Heimat singen, während nebenan die Teams im Takt Gewehre zerlegen und wieder zusammensetzen.Anstrengender ist nur der Radwechsel am Dreiachser.Zum Schluß werden, mit Trommelwirbel untermalt, Orden verteilt.Kadett Igor, vom Hauptquartier der russischen Friedenstruppen in Bosnien den Besuchern zur Seite gestellt, ist mit seinem Einsatz zufrieden.

Immerhin verdient Igor in Bosnien das 20fache des sonst üblichen Gehalts von umgerechnet 50 Dollar im Monat.Die Russen sind in Bosnien mit rund 400 Mann seit Beginn dabei, wenn auch nur symbolisch.Im Kosovo sollen sie eine größere Rolle übernehmen.

Zwischen der US-Basis bei Tuzla und dem russischen Stützpunkt in Ugljevik liegen Welten.Die einen haben sich hinter Burgen aus Sandsäcken verschanzt.Man trägt Helm, schwere Schußweste und läßt nicht jeden hinein.Bei den Russen geht es lockerer zu.Der russische Sektor umfaßt praktisch nur serbisch kontrollierte Gebiete nahe der Grenze zu Jugoslawien.Das Camp von Ugljevik liegt im Schatten eines Kraftwerks neben dem gleichnamigen Dorf.Die serbischen Bewohner kommen und gehen durchs Camp.

Der Serbe Milan führt dort ein kleines Café und einen Fotoshop.Bei ihm können die Soldaten ihre Erinnerungsfotos gleich entwickeln lassen.Im Dorf mit den einfachen Hütten fällt kaum ein schlechtes Wort über die russischen Nachbarn.Ein Schweinehirt, schon über 80 Jahre alt, erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg.Damals konnte man wegen der Russen nicht einmal die Frauen auf die Felder lassen.Die Soldaten von heute sind da ganz anders: "Ohne Russen wäre die Republika Srpska vielleicht schon verschwunden." Denn die US-Soldaten, schimpft der Mann am Stock, würden die Muslime von nebenan bewaffnen.

Während des Krieges hat der Ort einen hohen Blutzoll bezahlt.Viele Söhne und Väter kehrten nicht von der Front zurück.Heute ist man selber arm.Das Kraftwerk steht seit Monaten still, und die Arbeit auf dem Feld bringt kaum mehr Ertrag.Der Preis, den der Hirte für das Fleisch seiner Tiere einlösen kann, deckt nicht einmal die Kosten fürs Futter.Doch die Russen müssen noch ärmer sein, sorgt sich der Mann: Ihre Suppen sind dünn, und ihr Essen sei schlecht.

Am Nachmittag sonnen sich die Soldaten auf den Dächern der Barracken.Milan, der Serbe vom Café, hat ihnen geholfen, die primitiven Unterkünfte einigermaßen bewohnbar zu machen.Und er hat auch die kleine Kapelle mitfinanziert.Bei kleineren Problemen kommen die Serben von Ugljevik auch mal ins Ambulatorium des Camps.Dort haben die russischen Soldaten sogar Blut für die Bevölkerung gespendet."Wir sind auch Slawen und haben dieselbe Religion", sagt der Truppenarzt."Weshalb greifen die USA in die inneren Angelegenheiten eines fremden Landes ein?", schimpft er später über die Nato-Angriffe auf Jugoslawien.Das wäre etwa so, als wenn die USA Rußland wegen Tschetschenien bombardiert hätten.

In der Früh ist der General mit den zwei schwarzen Sternen auf der Schulter noch mürrisch.Doch am Nachmittag zeigt auch er sich redselig.Er präsentiert eine Theorie nach der anderen vom Konflikt im Kosovo - von der Verteidigung des Dollars durch die USA über den strategisch wichtigen Balkan bis zu drei Weltkriegen, die dort begonnen hätten.Das klingt nicht schlecht, auch wenn es nicht stimmt.Und zum Schluß noch eine Lagebeurteilung: Ohne Bodentruppen kann die Nato den Krieg gegen Milosevic nicht gewinnen.

Der General mit dem Kugelbauch hat als Autodidakt Philosophie studiert und macht ausgiebig davon Gebrauch.Während des Kalten Krieges war er als Pilot einer SU-7 in Ungarn stationiert.Seine Atombombe hätte er über Österreich oder Italien abwerfen sollen.Für die Flucht in die Sicherheit wären nur sieben Minuten geblieben, erinnert er sich stolz und mahnt gleichzeitig: "Wir müssen aus der Geschichte lernen."

Der General betont gerne, daß er direkt dem Nato-Kommandeur Wesley Clark unterstellt ist und nicht etwa dem US-Sektorkommando in Tuzla oder der SFOR-Zentrale in Sarajevo.Doch über dem Camp von Ugljevik weht neben der russischen auch die US-Flagge.Immerhin gibt es im Lager noch amerikanische Verbindungsoffiziere.Sie kontrollieren die "sensiblen Verbindungen" mit der Außenwelt.Der russische General verfügt nur über eine Telefonleitung, und mehr als russisches Fernsehen gibt es nicht.Den Zugang zum Internet halten die Verbindungsoffiziere unter Verschluß.

Die gemeinsamen Patrouillen hat man zwar eingestellt, aber die Beziehungen seien "freundschaftlich", versichert einer der Berufssoldaten aus dem fernen Amerika.Mit den Patrouillen nimmt man es im russischen Camp ohnehin nicht so genau.In Gajevi etwa, oben, an der ehemaligen Waffenstillstandslinie zwischen Serben und kroatisch-muslimischer Föderation, kann man ein Lied davon singen.Vor zwei Jahren wagten die ersten Muslime die Rückkehr.Kaum waren die ersten Häuser wieder aufgebaut, wurden sie von den Serben nebenan wieder in die Luft gesprengt.Die Russen hätten nur zugeschaut, klagen die Rückkehrer.Sie haben jetzt einen neuen Anlauf versucht.Erst vor ein paar Tagen wurde aus drei Richtungen auf den Weiler geschossen.Ein Kind wurde verletzt, doch von den russischen Friedenssoldaten keine Spur.Diese gehen oft ihren lukrativen Nebengeschäften nach.Vor ein paar Tagen entdeckten die Dorfbewohner, auf einem Feld versteckt, drei verängstigte russische Prostituierte.Auch mit Gebrauchtwagen wird reger Handel betrieben.Ein Dutzend Luxuskarrossen, einige schon mit russischen Kennzeichen, stehen auf dem Gelände des Camps und im Dorf.Pro Monat wird angeblich eine beachtliche Zahl davon nach Rußland "transferiert".Auch der Schwarzhandel mit Treibstoff floriert.Wie sagte doch der Schweinehirt von Ugljevik über die Nachbarn: "Sie werden in die ganze Welt geschickt, um die arme Heimat zu ernähren."

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